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Der junge Mann trat rasch in das Zimmer ein, ließ die Thüre hinter sich offen und bedeutete Mylady durch ein Zeichen, sie möge schweigen. Sein Gesicht war ganz verstört.

«Was wollt Ihr von mir?«sagte sie.

«Hört, «antwortete Felton mit leiser Stimme;»ich habe die Wache entfernt, um hier bleiben zu können, ohne daß man weiß, daß ich gekommen bin, um mit Euch sprechen zu können, ohne daß man hört, was ich Euch sage. Der Baron hat mir eine furchtbare Geschichte erzählt.«

Mylady nahm wieder das Lächeln des in sein Schicksal ergebenen Opfers an.

«Entweder seid Ihr ein Teufel, oder der Baron, mein Wohlthäter, mein Vater, ist ein Ungeheuer. Ich kenne Euch seit vier Tagen, ich liebe ihn seit zehn Jahren. Ich darf also in der Wahl zwischen Euch beiden wohl bedenklich sein. Erschreckt nicht über das, was ich Euch sage. Ich bedarf der Ueberlegung; ich komme nach Mitternacht zu Euch und Ihr werdet mich überzeugen.«

«Nein, Felton, nein, mein Bruder, «entgegnete sie.»Das Opfer ist zu groß, und ich fühle, was es Euch kostet. Nein, ich bin verloren, richtet Euch nicht auch zu Grunde. Mein Tod wird viel beredter sein, als mein Leben, und das Stillschweigen des Leichnams wird Euch eher überzeugen, als das Wort der Gefangenen.«

«Schweigt, Madame!«rief Felton,»und laßt mich nicht solche Worte hören. Ich bin gekommen, damit Ihr mir bei Eurer Ehre gelobet, damit Ihr mir schwöret bei Allem, was heilig ist, nicht Hand an Euer Leben zu legen.«

«Ich will nicht geloben, «antwortete Mylady,»denn Niemand achtet den Eid so sehr wie ich, und wenn ich geloben würde, dann müßte ich es auch halten.«

«Gut, «sagte Felton,»so versprecht es wenigstens nur bis zu dem Augenblick, wo wir uns wiedergesehen haben werden. Besteht Ihr auf Eurer Absicht, wenn wir uns wiedergesehen haben, so seid Ihr frei, und ich selbst gebe Euch die Waffe, die Ihr von mir verlangt.«

«Es sei!«sagte Mylady,»Euch zu Liebe werde ich warten.«

«Schwöret mir!«

«Ich schwöre bei unserem Gott! Seid Ihr zufrieden?«

«Wohl, «erwiderte Felton,»heute Nacht also!«

Und er stürzte aus dem Zimmer, verschloß die Thüre, und blieb außen, die Halbpike des Soldaten in der Hand haltend, als ob er die Wache bezogen hätte.

Der Soldat kam zurück, Felton gab ihm seine Waffe wieder.

Mylady sah nun durch das Gitter der Thüre, dem sie sich genähert hatte, wie sich der junge Mann mit allen Zeichen einer irrsinnigen Inbrunst geberdete und in einer Art von Entzücken durch die Hausflur wegeilte. Sie aber kehrte, ein Lächeln wilder Verachtung auf den Lippen, an ihren Platz zurück und wiederholte lächelnd den furchtbaren Namen Gottes, bei welchem sie geschworen, ohne ihn je kennen gelernt zu haben.

«Mein Gott, «sagte sie,»wahnsinniger Fanatiker, mein Gott bin ich selbst und derjenige, welcher mir zu meiner Rache verhelfen wird.«

XXVIII. Fünfter Tag der Gefangenschaft

Mylady war bereits zu einem halben Triumph gelangt und der Erfolg verdoppelte ihre Kräfte.

Bisher hatte sie keine große Mühe gehabt, um Menschen zu besiegen, welche sich leicht verführen ließen und von der galanten Erziehung des Hofes rasch in die Falle gelockt wurden. Mylady war schön genug, um die Sinne zu reizen, und geschickt genug, um alle Hindernisse des Geistes zu überwältigen.

Aber diesmal hatte sie gegen eine rohe und in ihrer Strenge unempfindliche Natur zu kämpfen. Die Religion und die Buße hatten Felton für gewöhnliche Versuchungsmittel unempfänglich gemacht. In diesem exaltirten Kopfe bewegten sich so weit umfassende Pläne, so stürmische Entwürfe, daß darin kein Platz mehr für die Liebe war, für dieses Gefühl, das sich durch die Muße nährt und durch die Verdorbenheit der Sitten groß wird.

Mylady hatte mit ihrer falschen Tugend in der Meinung eines gegen sie eingenommenen Mannes, und durch ihre Schönheit in dem Herzen und in den Sinnen eines unschuldigen Menschen Bresche gemacht.

