«Ich sah die Lampe, welche hinaufgezogen wurde und mich allmälig in der Finsterniß ließ.
«Dann hörte ich das Geräusch der Thüre, das mir so wohl bekannt war, obgleich sich diese Thüre nur zweimal geöffnet hatte.
«Ich fühlte instinktmäßig, daß man sich mir näherte; man sagt, der Unglückliche, der in den Wüsten Amerikas umherirre, fühle auf solche Art die Annäherung der Schlange.
«Ich wollte meine Kräfte zusammenraffen, ich versuchte zu schreien; durch eine unglaubliche Willensanstrengung hob ich mich sogar in die Höhe, doch nur, um sogleich wieder zurückzufallen.«
«Aber sagt mir endlich, wer war denn Euer Verfolger?«rief der junge Offizier.
Mylady überschaute mit einem Blicke, welche Pein sie Felton dadurch verursachte, daß sie bei allen Einzelnheiten ihrer Geschichte so lange verweilte; aber sie wollte ihm keine Folter ersparen. Je mehr sie ihm das Herz zu brechen vermochte, desto gewisser mußte er sie rächen. Sie fuhr also dießmal ebenfalls fort, als ob sie seinen Ausruf nicht gehört hätte, oder als ob sie glaubte, der Augenblick, ihm zu antworten, sei noch nicht gekommen.
«Als er mich anblickte, hörte ich ihn schreien:»»Diese elenden Puritaner! ich wußte wohl, daß sie ihre Henker ermüdeten, hielt sie aber für minder stark gegen ihre Verführer.««
Felton hörte zu, ohne daß er etwas Anderes vernehmen ließ, als eine Art von Schnauben; der kalte Schweiß rieselte von seiner Marmorstirne, und seine unter dem Rock verborgene Hand zerfleischte seine Brust.
«Meine erste Bewegung, «fuhr Mylady fort,»als ich zu mir selbst kam, war, daß ich unter dem Kopfkissen das Messer suchte, welches ich nicht hatte erreichen können; hatte es nicht zur Verteidigung gedient, so konnte es wenigstens zur Sühnung dienen.
«Als ich aber dieses Messer ergriff, kam mir ein furchtbarer Gedanke. Ich habe geschworen, Euch Alles zu sagen und werde Euch Alles sagen; ich habe Euch Wahrheit versprochen und werde mein Wort halten, und sollte ich dabei zu Grunde gehen.«
«Es kam Euch der Gedanke, an diesem Menschen Rache zu nehmen, nicht wahr?«rief Felton.
«Nun! ja, «erwiderte Mylady,»ich weiß wohl, dieser Gedanke ziemte sich nicht für eine Christin. Ohne Zweifel blies ihn der ewige Feind unserer Seele meinem Geiste ein. Nun, was soll ich Euch noch weiter sagen, Felton, «fuhr Mylady mit dem Tone eines Weibes fort, das sich eines Verbrechens anklagt,»dieser Gedanke kam mir und verließ mich nicht mehr. Für diese mörderische Absicht habe ich jetzt vielleicht die Strafe zu tragen.«
«Fahrt fort, fahrt fort, «rief Felton,»es drängt mich, Euch zur Rache gelangen zu sehen.«
«Oh! ich beschloß, sie so bald als möglich in das Werk zu setzen, ich zweifelte nicht daran, daß er in der nächsten Nacht wieder kommen würde. Bei Tage hatte ich nichts zu befürchten.
«Als die Frühstücksstunde kam, zögerte ich nicht zu essen und zu trinken; ich war entschlossen, mich zu stellen, als speise ich auch zu Nacht, aber nichts zu mir zu nehmen, und mußte also durch die Nahrung am Morgen das Fasten am Abend bekämpfen.
«Von meinem Frühstück nahm ich ein Glas Wasser und verbarg es, weil mich der Durst am meisten gepeinigt hatte, als ich achtundvierzig Stunden ohne Speise und Trank geblieben war.
«Der Tag verging ohne einen andern Einfluß auf mich, als daß er mich in meinem Entschluß bestärkte; nur war ich dafür besorgt, daß mein Gesicht durch Nichts den Gedanken meiner Seele kundgab, denn ich zweifelte nicht daran, daß man mich beobachtete; wiederholt fühlte ich sogar ein Lächeln auf meinen Lippen. Felton, ich wage es nicht, Euch zu gestehen, bei welchem Gedanken ich lächelte, Ihr könntet von Abscheu gegen mich ergriffen werden.«
«Fahrt fort, fahrt fort, «sprach Felton,»Ihr seht wohl, daß ich höre, und daß es mich drängt, zum Ende zu gelangen.«
«Der Abend kam, «fuhr Mylady fort,»die gewöhnlichen Ereignisse traten ein; mein Abendbrod wurde wie in den vorhergehenden Tagen in der Dunkelheit servirt, dann erleuchtete sich die Lampe und ich setzte mich zu Tische.
