«Und ich sage, daß Ihr der Sextus seid, ich klage Euch vor den Menschen an, wie ich Euch vor Gott angeklagt habe, und wenn es sein muß, unterzeichne ich, wie Lucretia, meine Anklage mit Blut.««
«Ah! ah!««erwiderte mein Feind mit spöttischem Tone,»»das ist etwas Anderes. Meiner Treu, Ihr seid im Ganzen hier sehr gut, es soll Euch an nichts fehlen, und wenn Ihr Hungers sterbt, so ist es Eure eigene Schuld.««
«Nach diesen Worten entfernte er sich, ich hörte die Thüre öffnen und schließen. Ich war wie niedergeschmettert, und zwar, das gestehe ich, weniger durch meinen Schmerz, als durch die Schmach, nicht gerächt zu sein.
«Er hielt Wort. Der ganze Tag, die ganze Nacht verging, ohne daß ich ihn wieder sah, aber auch ich hielt Wort und berührte weder Speise noch Trank, denn ich war entschlossen, mich durch den Hunger zu tödten.
«Ich brachte den Tag und die Nacht in Gebeten hin, denn ich hoffte, Gott würde mir meinen Selbstmord vergeben.
«In der zweiten Nacht öffnete sich die Thüre. Ich lag auf dem Boden, die Kräfte verließen mich allmälig.
«Bei dem Geräusch richtete ich mich auf eine Hand auf.
«Nun!««sprach eine Stimme, die zu furchtbar in meinen Ohren klang, als daß ich sie nicht hätte erkennen sollen,»»nun! sind wir ein wenig besänftigt, werden wir unsere Freiheit mit dem einfachen Versprechen zu schweigen bezahlen? Hört, ich bin ein guter Mensch,««fügte er bei,»»und obgleich ich die Puritaner nicht liebe, lasse ich ihnen, wie den Puritanerinnen, wenn sie hübsch sind, Gerechtigkeit widerfahren. Auf, leistet mir einen kleinen Eid auf das Kreuz, mehr verlange ich nicht.««
«Auf das Kreuz!««rief ich mich erhebend, denn beim Ton der verhaßten Stimme hatte ich meine ganze Kraft wieder gewonnen:»»auf das Kreuz schwöre ich, daß kein Versprechen, keine Drohung, keine Marter mir den Mund verschließen soll; auf das Kreuz schwöre ich Euch als einen Mörder, als einen Ehrenräuber, als einen Elenden anzuklagen; auf das Kreuz schwöre ich, daß ich, wenn es mir je gelingt, diesen Ort zu verlassen, im Namen des ganzen Menschengeschlechts Rache gegen Euch fordern werde.««
«Nehmt Euch in Acht,««erwiderte er mit einer drohenden Betonung, die ich noch nicht von ihm gehört hatte,»»es steht mir ein Mittel zu Gebot, das ich nur im äußersten Falle anwenden werde, um Euch den Mund zu verschließen, oder wenigstens zu verhindern, daß man auch nur ein Wort von dem glaubt, was Ihr aussagt.««
«Ich raffte alle meine Kräfte zusammen, um ihm mit einem schallenden Gelächter zu antworten…
«Er sah, daß unter uns nun ein Krieg auf Leben und Tod ausgebrochen war.
«Hört,««sagte er,»»ich gebe Euch noch den Rest der Nacht und den morgigen Tag. Bedenkt wohl. Versprecht zu schweigen, und Reichthum, Achtung, Ehre soll Euch umgeben; droht Ihr zu sprechen, so überantworte ich Euch der Schande.««»»Ihr?««rief ich,»»Ihr?««
«Der ewigen, untilgbaren Schande.««»»Ihr?««wiederholte ich.»Ah! ich sage Euch, Felton, ich hielt ihn für wahnsinnig.
«Oh! laßt mich,««rief ich,»»geht, wenn Ihr nicht wollt, daß ich mir in Eurer Gegenwart die Hirnschale an der Wand zerschmettere.««
«Gut, Ihr wollt es so haben; morgen Abend also.««»»Morgen Abend,««erwiderte ich, sank auf den Boden nieder und biß vor Wuth in den Teppich.«
Felton stützte sich auf einen Schrank und Mylady sah mit teuflischer Freude, daß der junge Offizier vielleicht nicht die Kraft haben würde, die Erzählung bis zu Ende zu hören.
XXIX. Ein Vorwurf zu einer klassischen Tragödie
Nach einem kurzen Stillschweigen, während dessen Mylady den jungen Offizier, der ihr zuhörte, zu beobachten beschäftigt war, fuhr sie in ihrer Erzählung fort:
«Ich hatte beinahe drei Tage nichts gegessen und nichts getrunken, und war furchtbaren Qualen preisgegeben; zuweilen zog es wie Wolken über meine gepreßte Stirne hin, meine Augen verschleierten sich, meine Gedanken geriethen in Verwirrung.
