Mylady bebte vor Freude, sie hatte tief im Herzen des jungen Mannes gelesen: der Tod Buckinghams stand mit allen Buchstaben darin geschrieben.
«Felton!«sagte sie,»Ihr seid groß, wie Judas Maccabäus! Sterbt Ihr, so sterbe ich mit Euch. Das ist Alles, was ich Euch sagen kann.«
«Leise, wir sind an Ort und Stelle.«
Man berührte wirklich die Schaluppe.
Felton stieg zuerst die Leiter hinauf und reichte Mylady die Hand, während die Matrosen sie unterstützten, denn die See war noch stürmisch.
Einen Augenblick nachher befanden sie sich auf dem Verdeck.
«Kapitän, «sprach Felton,»hier ist die Person, von der ich gesagt habe, und die Ihr gesund und wohlerhalten nach Frankreich bringen müßt.«
«Gegen tausend Pistolen, «entgegnete der Kapitän.
«Ich habe Euch fünfhundert gegeben.«
«Ganz richtig.«
«Und hier sind die andern fünfhundert, «sprach Mylady und fuhr in den Goldsack.
«Nein, «erwiderte der Kapitän,»ich habe nur ein Wort, und dieses gab ich dem jungen Manne: die anderen fünfhundert Pistolen ist man mir erst schuldig, wenn wir in Boulogne angekommen.«
«Und wir werden ankommen?«
«Gesund und wohlbehalten, «sprach der Kapitän,»so wahr ich Jack Butler heiße.«
«Gut, «sprach Mylady,»wenn Ihr Euer Wort haltet, so gebe ich Euch nicht fünfhundert, sondern tausend Pistolen.«
«Dann Hurrah für Euch, meine schöne Dame!«rief der Kapitän,»und Gott möge mir oft Kunden, wie Eure Herrlichkeit schicken!«
«Mittlerweile führt uns in die kleine Bucht von Chichester, «sagte Felton,»vor Portsmouth, Ihr wißt, es ist verabredet, daß Ihr uns dahin bringen sollt!«
Der Kapitän erwiderte diese Worte durch den Befehl zu dem erforderlichen Manöver, und um sieben Uhr Abends ankerte das kleine Schiff in der bezeichneten Bucht.
Während dieser Fahrt erzählte Felton Mylady Alles, wie er, statt nach London zu gehen, das Schiff gemiethet hatte, wie er zurückgekehrt war, wie er mit Hülfe von Lücken, hervorspringenden Steinen und Klammern, die er befestigte, um seinen Füßen einen Halt zu geben, die Mauer erstiegen und endlich zu dem Gitter gelangt, die Leiter angebunden hatte: das Uebrige wußte Mylady.
Mylady suchte ihrer Seits den jungen Offizier in seinem Vorhaben zu ermuthigen und zu bestärken, aber bei den ersten Worten, die aus ihrem Munde kamen, sah sie, daß der Fanatiker eher einer Dämpfung, als einer Aufmunterung bedurfte.
Es wurde verabredet, daß Mylady Felton bis zehn Uhr erwarten sollte; wäre er um zehn Uhr nicht zurück, so sollte sie absegeln.
In der Voraussetzung, daß er frei wäre, sollte er sodann in Frankreich im Kloster der Karmeliterinnen in Bethune mit ihr zusammentreffen.
XXXI. Was in Portsmouth am 23. August 1628 vorfiel
Felton nahm von Mylady Abschied, wie ein Bruder, der einen einfachen Spaziergang machen will, von seiner Schwester Abschied nimmt, d.h. in dem er ihr die Hand küßte.
Seine ganze Person schien in den Zustand ihrer gewöhnlichen Ruhe zurückversetzt zu sein; nur war in seinen Augen ein seltsamer, dem Wiederscheine eines Fensters ähnlicher Glanz vorherrschend. Seine Stirne war noch bleicher, als früher, seine Zähne waren zusammengepreßt und seine Sprache machte sich durch ein gewisses Stoßen der Töne bemerkbar, woraus sich schließen ließ, daß finstere Gedanken in seinem Innern ihr Lager genommen hatten.
So lange er sich auf der Barke befand, die ihn nach dem Lande führte, war sein Gesicht Mylady zugewendet, die ihm, auf dem Verdecke stehend, mit den Augen folgte. Alle Beide fürchteten sich sehr wenig vor einer Verfolgung. Man betrat das Zimmer Myladys nie vor neun Uhr, und man brauchte drei Stunden, um vom Schlosse aus London zu erreichen.