«Ich aß nur etwas Obst, stellte mich, als ob ich ein wenig Wasser aus der Flasche einschenkte, trank sodann dasjenige, das ich mir in meinem Glase aufbewahrt hatte, suchte dabei jedoch so geschickt zu manövriren, daß meine Spione, wenn ich welche hatte, keinen Verdacht schöpfen konnten.
«Nach dem Abendbrod gab ich dieselben Zeichen der Erstarrung kund, wie am Tage vorher, aber diesmal that ich, als ob ich entschlummerte, wie wenn ich der Müdigkeit unterläge, oder wie wenn ich mich an die Gefahr gewöhnt hätte.
«Nun fand ich mein Messer, und während ich mich schlafend stellte, preßte ich krampfhaft das Heft in der Hand.
«Es vergingen zwei Stunden, ohne daß etwas Neues vorfiel. Jetzt, o mein Gott! wer mir das am Tage vorher gesagt hätte, jetzt fürchtete ich, er könnte nicht kommen.
«Endlich sah ich die Lampe sachte sich erheben und in der Vertiefung das Plafond verschwinden; mein Zimmer erfüllte sich mit Finsterniß, aber ich strengte mich an, die Dunkelheit mit meinem Blicke zu durchdringen.
«Es gingen etwa zehn Minuten vorüber, ich hörte kein anderes Geräusch, als die Schläge meines Herzens.
«Ich flehte den Himmel an, er möge ihn kommen lassen.
«Endlich hörte ich das bekannte Knarren der Thüre, die sich öffnete und wieder schloß. Trotz eines dicken Teppichs erdröhnte der Boden unter einem Tritte und ich sah unerachtet der Finsterniß einen Schatten, der sich mir näherte.«
«Eilt, eilt!«unterbrach Felton die Erzählerin,»seht Ihr nicht, daß mich jedes Eurer Worte brennt, wie geschmolzenes Blei?«
«Da raffte ich alle meine Kräfte zusammen, «fuhr Mylady fort;»ich erinnerte mich, daß die Stunde der Rache oder vielmehr der Gerechtigkeit geschlagen hatte, ich sah mich wie eine zweite Judith an, ich hielt mein Messer in der Hand, und als ich bemerkte, daß er mir nahe genug war, stieß ich es ihm mit einem letzten Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung mitten auf die Brust.
«Der Elende! er hat Alles vorhergesehen, seine Brust war durch ein Panzerhemd beschützt, die Messerspitze sprang ab.
«Ah! ah!«rief er, indem er mich beim Arme ergriff und mir die Waffe entriß, die mich so schlecht bedient hatte,»»Ihr trachtet mir nach dem Leben, schöne Puritanerin; aber das ist mehr als Haß, das ist Undankbarkeit. Beruhigt Euch, mein schönes Kind; ich glaubte, Ihr wäret zahm geworden. Ich bin keiner von den Tyrannen, welche die Frauen mit Gewalt zurückhalten. Ihr liebt mich nicht? Ich bezweifelte es in meiner Eitelkeit, nun bin ich überzeugt. Morgen seid Ihr frei.««
«Ich hatte nur ein einziges Verlangen, nämlich von ihm getödtet zu werden.
«Nehmt Euch in Acht,««sprach ich,»»denn meine Freiheit ist Eure Schande.««
«Erklärt Euch deutlicher, schöne Sibylle.««
«Ja, denn sobald ich diesen Ort verlassen habe, sage ich Alles; ich sage, welche Gewaltthat Ihr an mir verübt habt; mit lauter Stimme erzähle ich der Welt von meiner Gefangenschaft, von diesem Schlosse der Ehrlosigkeit. Ihr seid sehr hoch gestellt, aber zittert! Ueber Euch ist ein König! über dem König lebt ein Gott!««
«So sehr mein Verfolger noch Herr über sich zu sein schien, so vermochte er doch eine Bewegung des Zornes nicht zu bewältigen. Ich konnte den Ausdruck seines Gesichtes nicht sehen, aber ich fühlte, wie sein Arm zitterte, auf. dem meine Hand lag.»»Dann werdet Ihr nicht von hinnen gehen,««sprach er.
«Gut! gut!««rief ich,»»die Stelle meines Todes wird auch die Stelle meines Grabes sein. Ich werde hier sterben, und Ihr werdet sehen, ob ein Gespenst, das anklagt, nicht furchtbarer ist, als ein Lebender mit allen seinen Drohungen.««
«Man wird Euch keine Waffen lassen.««
«Es gibt eine, welche die Verzweiflung jedem Menschen zugänglich gemacht hat, wenn er nur den Muth besitzt, sich ihrer zu bedienen. Ich werde mich aushungern.««
«Hört,««sprach der Elende,»»ist der Friede nicht mehr werth, als ein solcher Krieg? Ich schenke Euch sogleich die Freiheit, ich erkläre Euch für eine Tugend, ich nenne Euch die Lukretia Englands.««