Felton betrachtete sie mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit. Als er aber sah, daß die Krisis sich zu verlängern drohte, ging er weg. Die Frau folgte ihm. Lord Winter erschien nicht.
«Ich glaube, ich fange an, klar zu sehen, «murmelte Mylady mit einer wilden Freude und begrub sich unter ihren Betttüchern, um allen denjenigen, welche sie beobachten könnten, diesen Ausbruch innerer Befriedigung zu verbergen.
Es schlug zehn Uhr.
«Nun ist es Zeit, die Krankheit aufhören zu lassen, «sagte sie.»Wir wollen aufstehen, und schon heute einigen Erfolg zu gewinnen suchen. Ich habe nur zehn Tage, und heute Abend und bereits zwei davon abgelaufen.«
Die Bedienung hatte, als sie am Morgen in Mylady's Zimmer getreten war, ihr das Frühstück gebracht. Nun dachte die Gefangene, man werde es ihr bald wegnehmen, und sie werde bei dieser Gelegenheit Felton wiedersehen.
Mylady täuschte sich nicht. Felton erschien abermals und gab, ohne nachzusehen, ob Mylady das Frühstück berührt hatte oder nicht, Befehl, den Tisch wegzutragen, den man gewöhnlich ganz serviert brachte.
Felton blieb zurück. Er hielt ein Buch in seiner Hand. In einem Fauteuil in der Nähe des Kamins liegend, glich Mylady, schön, bleich und ergebungsvoll, einer heiligen Jungfrau, welche dem Märtyrerthum entgegensieht.
Felton näherte sich ihr und sprach:
«Lord Winter, der ein Katholik ist, wie Ihr, Madame, glaubte, die Entbehrung der Gebräuche und Zeremonien Eurer Religion dürfte schmerzlich für Euch sein. Er erlaubt also, daß Ihr jeden Tag die gewöhnlichen Gebete Eurer Messe lest, und hier ist ein Buch, welches das Ritual enthält.«
Bei der Miene, mit der Felton dieses Buch auf das Tischchen legte, an welchem Mylady saß, bei dem Tone, mit dem er die zwei Worte Eurer Messe aussprach, bei dem verächtlichen Lächeln, womit er dieselben begleitete, hob Mylady das Haupt und schaute den Offizier aufmerksamer an.
An dem ernsten Schnitt des Haares, an der einfachen Tracht, an der Stirne, die so glatt war wie Marmor, aber hart und undurchdringlich wie dieser, erkannte sie einen von den finstern Puritanern, dergleichen sie sowohl am Hof des Königs Jakob, als am Hof des Königs von Frankreich, wo sie zuweilen trotz der Erinnerung an die Sanct-Bartholomäusnacht Zuflucht suchten, so häufig getroffen hatte.
Sie hatte daher eine jener raschen Eingebungen, wie sie nur Leute von Genie in großen Krisen, in den äußersten Momenten, die über Glück und Leben entscheiden sollen, zu bekommen pflegen.
Die zwei Worte Eurer Messe und ein einziger Blick auf Felton hatten ihr in der That das ganze Gewicht der Antwort enthüllt, welche sie zu geben im Begriffe war.
Aber mit dem ihr eigenthümlichen schnellen Geistesblick trat diese Antwort sogleich ganz fertig auf ihre Lippen, und mit einer verächtlichen Betonung, welche sie mit dem Ausdruck in Einklang brachte, den sie in der Stimme des jungen Mannes wahrgenommen hatte, erwiderte sie:
«Ich, mein Herr? meine Messe? Lord Winter, der verdorbene Katholik, weiß ganz wohl, daß ich nicht seiner Religion angehöre, und es ist nur eine Falle, die er mir legen will.«
«Von welcher Religion seid Ihr denn, Madame?«fragte Felton mit einem Staunen, das er trotz seiner Selbstbeherrschung nicht ganz zu verbergen vermochte.
«Ich werde es sagen!«rief Mylady mit einer erheuchelten Begeisterung,»ich werde es sagen, wenn ich genug für meine Religion gelitten haben werde.«
Der Blick Feltons enthüllte vor Mylady die ganze Ausdehnung des Raumes, den sie sich durch dieses einzige Wort geöffnet hatte.
Der junge Mann blieb indessen stumm und unbeweglich. Sein Blick hätte allein gesprochen.