Nichtsdestoweniger verzweifelte sie manchmal während dieses Abends an dem Geschicke und an sich selbst. Sie rief Gott nicht an, wie wir wissen, sie hegte Vertrauen zu dem Geiste des Bösen, dieser ungeheuern Souveränetät, welche in allen Einzelnheiten des menschlichen Lebens herrscht, und für die wie in der arabischen Fabel ein Granatkern hinreicht, um eine ganze verlorene Welt wieder aufzubauen.

Gut auf den Empfang Feltons vorbereitet, konnte Mylady ihre Batterien für den andern Tag aufpflanzen; sie wußte, daß ihr nur noch zwei Tage übrig blieben, daß, wenn der Befehl einmal von Buckingham unterzeichnet war (und Buckingham mußte ihn um so leichter unterzeichnen, als in dem Befehl ein falscher Name eingetragen war und er die Frau, um die es sich handelte nicht zu erkennen vermochte), daß, wenn dieser Befehl einmal unterzeichnet war, sagen wir, der Baron sie sogleich einschiffen würde; sie wußte auch, daß die zur Deportation verurtheilten Frauen sich minder mächtiger Waffen bei ihren Verführungsplänen bedienen, als die angeblich tugendhaften Frauen, deren Schönheit die Sonne der Welt bescheint, deren Geist die Stimme der Mode rühmt, die ein Wiederschein der Aristokratie mit seinem zauberhaften Glanze vergoldet. Eine zu einer entehrenden Strafe verurtheilte Frau kann immer noch schön sein, aber nicht so leicht wieder zur Macht gelangen. Wie alle Menschen von wahrem Genie kannte Mylady die ihrer Natur und ihren Mitteln zusagende Mitte. Die Armuth widerstrebte ihr, der Zustand der Verachtung minderte ihre Größe um zwei Drittheile. Mylady war nur Königin unter den Königinnen. Ihre Herrschaft bedurfte der Lust befriedigten Stolzes; untergeordnete Menschen zu beherrschen, war für sie eher eine Demüthigung als ein Vergnügen.

Gewiß wäre sie aus ihrer Verbannung zurückgekehrt, daran zweifelte sie nicht einen Augenblick; aber wie lange konnte diese Verbannung dauern? Für eine thätige, ehrgeizige Natur, wie Mylady, sind die Tage, wo man nicht emporsteigt, verlorene Unglückstage. Wie soll man also die Tage nennen, wo man nur hinabsteigt? Ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre verlieren, das ist eine Ewigkeit. Vielleicht nach dem Tode oder der Ungnade des Kardinals zurückkommen, zurückkommen, wenn d'Artagnan und seine Freunde glücklich und triumphirend die wohl verdiente Belohnung für ihre Dienste erhalten hatten: das waren verzehrende Gedanken, welche eine Frau, wie Mylady, nicht ertragen konnte. Der Sturm, welcher in ihr tobte, verdoppelte indessen ihre Kraft, und sie hätte die Wände ihres Kerkers gesprengt, wenn ihr Körper einen Augenblick die Verhältnisse ihres Geistes anzunehmen vermocht hätte.

Unter all diesen Gemüthsbewegungen wurde sie ganz besonders noch durch die Erinnerung an den Kardinal gepeinigt. Was mußte der unruhige, mißtrauische, argwöhnische Kardinal von ihrem Stillschweigen denken und sagen? der Kardinal, nicht nur ihre einzige Stütze, ihr einziger Beschützer in der Gegenwart, sondern auch das Hauptwerkzeug ihres künftigen Glückes, ihrer zukünftigen Rache? Sie kannte ihn: sie wußte, daß sie bei ihrer Rückkehr immerhin eine vergebliche Reise und ihre Gefangenschaft vorschützen, daß sie immerhin die ausgestandenen Leiden mit den schwärzesten Farben ausmalen mochte, der Kardinal würde ihr mit jener spöttischen Ruhe des zugleich durch die Kraft und das Genie mächtigen Skeptikers antworten:»Ihr hättet Euch nicht fangen lassen sollen!«

Mylady raffte ihre ganze Energie zusammen, murmelte in der Tiefe ihrer Gedanken den Namen Felton, den einzigen Strahl, der bis in die Hölle drang, in die sie gestürzt war, und der Schlange ähnlich, welche ihre Ringe rollt und entrollt, um sich, ihrer Kraft recht bewußt zu werden, hüllte sie Felton zum Voraus in die tausend Falten ihrer erfindungsreichen Einbildungskraft.

Indessen verlief die Zeit. Die Stunden schienen eine nach der andern im Vorübergehen die Glocke zu erwecken, und jeder Ton des ehernen Schlägels hallte in dem Herzen der Gefangenen wieder.