«Das erwartete ich, «sagte Athos,»und darum habe ich mich zwischen Euch und ihn geworfen. Dieser Mann ist in der That sehr unklug, daß er auf solche Art mit andern Männern spricht. Man sollte glauben, er habe es sein Leben lang nur mit Weibern und Kindern zu thun gehabt.«
«Mein lieber Athos!«rief d'Artagnan,»ich bewundere Euch, aber wir hatten im Ganzen doch Unrecht.«
«Wie, Unrecht?«entgegnete Athos,»wem gehört denn diese Luft, die wir athmen? wem dieses Meer, an welchem wir lagern? wem dieser Brief von Eurer Geliebten? Etwa dem Kardinal? Dieser Mensch bildet sich am Ende ein, die ganze Welt gehöre ihm. Ihr standet stammelnd, erstaunt, vernichtet da, als ob die Bastille vor Euch empor starrte, und die eisige Medusa Euch in Stein verwandelte. Ist Verliebtheit eine Conspiration? Ihr seid in eine Frau verliebt, die der Kardinal einsperren ließ; Ihr wollt sie den Händen des Kardinals entziehen, das ist die Partie, die Ihr mit Seiner Eminenz spielt. Dieser Brief ist Euer Spiel. Warum solltet Ihr Euer Spiel Eurem Gegner zeigen? Er mag es errathen! Wir errathen das seinige gar wohl.«
«Was Ihr da sagt, Athos, ist allerdings sehr vernünftig, «sprach d'Artagnan.
«Dann sei von dem ganzen Vorfall nicht mehr die Rede, und Aramis nehme den Brief seiner Base da auf, wo ihn der Herr Kardinal unterbrochen hat.«
Aramis zog den Brief aus seiner Tasche. Die drei Freunde näherten sich ihm und die drei Lakaien lagerten sich abermals um die Strohflasche.
«Ihr habt nur eine oder zwei Zeilen gelesen, «sagte d'Artagnan.»Lest also den Brief von Anfang an.«
«Gerne, «erwiderte Aramis.
«Mein lieber Vetter,
«Ich glaube wohl, daß ich mich entschließen werde, nach Bethune abzureisen, wo meine Schwester unsere kleine Magd in eine Karmeliterinnen-Kloster gebracht hat. Dieses arme Kind hat sich darein ergeben. Es weiß, daß es nicht anderswo leben kann, ohne daß das Heil seiner Seele gefährdet wäre. Wenn jedoch unsere Familienangelegenheiten sich ordnen, wie wir es wünschen, so glaube ich, daß die Arme auf die Gefahr ihres Seelenheiles hin zu demjenigen zurückkehren wird, nach welchen sie sich um so mehr sehnt, als sie weiß, daß man stets an sie denkt. Einstweilen ist sie nicht zu unglücklich. Ihr einziger Wunsch ist ein Brief von ihrem Bräutigam. Ich weiß sehr wohl, daß solche Waaren schwer durch die Gitter gehen, aber im Ganzen, mein lieber Vetter, bin ich — und ich habe Euch hievon Beweise gegeben — nicht gar zu ungeschickt, und ich übernehme diesen Auftrag. Meine Schwester dankt Euch für Eure beständige Erinnerung; sie schwebte einen Augenblick in großer Unruhe, aber jetzt ist sie ein wenig beruhigt, weil sie ihren Gehülfen hinuntergeschickt hat, damit nichts Unvorhergesehenes vorfallen kann.
«Adieu, mein lieber Vetter, gebt so oft als möglich Nachricht von Euch, das heißt, so oft, als Ihr es sicher thun zu können glaubt. Ich küsse Euch.
Marie Michon.«
«O wie viel Dank bin ich Euch schuldig, Aramis, «rief d'Artagnan.»Die theure Constance! endlich habe ich also Kunde von ihr! Sie lebt, sie ist in Sicherheit in einem Kloster; sie ist in Bethune! Wo liegt Bethune, Athos?«
«Auf der Grenze von Artois und Flandern; ist die Belagerung einmal aufgehoben, so können wir eine Reise dahin machen.«
«Und das wird hoffentlich nicht mehr lange währen, «sprach Porthos;»denn man hat diesen Morgen wieder einen Spion gehängt, welcher behauptete, die Rocheller seien am Oberleder ihrer Stiefel. Nehme ich nun an, daß sie die Sohlen essen, wenn sie das Oberleder verzehrt haben, so sehe ich nicht ein, was ihnen nachher noch übrig bleiben soll, wenn sie nicht einander selber verspeisen wollen.«
«Arme Tröpfe!«sprach Athos und leerte ein Glas vortrefflichen Bordeauxweins, der, ohne damals schon seinen heutigen Ruf zu besitzen, ihn doch wenigstens verdiente.»Arme Tröpfe, als ob die katholische Religion nicht die vortheilhafteste und angenehmste der Religionen wäre. Doch gleich viel, «fuhr er fort, nachdem er mit der Zunge am Gaumen geschnalzt hatte,»es sind brave Leute. Aber was Teufels macht Ihr denn, Aramis, Ihr steckt diesen Brief in Eure Tasche?«
«Ja, «sagte d'Artagnan,»Athos hat Recht, man muß ihn verbrennen. Wer weiß jedoch, ob der Herr Kardinal nicht ein Geheimniß besitzt, um die Asche zu befragen.«
«Er muß wohl eines besitzen, «erwiderte Athos.
