Bei des Herzogs Geschrei, bei dem Rufe Patricks lief der Mann, welchen Felton im Vorzimmer getroffen hatte, hastig in das Cabinet. Er fand den Herzog auf einem Sopha ausgestreckt, die Wunde mit krampfhafter Hand zudrückend.
«La Porte, «sprach der Herzog mit sterbender Stimme,»La Porte, kommst Du von ihr?«
«Ja, gnädigster Herr, «antwortete der getreue Diener Annas von Oesterreich,»aber vielleicht zu spät.«
«Stille, La Porte! man könnte Euch hören. Patrick, laß Niemand herein. Oh! ich soll nicht erfahren, was sie mir sagen läßt. Mein Gott, ich sterbe!«
Und der Herzog fiel in Ohnmacht.
Indessen waren Lord Winter, die Abgeordneten, die Anführer der Expedition, die Beamten des Hauses Buckingham in sein Zimmer eingedrungen. Ueberall erscholl ein Geschrei der Verzweiflung. Die Nachricht, welche den Palast mit Klagen und Seufzen erfüllte, wurde bald ruchbar und verbreitete sich in der Stadt.
Lord Winter raufte sich die Haare aus.
«Um eine Minute zu spät!«rief er,»um eine Minute zu spät! O mein Gott, welch ein Unglück!«
Man hatte ihm wirklich Morgens um sieben Uhr gemeldet, eine Strickleiter hänge an einem der Fenster des Schlosses. Er war sogleich in Myladys Zimmer gelaufen, hatte dieses leer, das Fenster offen und die Gitterstangen durchsägt gefunden. Er erinnerte sich wieder, was ihm d'Artagnan durch seinen Boten mündlich empfohlen hatte. Er zitterte für den Herzog, lief in den Stall, ohne sich Zeit zu nehmen, ein Pferd satteln zu lassen, bestieg das nächste beste, eilte im stärksten Galopp davon, sprang im Hofe herab, eilte die Treppe hinauf und begegnete, wie wir erzählten, Felton auf der ersten Stufe.
Der Herzog war jedoch nicht tot. Er kam wieder zu sich, öffnete die Augen und Alle waren mit neuer Hoffnung belebt.
«Meine Herren, «sagte er,»laßt mich mit Patrick und La Porte allein… Ah! Ihr seid es, Lord Winter! Ihr habt mir diesen Morgen einen seltsamen Narren geschickt; seht den Zustand, in welchen er mich versetzt hat!«
«Oh! Mylord, «rief der Baron,»Mylord, ich werde mich nie zu trösten wissen.«
«Und Du hättest Unrecht, mein guter Winter, «erwiderte Buckingham und reichte ihm die Hand.»Ich kenne keinen Menschen, der es verdiente, von einem andern Menschen ein ganzes Leben hindurch beklagt zu werden. Aber ich bitte Dich, laß uns allein.«
Der Baron entfernte sich schluchzend.
Es blieben nur noch der Verwundete, La Porte und Patrick. Man suchte einen Arzt und konnte ihn nicht finden.
«Ihr werdet leben, Mylord, Ihr werdet leben, «wiederholte vor dem Sopha des Herzogs knieend, der Bote Annas von Oesterreich.
«Was schreibt sie mir?«fragte der Herzog mit schwacher Stimme, von Blut triefend und furchtbare Schmerzen bewältigend, um von der Geliebten sprechen zu können.»Was schreibt sie mir? Lies mir ihren Brief vor!«—»Oh! Mylord!«rief La Porte. — »Nun, La Porte, siehst Du nicht, daß ich keine Zeit zu verlieren habe?«
La Porte erbrach das Siegel und legte dem Herzog das Pergament unter die Augen; aber Buckingham versuchte vergebens die Schrift zu unterscheiden.
