Man hörte in der Flur gehen, Mylady erkannte den Tritt von Lord Winter.
Felton erkannte ihn ebenfalls und machte einen Schritt gegen die Thüre.
Mylady sprang auf und sagte mit gepreßter Stimme:
«Oh! nicht ein Wort, nicht ein Wort zu diesem Menschen von Allem, was ich Euch gesagt habe, oder ich bin verloren; und Ihr seid es… Ihr…«
Als die Tritte nun näher kamen, schwieg sie aus Furcht, ihre Stimme könnte gehört werden, und legte dabei mit einer Geberde unsäglichen Schreckens ihre schöne Hand Felton auf den Mund.
Felton stieß Mylady sanft zurück und diese sank auf eine Bank.
Lord Winter ging an der Thüre vorüber, ohne stehen zu bleiben, und man vernahm das Geräusch der Tritte, wie sie sich entfernten.
Bleich wie der Tod, horchte Felton einen Augenblick mit gespanntem Ohr; als aber das Geräusch gänzlich erstorben war, athmete er wie ein Mensch, der aus einem Traume erwacht, und stürzte aus dem Zimmer.
«Ah!«sagte Mylady, als sie die Tritte Feltons in entgegengesetzter Richtung sich ebenfalls verlieren hörte,»endlich bist Du mein.«
Dann verdüsterte sich ihre Stirne wieder.
«Wenn er bei dem Baron plaudert, bin ich verloren, «sagte sie,»denn der Baron, der wohl weiß, daß ich mir nicht das Leben nehme, wird mir in seiner Gegenwart ein Messer in die Hände geben, und Felton wird sehen, daß diese ganze große Verzweiflung nur eine Spiegelfechterei war.«
Sie stellte sich vor den Spiegel und beschaute sich: nie war sie so schön gewesen.
«Oh! ja, «sprach sie lächelnd,»aber er wird nicht plaudern.«
Am Abend erschien Lord Winter, als man Mylady ihr Mahl brachte.
«Mein Herr, «sprach Mylady,»ist Eure Gegenwart eine nothwendige Beigabe meiner Gefangenschaft, und könntet Ihr mir nicht den Zuwachs an Qualen ersparen, den mir Eure Besuche verursachen?«
«Wie, meine liebe Schwester, habt Ihr mir nicht auf eine ganz empfindsame Weise mit diesem schönen, heute aber gegen mich so grausamen, Munde angekündigt, Ihr seiet einzig und allein, um mich nach Gefallen sehen zu können, nach England gekommen, nur um diesen Genuß zu haben, dessen Entbehrung Ihr so sehr fürchtetet, wie Ihr mir sagt, daß Ihr Alles dafür gewagt habt, Seekrankheit, Sturm, Gefangenschaft? Uebrigens hat mein Besuch diesmal einen Grund.«
Mylady bebte; sie glaubte, Felton habe gesprochen; nie vielleicht fühlte diese Frau, welche so mächtige und entgegengesetzte Gemütsbewegungen erfahren hatte, ihr Herz so heftig schlagen.
Sie saß; Lord Winter nahm einen Lehnstuhl, stellte ihn neben sie, setzte sich und zog ein Papier aus seiner Tasche, das er langsam entfaltete.
«Hört, «sprach er,»ich wollte Euch diesen Paß zeigen, den ich selbst abgefaßt habe, und der Euch als Verhaltungs-Vorschrift in dem Leben dienen soll, das ich Euch lasse.«
Dann las er, seine Augen von Mylady ab und nach dem Papier wendend:
«Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach… der Name ist noch nicht eingetragen, «unterbrach sich Winter,»wenn Ihr einem Orte den Vorzug gebt, so sagt es mir; beträgt die Entfernung wenigstens zwei tausend Meilen von London, so soll Euch willfahrt werden. Ich fahre also fort: Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach… zu führen. Sie wird an diesem Orte bleiben, ohne sich je mehr als drei Meilen davon zu entfernen. Im Fall eines Fluchtversuches soll die Todesstrafe an ihr vollzogen werden. Sie erhält täglich fünf Schillinge für Kost und Wohnung.«
«Dieser Befehl betrifft mich nicht, «sprach Mylady kalt,»da ein anderer Name als der meinige, eingetragen ist.«
«Ein Name! habt Ihr einen Namen?«
«Ich habe den Eures Bruders.«
«Ihr täuscht Euch; mein Bruder ist nur Euer zweiter Gatte, und der erste lebt noch. Sagt mir seinen Namen und ich werde ihn an die Stelle von Charlotte Backson setzen. Nicht? Ihr wollt nicht?… Ihr schweigt. Gut; Ihr werdet unter dem Namen Charlotte Backson in das Gefangenen-Register eingetragen.«
Mylady blieb stumm; diesmal aber geschah es nicht aus Verstellung, sondern vor Schrecken. Sie glaubte, der Befehl werde alsbald vollstreckt werden; sie fürchtete, Lord Winter habe ihre Abreise beschleunigt; sie glaubte sich verurtheilt, schon an demselben Abend weggebracht zu werden; für einen Augenblick war in ihrem Innern Alles verloren, als sie plötzlich bemerkte, daß der Befehl noch nicht mit einer Unterschrift versehen war.