«Aber, was wollt Ihr denn mit dem Briefe machen?«fragte Porthos.
«Kommt hieher, Grimaud, «sagte Athos.
Grimaud stand auf und gehorchte.
«Zur Strafe dafür, daß Ihr ohne Erlaubniß gesprochen habt, mein Freund, werdet ihr das Stück Papier essen, und für den Dienst, den Ihr uns leistet, trinkt ihr sodann dieses Glas Wein. Hier, nehmt zuerst den Brief, kaut kräftig.«
Grimaud lächelte, und die Augen auf das Glas gerichtet, das Athos bis auf den Rand gefüllt hatte, zerkaute er das Papier und verschlang es.
«Bravo, Meister Grimaud!«rief Athos,»und nun dieses. Gut, ich entbinde Euch der Verpflichtung, Dank zu sagen.«
Grimaud trank stillschweigend das Glas Bordeauxwein, aber seine zum Himmel aufgeschlagenen Augen sprachen, so lange diese süße Beschäftigung dauerte, eine Sprache, die, obgleich stumm, darum doch nicht minder ausdrucksvoll war.
«Und nun, «sagte Athos,»wenn nicht der Herr Kardinal den geistreichen Gedanken hat, Grimaud den Bauch öffnen zu lassen, können wir, glaube ich, beinahe ruhig sein.«
Während dieser Zeit setzte Seine Eminenz ihren schwermüthigen Spazierritt fort und brummte wiederholt in seinen Schnurrbart:
«Diese vier Bursche müssen um jeden Preis mein werden.«
XXIV. Erster Tag der Gefangenschaft
Kehren wir zu Mylady zurück, die uns ein Blick auf die Küste Frankreichs eins Weile aus dem Gesichte verlieren ließ.
Wir werden sie in der verzweifelten Lage wieder finden, in der wir sie zurückgelassen haben, einen Abgrund düsterer Betrachtungen, eine finstere Hölle grabend, an deren Pforte sie beinahe jede Hoffnung zurückgelassen hat, denn zum ersten Male zweifelt, zum ersten Male fürchtet sie.
Bei zwei Gelegenheiten hat ihr Glück sie verlassen, bei zwei Gelegenheiten hat sie sich entdeckt und verrathen gesehen, bei zwei Gelegenheiten scheiterte sie an dem bösen Geiste, den ohne Zweifel der Herr sandte, um sie zu bekämpfen. D'Artagnan hat sie besiegt, sie, die unbesiegbare Macht des Bösen.
Er hat sie in ihrer Liebe verletzt, in ihrem Stolze gedemüthigt, und nun richtet er sie in ihrem Vermögen zu Grunde, schlägt sie in ihrer Freiheit, bedroht sie sogar in ihrem Leben. Mehr noch, er hat eine Ecke ihrer Maske aufgehoben, mit der sie sich bedeckt, die sie so stark macht.
D'Artagnan hat von Buckingham, den sie haßt, wie sie alles haßt, was sie geliebt hat, den Sturm abgewendet, mit dem ihn Richelieu in der Person der Königin bedrohte. D'Artagnan hat sich für Wardes ausgegeben, für den sie eine glühende Tigerliebe, unbezähmbar, wie bei allen Frauen dieses Charakters, hegte. D'Artagnan kennt das furchtbare Geheimniß, das nach ihrem Schwure Niemand kennen sollte, ohne zu sterben. In dem Augenblick, wo sie von Richelieu eine Vollmacht erhalten hat, mit dessen Hülfe sie sich an ihrem Feinde zu rächen gedenkt, wird ihr dieses Papier aus den Händen gerissen, und d'Artagnan hält sie gefangen und will sie nach irgend einem schmachvollen Botanybay, nach irgend einem abscheulichen Tyburn des indischen Oceans schicken.
Denn alles dies kommt ohne Zweifel von d'Artagnan. Von wem sollte so viele auf ihr Haupt gehäufte Schmach kommen, außer von ihm? Er allein konnte Lord Winter all' die furchtbaren Geheimnisse mittheilen, die er nach einander durch eine unselige Verkettung von Umständen erfahren hatte.
Wie viel Haß zersetzt sie! Hier, unbeweglich und die glühenden Augen starr auf ihr einsames Stübchen geheftet, während das Geräusch des dumpfen Schnaubens, das zuweilen aus der Tiefe ihrer Brust hervorkommt, das Tosen der Wellen begleitet, welche steigen, brausen und brüllen und sich wie eine ewige, unmächtige Verzweiflung an den Felsen brechen, auf denen das stolze, düstere Schloß erbaut ist, während ihr stürmischer Zorn mit seinen Blitzen ihren Geist erleuchtet, hier entwirft sie gegen Madame Bonacieux, gegen Buckingham und besonders gegen d'Artagnan großartige, in der fernen Zukunft sich verlierende Rachepläne.