«Ich bin in den Händen meiner Feinde, «fuhr sie in jenem Tone der Begeisterung fort, von dem sie wußte, daß er den Puritanern eigenthümlich war.»Gott mag mich retten, oder ich mag für meinen Gott untergehen! Das ist die Antwort, die ich Euch Lord Winter zu überbringen bitte, «fügte sie bei und deutete mit der Fingerspitze auf das Gebetbuch, jedoch ohne es zu berühren, als hätte sie sich durch eine solche Berührung verunreinigt geglaubt,»Ihr könnt dieß zurückbringen und gebraucht es für Euch selbst; denn Ihr seid ohne Zweifel ein doppelter Mitschuldiger von Lord Winter, mitschuldig bei seiner Verfolgung, mitschuldig bei seiner Ketzerei.«
Felton antwortete nicht. Er nahm das Buch mit demselben Gefühl des Widerwillens, das er bereits kund gegeben hatte, und zog sich nachdenklich zurück.
Lord Winter erschien gegen fünf Uhr Abends. Mylady hatte den ganzen Tag Zeit gehabt, den Plan für ihr Benehmen zu entwerfen. Sie empfing ihn als eine Frau, die bereits wieder in alle ihre Vortheile eingetreten ist.
«Es scheint, «sagte der Baron, indem er sich Mylady gegenüber in einen Lehnstuhl setzte und seine Füße nachläßig gegen den Kamin ausstreckte,»es scheint, wir haben eine kleine Apostasie gemacht.«
«Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr?«
«Ich will damit sagen, daß Ihr, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, die Religion gewechselt habt. Solltet Ihr zufällig einen dritten protestantischen Gatten genommen haben?«
«Erklärt Euch, Mylord, «entgegnete die Gefangene mit Majestät;»denn ich sage Euch, daß ich Eure Worte zwar höre, aber nicht verstehe.«
«Dann habt Ihr gar keine Religion, und das gefällt mir noch besser, «versetzte Lord Winter mit Hohnlachen.
«Jedenfalls stimmt es besser zu Euren Grundsätzen, «sprach Mylady kalt.
«Ich muß Euch gestehen, daß mir dies vollkommen gleichgültig ist.«
«Gesteht immerhin diese religiöse Gleichgültigkeit, Eure Ausschweifungen und Verbrechen sind hinreichende Belege hiefür.«
«Wie, Ihr sprecht von Ausschweifungen, Frau Messalina, Ihr sprecht von Verbrechen, Lady Macbeth? Entweder habe ich unrecht verstanden, oder Ihr seid bei Gott! sehr unverschämt.«
«Ihr sprecht so, weil man uns hört, mein Herr, «erwiderte Mylady mit kaltem Tone,»und weil Ihr Eure Kerkermeister und Henker gegen mich einnehmen wollt.«
«Meine Kerkermeister, meine Henker! potz tausend, Madame, Ihr stimmt einen kuriosen Ton an, und die Komödie von gestern verwandelt sich heute Abend in eine Tragödie. Uebrigens werdet Ihr in acht Tagen da sein, wo Ihr sein sollt, und meine Aufgabe ist geendigt.«
«Schandfleck, heilloser Schandfleck!«rief Mylady mit der Begeisterung des Opfers, das seine Richter herausfordert.
«Bei meinem Ehrenwort, ich glaube, die drollige Person wird verrückt, «sagte Lord Winter.»Seid ruhig, Frau Puritanerin, oder ich lasse Euch in den Kerker werfen. Bei Gott! mein spanischer Wein steigt Euch in den Kopf, nicht wahr? Aber seid unbesorgt, diese Trunkenheit ist nicht gefährlich und wird keine Folgen haben.«
Und Lord Winter zog sich fluchend zurück, was in jener Zeit eine ganz ritterliche Gewohnheit war.
Felton stand allerdings vor der Thüre und hatte kein Wort von dieser ganzen Scene verloren.
Mylady hatte ihn richtig errathen.
«Ja, gehe, gehe!«sagte sie zu ihrem Schwager,»die Folgen kommen im Gegentheiclass="underline" aber Du sollst sie erst erfahren, wenn es nicht mehr Zeit ist, sie zu vermeiden.«
Es trat wieder eine völlige Stille ein. Zwei Stunden verliefen und man brachte das Abendbrod; man fand Mylady mit ihrem Gebet beschäftigt, mit einem Gebet, das sie von einem Diener ihres zweiten Gatten, einem äußerst strengen Puritaner, gelernt hatte. Sie schien in eine solche Begeisterung versetzt, daß man glauben konnte, sie achte ganz und gar nicht auf das, was um sie her vorging. Felton befahl durch ein Zeichen, sie nicht zu stören, und als Alles in Ordnung war, entfernte er sich geräuschlos mit den Soldaten.
Mylady wußte, daß sie beobachtet werden konnte, sie setzte deßhalb ihr Gebet bis zum Schlusse fort, und es kam ihr vor, als ob der Soldat, der an ihrer Thüre Wache hielt, nicht mehr in demselben Schritt marschirte, sondern horchte.