Die Freude, welche ihr diese Entdeckung gewährte, war so groß, daß sie nicht die Kraft besaß, sie zu verbergen.
«Ja, ja, «sprach Lord Winter, als er wahrnahm, was in ihr vorging,»ja, Ihr sucht die Unterschrift, und sagt Euch:»»Noch ist nicht Alles verloren, da diese Akte nicht unterzeichnet ist. Man zeigt sie mir, um mir Schrecken einzuflößen, das ist das Ganze.««Ihr täuscht Euch: morgen wird dieser Befehl Lord Buckingham zugeschickt, übermorgen kommt er von seiner Hand unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen zurück, und vierundzwanzig Stunden nachher, dafür stehe ich Euch, beginnt der Anfang der Vollstreckung. Gott befohlen, Madame, ich habe Euch sonst nichts zu sagen.«
«Und ich, mein Herr, erkläre Euch, daß dieser Mißbrauch der Gewalt, daß diese Verbannung unter einem fremden Namen eine Niederträchtigkeit ist.«
«Wollt Ihr vielleicht lieber unter Euerem eigenen Namen gehenkt werden? Ihr wißt, die englischen Gesetze sind unerbittlich im Punkte einer Doppelehe; erklärt Euch ganz offen; obgleich mein Name oder vielmehr der meines Bruders in diese Geschichte verflochten ist, scheue ich doch den Scandal eines öffentlichen Prozesses nicht, wenn ich überzeugt sein kann, daß ich mit Einem Schlag von Euch befreit werde.«
Mylady antwortete nicht, wurde aber leichenblaß.
«Oh, ich sehe, daß Ihr die Auswanderung vorzieht. Vortrefflich, Madame, ein altes Sprichwort behauptet: Reisen bilden die Jugend. Meiner Treu, Ihr habt nicht ganz Unrecht, das Leben ist so schön! Darum habe ich auch ganz und gar keine Lust, mich von Euch umbringen zu lassen. Es bleibt also noch der Punkt der fünf Schillinge zu ordnen; ich zeige mich hier etwas sparsam, nicht wahr? Das kommt davon her, daß ich Euch die Möglichkeit rauben will. Eure Wächter zu bestechen. Uebrigens besitzt Ihr immer noch Eure Reize, um sie zu verführen. Benützt sie, wenn der Umstand, daß Ihr bei Felton gescheitert seid, Euch nicht einen Widerwillen gegen dergleichen Versuche beigebracht hat.«
«Felton hat nicht gesprochen, «sagte Mylady zu sich selbst,»noch ist nichts verloren.«
«Und nun, Madame, auf Wiedersehen! Morgen werde ich Euch den Abgang meines Boten melden.«
Lord Winter stand auf, verbeugte sich ironisch vor Mylady und verließ das Zimmer.
Mylady athmete: sie hatte noch vier Tage vor sich, vier Tage genügten ihr, um Felton vollends zu verführen.
Ein furchtbarer Gedanke tauchte in ihr auf, der Gedanke, Lord Winter könnte Felton selbst abschicken, um den Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen; auf diese Art entging ihr Felton, denn es bedurfte des Zaubers einer fortwährenden Verführung, wenn die Gefangene ihren Plan zum Ziel führen sollte.
Doch, wie gesagt, ein Umstand beruhigte sie; Felton hatte nicht gesprochen.
Sie wollte sich nicht das Ansehen geben, als ob Winters Drohungen ihr zu Herzen gingen; deßhalb setzte sie sich zu Tisch und speiste.
Dann warf sie sich, wie am Tage vorher, auf die Kniee und betete laut. Der Soldat hörte, wie am Tage vorher auf, im Gange umherzumarschiren, blieb vor der Thüre stille stehen und lauschte.
Bald vernahm sie leichtere Tritte, als die der Wache, welche aus dem Hintergrunde der Flur kamen und vor ihrer Thüre still anhielten.
«Er ist es, «sagte sie.