Felton stieg an das Land, erkletterte den kleinen Kamm der auf die Höhe des abschüssigen Ufers führte, grüßte Mylady mm letzten Mal und lief nach der Stadt.
Nach hundert Schritten konnte er, weil sich das Terrain senkte, nur noch den Mast des Schiffes sehen.
Er eilte in der Richtung von Portsmouth fort, dessen Thürme und Häuser er in einer Entfernung von ungefähr einer halben Meile im Morgennebel vor sich erblickte.
Jenseits Portsmouth war das Meer mit Schiffen bedeckt, deren Masten, einem Wald von winterlich entblätterten Pappelbäumen ähnlich, sich unter dem Hauch des Windes schaukelten.
Während seines raschen Laufes durchging Felton Alles, was ihm zehn Jahre asketischer Betrachtungen und ein langer Aufenthalt unter den Puritanern an wahren und falschen Beschuldigungen gegen den Liebling Jacobs VI. und Carls I. geliefert hatten.
Wenn Felton die öffentlichen Verbrechen des Ministers, schreiende, so zu sagen europäische Verbrechen mit den unbekannten und persönlichen Verbrechen verglich, mit denen ihn Mylady belastete, so fand er, daß der schuldigere von den zwei Menschen, welche Buckingham in sich schloß, derjenige war, dessen Leben das Volk nicht kannte. Seine so seltsame, so neue, so glühende Liebe ließ ihn die schändlichen, erdichteten Anklagen von Lady Winter so ansehen, wie man durch ein Vergrößerungsglas in sonst unbemerkbaren Atomen furchtbare Ungeheuer erblickt.
Der rasche Lauf entzündete sein Blut noch mehr. Der Gedanke, daß er eine furchtbarer Rache preisgegebene Frau hinter sich ließ, die er liebte, oder vielmehr wie eine Heilige anbetete, die Aufregung der vorhergehenden Stunden und Tage, die gegenwärtige Anstrengung, Alles dies exaltirte seine Seele über das Maß menschlicher Gefühle.
Er erreichte Portsmouth gegen acht Uhr Morgens. Die ganze Bevölkerung war auf den Beinen. Die Trommeln wurden in den Straßen und in den Häfen gerührt. Die zum Einschiffen bestimmten Truppen marschirten nach dem Meere zu.
Felton gelangte mit Staub bedeckt und von Schweiß triefend nach dem Admiralitätspalast. Sein gewöhnlich bleiches Gesicht war purpurroth vor Grimm und Hitze. Die Wache wollte ihn zurückweisen, aber Felton rief den Anführer des Postens, zog aus seiner Tasche den Brief, welchen er zu überbringen hatte, und sagte nur die Worte:
«Eilbote von Lord Winter.«
Bei dem Namen des Lords, den man als einen der vertrautesten Freunde Seiner Herrlichkeit kannte, gab der Anführer der Posten Befehl, Felton, der ohnedies die Uniform eines Marineoffiziers trug, passiren zu lassen.
Felton stürzte in den Palast. Im Augenblick, wo er in die Flur eintrat, erschien auch ein bestaubter, athemloser Mann, der vor der Thüre ein Postpferd stehen ließ, das sogleich vor Erschöpfung in die Kniee sank.
Felton und er wandten sich zu gleicher Zeit an Patrick, den ersten Kammerdiener des Herzogs. Felton nannte den Baron Winter. Der Unbekannte wollte Niemand nennen und behauptete, er dürfe sich nur dem Herzog allein zu erkennen geben. Jeder wollte vor dem andern den Eintritt erlangen.
Patrick, welcher wußte, daß Lord Winter in dienstlichen und freundschaftlichen Verhältnissen zu dem Herzog stand, gab demjenigen, der in des Lords Namen kam, den Vorzug. Der Andere war genöthigt zu warten, und man sah deutlich, wie sehr er diese Zögerung verwünschte.
Der Kammerdiener ließ Felton durch einen großen Saal gehen, in welchem die Deputirten von La Rochelle, mit dem Fürsten von Soubise an der Spitze warteten, und führte ihn in ein Kabinet, wo Buckingham, aus dem Bade kommend, seine Toilette vollendete, der er diesmal, wie immer, eine besondere Aufmerksamkeit widmete.
«Der Lieutenant Felton, «sagte Patrick,»von Lord Winter geschickt.«