«Der Abend kam; ich war so schwach, daß ich jeden Augenblick in Ohnmacht sank, und so oft ich ohnmächtig wurde, dankte ich Gott, denn ich glaubte, mein Tod nahe heran.
«Mitten in einer solchen Ohnmacht hörte ich, daß sich die Thüre öffnete. Der Schrecken brachte mich zum Bewußtsein.
«Mein Verfolger trat mit einem maskirten Manne ein; er war selbst maskirt; ich erkannte seinen Tritt, ich erkannte seine Stimme, ich erkannte das imposante Wesen, das die Hölle seiner Person zum Unglück der Menschheit verliehen hat.
«Nun!««sprach er,»»seid Ihr entschlossen, mir den Eid zu leisten, den ich von Euch verlange?««
«Ihr habt es gesagt, die Puritaner haben nur ein Wort: das meinige habt Ihr vernommen, ich habe mir angelobt. Euch auf Erden vor dem Gerichte der Menschen, im Himmel vor dem Gerichte Gottes zu verfolgen!««
«Ihr beharrt also auf Eurer Absicht?««
«Ich schwöre es vor Gott, der mich hört; ich nehme die ganze Welt zum Zeugen Eures Verbrechens, und zwar bis ich einen Rächer gefunden habe.««
«Ihr seid eine Metze,««rief er mit einer Donnerstimme,»»und sollt die Strafe der Metzen erdulden!.. Gebrandmarkt in den Augen der Welt, die Ihr anrufen wollt, versucht es dieser Welt zu beweisen, daß Ihr weder wahnwitzig noch schuldig seid.««
«Dann wandte er sich an seinen Begleiter mit den Worten:»»Henker, thue Deine Schuldigkeit.««
«Oh! seinen Namen! seinen Namen!«rief Felton abermals;»nennt mir seinen Namen.«
«Trotz meines Geschreis, trotz meines Widerstands, denn ich fing nun an, zu begreifen, daß es sich für mich um etwas Schlimmeres, als um den Tod handelte, packte mich der Henker, warf mich zu Boden, schnürte mir die Arme fest zusammen, und vom Schluchzen halb erstickt, beinahe ohne Bewußtsein, Gott anrufend, der mich nicht hörte, stieß ich plötzlich einen furchtbaren Schrei des Schmerzes und der Schande aus: ein glühendes Eisen, ein rothes Eisen, das Eisen des Henkers hatte man auf meine Schulter gedrückt.«
Felton schnaubte und brüllte.
«Seht, «sprach Mylady, sich mit der Majestät einer Königin erhebend,»seht Ihr, wie man für das reine Mädchen, das ein Opfer der Rohheit eines heillosen Missethäters war, ein neues Märtyrthum ersonnen hatte. Lernt das Herz der Menschen kennen, und dient von nun an minder leicht als Werkzeug ihrer ungerechten Rache.«
Mit einer raschen Bewegung öffnete Mylady ihr Kleid, zerriß den Batist, welcher ihre Schulter bedeckte, und zeigte, roth vor geheucheltem Zorn und gespielter Scham, dem jungen Manne das untilgbare Mal, das ihre so schöne Schulter entehrte.
«Aber ich sehe hier eine Lilie, «rief Felton.
«Darin liegt gerade die Niederträchtigkeit, «antwortete Mylady,»die Brandmarkung von Frankreich!.. Er hätte beweisen müssen, von welchem Tribunal mir diese aufgedrückt worden sei, und ich hätte einen öffentlichen Aufruf an alle Gerichte des Königreichs ergehen lassen. Aber durch die Brandmarkung von Frankreich war ich wirklich gebrandmarkt.«
Das war zu viel für Felton. Bleich, unbeweglich, niedergeschmettert durch diese furchtbare Enthüllung, geblendet durch die übermenschliche Schönheit dieser Frau, die sich mit einer Schamlosigkeit vor ihm enthüllte, welche er erhaben fand, stürzte er endlich vor ihr auf die Kniee nieder, wie dies die ersten Christen vor jenen heiligen Märtyrerinnen thaten, welche die Verfolgung der Kaiser im Circus der blutgierigen Lüsternheit des Pöbels bloßstellte. Das Brandmal verschwand, die Schönheit allein blieb übrig!
«Vergebung, Vergebung!«rief Felton,»o Vergebung!«
Mylady las in seinen Augen: Liebe, Liebe!
«Vergebung, wofür?«fragte sie.
«Vergebung dafür, daß ich mit Euren Verfolgern in Verbindung stand.«