Und sie stimmte denselben religiösen Gesang an, der am Abend vorher Felton so sehr exaltirt hatte.
Aber ihre Thüre blieb verschlossen, obgleich ihre sanfte, volle, sonore Stimme harmonischer, ergreifender vibrirt hatte, als je. Wohl glaubte Mylady bei einem flüchtigen Blicke, den sie nach dem Gitter warf, die glühenden Augen des jungen Mannes gesehen zu haben, aber ob es nun Wirklichkeit oder eine Vision war, diesmal hatte er die Macht über sich selbst, nicht einzutreten.
Nur meinte Mylady einige Augenblicke, nachdem sie ihren religiösen Gesang vollendet hatte, einen tiefen Seufzer zu vernehmen; dann entfernten sich dieselben Tritte, welche sie kommen gehört hatte, langsam und mit Widerwillen.
XXVII. Vierter Tag der Gefangenschaft
Als Felton am andern Tage bei Mylady eintrat, stand sie auf einem Stuhle und hielt einen, mittelst mehrerer in Streifen zerrissener Batistsacktücher geflochtenen Strick in der Hand. Bei dem Geräusch, das Felton durch das Oeffnen der Thüre verursachte, sprang Mylady leise vom Stuhle herab und suchte den improvisirten Strick hinter sich zu verbergen.
Der junge Mann war noch bleicher als gewöhnlich, und seine von der Schlaflosigkeit gerötheten Augen verriethen, daß er eine fieberhafte Nacht zugebracht hatte.
Aber seine Stirne war mehr als je mit einem tiefen Ernst bewaffnet.
Er ging langsam auf Mylady, die sich niedergesetzt hatte, zu, nahm das mörderische Geflechte, das sie aus Unachtsamkeit oder absichtlich hatte vorsehen lassen, an einem Ende und fragte kalt:
«Was soll das bedeuten, Madame?«
«Dies? nichts, «erwiderte Mylady, indem sie mit jenem schmerzhaften Ausdruck, den sie ihren Zügen so gut zu geben wußte, lächelte.»Die Langweile ist, wie Ihr wißt, der Todfeind der Gefangenen. Ich langweilte mich und suchte mich durch das Flechten dieses Strickes zu zerstreuen.«
Felton schaute nach dem Punkte an der Wand, vor dem er Mylady auf dem Stuhle stehend getroffen hatte, auf welchem sie jetzt saß, und er gewahrte über ihrem Kopfe eine vergoldete Krampe in der Mauer befestigt, die zum Aufhängen von Waffen oder Kleidern bestimmt war.
«Und warum standet Ihr auf diesem Stuhle?«fragte er.
«Was kümmert das Euch?«entgegnete Mylady.
«Aber ich wünsche es zu wissen.«
«Fragt mich nicht, «sagte die Gefangene:»Ihr wißt wohl, daß es uns wahren Christen verboten ist, zu lügen.«
«Nun ich will Euch sagen, «sprach Felton,»was Ihr thatet, oder was Ihr vielmehr thun wolltet. Ihr wolltet den unseligen Gedanken zur Ausführung bringen, den Ihr in Eurem Innern nährt. Wenn Euer Gott die Lüge verbietet, Madame, so verbietet er noch viel strenger den Selbstmord.«
«Wenn Gott eines von seinen Geschöpfen, ungerechter Weise verfolgt, zwischen Selbstmord und Schande gestellt sieht, «antwortete Mylady im Tone tiefer Ueberzeugung,»glaubt mir, mein Herr, dann vergibt Gott den Selbstmord, denn der Selbstmord wird zum Märtyrthum.«
«Ihr sagt zu viel oder zu wenig; sprecht, Madame, ums Himmels willen, erklärt Euch.«
«Soll ich Euch die Unglücksfälle meines Lebens erzählen, damit Ihr sie für Märchen erkläret? Soll ich Euch meine Pläne nennen, damit Ihr sie meinem Verfolger angebt? Nein, mein Herr. Ueberdies was liegt Euch am Leben oder Tod einer unglücklichen Verdammten! Ihr seid nur für meinen Leib verantwortlich, insofern man, wenn Ihr einen Leichnam zeigt, der als der meinige erkannt wird, nicht mehr von Euch verlangen wird. Ja, vielleicht erhaltet Ihr sogar doppelten Lohn dafür?«
«Ich, Madame, ich!«rief Felton,»Ihr könnt glauben, ich würde den Preis Eures Lebens annehmen? O Ihr glaubt nicht, was Ihr da sprecht.«
«Laßt es gut sein, Felton, laßt es gut sein, «sprach Mylady voll Heftigkeit.»Jeder Soldat ist ehrgeizig, nicht wahr? Ihr seid ein Lieutenant; nun Ihr werdet meinem Leichenzuge mit dem Grad eines Kapitäns folgen.«
«Aber was habe ich Euch denn gethan, «rief Felton erschüttert,»daß Ihr mir eine solche Verantwortlichkeit vor Gott und den Menschen aufbürdet? In einigen Tagen seid Ihr ferne von hier, Madame; Euer Leben steht nicht mehr unter meiner Bewachung, und dann, «fügte er mit einem Seufzer bei,»dann werdet Ihr thun, was Euch beliebt.«
«Also Ihr, «sprach Mylady, als ob sie einer heiligen Entrüstung nicht länger widerstehen könnte,»Ihr ein heiliger Mann, Ihr, den man einen Gerechten nennt, Ihr verlangt nichts Anderes, als daß man Euch wegen meines Todes nicht eines Versehens beschuldigen könne?«
«Ich muß über Euer Leben wachen, Madame, und werde darüber wachen.«
«Aber begreift Ihr auch den Auftrag, den Ihr erfüllt? Ist er schon grausam, selbst wenn ich schuldig wäre, welchen Namen werdet Ihr ihm geben, welchen Namen wird ihm der Herr geben, wenn ich unschuldig bin?«
«Ich bin Soldat, Madame, und vollziehe die Befehle, die ich erhalten habe.«
«Glaubt Ihr, daß Gott beim jüngsten Gerichte die blinden Henker von den ungerechten Richtern trennen wird? Ihr wollt nicht, daß ich meinen Leib tödte, und macht Euch zum Werkzeug des Menschen, der meine Seele tödten will.«
«Ich wiederhole, «versetzte Felton erschüttert,»es droht Euch keine Gefahr, und ich stehe für Lord Winter, wie für mich selbst.«
«Wahnsinniger!«rief Mylady,»armer Wahnsinniger, der für einen andern Menschen stehen will, während die Weisesten, die Gottgefälligsten nicht wagen können, für sich selbst zu stehen, und der sich auf die stärkere, glücklichere Partei schlägt, um ein schwaches, unglückliches Geschöpf niederzutreten!«
«Unmöglich, Madame, unmöglich, «murmelte Felton, der in Gefangene werdet Ihr durch mich nicht die Freiheit erhalten, als Lebende erhaltet Ihr durch mich nicht den Tod.«
«Ja, «rief Mylady,»ich werde verlieren, was mir theurer ist, als das Leben; ich werde die Ehre verlieren, Felton, und Euch, Euch mache ich vor Gott und den Menschen für meine Schmach, meine Schande verantwortlich.«
Diesmal konnte Felton trotz seiner wirklichen oder scheinbaren Unempfindlichkeit dem Einflusse nicht widerstehen, der sich seiner bereits bemächtigt hatte. Diese schöne Frau, so weiß wie die reinste Vision, bald in Thränen zerfließend, bald drohend zu sehen, der Macht des Schmerzes und der Schönheit bloßgestellt zu sein, das war zu viel für ein durch glühende Träume eines exaltirten Glaubens bereits unterhöhltes Gehirn, für ein zugleich von der brennenden Liebe des Himmels und von dem verzehrenden Hasse der Menschen zernagtes Herz.
Mylady sah seine Unruhe; sie fühlte durch innere Anschauung die Flamme entgegengesetzter Leidenschaften, welche in den Adern des jungen Fanatikers brannten, und einem geschickten Generale gleich, der, wenn er sieht, daß der Feind zurückweichen will, mit einem Siegesgeschrei auf ihn losmarschirt, stand sie auf, ging wie eine schöne Priesterin des Alterthums, begeistert wie eine christliche Jungfrau, den Arm ausgestreckt, mit fliegenden Haaren, mit einer Hand schamhaft das über der Brust zusammengezogene Kleid haltend, den Blick erleuchtet von dem Feuer, das bereits eine Verwirrung in den Sinnen des jungen Puritaners hervorgebracht hatte, auf ihn zu und rief mit ihrer sanften Stimme, der sie bei dieser Gelegenheit eine furchtbare Gewalt verlieh:
«So wirf sein Opfer vor den Baal, Und wirf den Märtyrer dem Löwen vor. Gott weckt in Dir der Reue Qual, Vom Abgrund dringt mein Ruf zu ihm empor.«
Felton blieb wie versteinert auf seiner Stelle.
«Wer seid Ihr? wer seid Ihr?«rief er die Hände faltend.»Seid Ihr Engel oder Teufel! Heißt Ihr Eloah oder Astarte?«
«Hast Du mich nicht erkannt, Felton? Ich bin weder ein Engel noch ein Teufel. Ich bin eine Tochter der Erde, ich bin eine Schwester Deines Glaubens und nichts weiter.«
«Ja, ja, «sprach Felton,»ich zweifelte noch, aber jetzt glaube ich.«
«Du glaubst und bist dennoch der Schuldgenosse dieses Belialskindes, das man Lord Winter nennt? Du glaubst und lässest mich in den Händen meiner Feinde, des Feindes von England, des Feindes Gottes. Du glaubst, und dennoch überantwortest Du mich demjenigen, welcher die Welt mit seinen Ketzereien und Ausschweifungen erfüllt und befleckt, diesem schändlichen Sardanapal, den die Blinden den Herzog von Buckingham und die Gläubigen den Antichrist nennen!«