«Lies doch, «sagte er,»lies doch. Ich sehe nichts mehr, lies doch, denn bald vielleicht werde ich auch nicht mehr hören und sterben, ohne zu erfahren, was sie mir geschrieben hat.«
La Porte machte keine Schwierigkeiten mehr und las:
«Mylord,
«Bei dem, was ich, seit ich Euch kenne, für Euch und durch Euch gelitten habe, beschwöre ich Euch, wenn Euch an meiner Ruhe etwas gelegen ist, die großen Rüstungen zu unterbrechen, welche Ihr gegen Frankreich ins Werk setzt, und einen Krieg aufzugeben, als dessen scheinbare Ursache man laut die Religion bezeichnet, während man ganz leise sagt, Eure Liebe für mich sei die verborgene Ursache. Dieser Krieg kann nicht nur für Frankreich und England große Katastrophen, sondern auch für Euch ein Unglück herbeiführen, über das ich mich nie mehr trösten würde.
«Wacht über Euer Leben, das man bedroht und das mir von dem Augenblicke an theuer sein wird, wo ich nicht mehr genöthigt bin, in Euch einen Feind zu sehen.
Eure wohlergebene Anna.«
Buckingham raffte den ganzen Rest seines Lebens zusammen, um diesen Brief zu hören. Sobald er zu Ende war, fragte er, als hätte er eine bittere Enttäuschung darin gefunden:
«Habt Ihr mir nichts Anderes mündlich zu sagen, La Porte?«
«Allerdings, gnädiger Herr. Die Königin beauftragte mich Euch zu sagen, Ihr möget auf Eurer Hut sein, denn sie habe sichere Kunde, daß man Euch ermorden wolle.«
«Und das ist Alles? das ist Alles?«versetzte Buckingham ungeduldig.
«Sie hat mich auch noch beauftragt, Euch zu sagen, daß sie Euch stets liebe.«
«Ah!«rief Buckingham,»Gott sei gelobt! Mein Tod wird also für sie nicht der Tod eines Fremden sein.«
La Porte zerfloß in Thränen.
«Patrick, «sprach der Herzog,»bring mir das Kästchen, in welchem die diamantenen Nestelstifte eingeschlossen waren.«
Patrick brachte den verlangten Gegenstand, worin La Porte ein früheres Eigenthum der Königin erkannte.
«Jetzt das kleine Kissen von weißem Atlas, auf welches ihre Chiffre in Perlen gestickt ist.«
Patrick gehorchte abermals.
«Seht, La Porte, «sprach Buckingham,»das find die einzigen Pfänder, die ich von ihr besitze. Dieses silberne Kästchen und diese zwei Briefe. Ihr gebt sie Ihrer Majestät zurück und zum letzten Andenken… (er suchte einen kostbaren Gegenstand um sich her)… fügt Ihr…«
Er suchte abermals, aber seine durch den Tod verfinsterten Blicke begegneten nur dem Messer, das Feltons Händen entfallen war, und dessen Klinge noch von frischrothem Blute rauchte.
«Und Ihr fügt dieses Messer bei, «sprach der Herzog und drückte La Porte die Hand.
Er legte das kleine Kissen in das silberne Kästchen, ließ das Messer hineinfallen und machte La Porte ein Zeichen, daß er nicht mehr sprechen könne. Dann erfaßte ihn eine letzte krampfhafte Zuckung, die er nicht mehr zu bekämpfen vermochte, und er glitt vom Sopha auf den Boden herab.
Patrick stieß ein furchtbares Geschrei aus. Buckingham wollte zum letzten Mal lächeln, aber der Tod schlug seinen Gedanken in Fesseln und dieser blieb wie ein letztes Lebewohl auf seine Lippen und auf seine Stirne geprägt.
In diesem Augenblick traf der Arzt des Herzogs ganz verstört ein. Er war schon an Bord des Admiralschiffes gewesen, und man hatte sich genöthigt gesehen, ihn dort zu suchen.
Er näherte sich dem Herzog, nahm seine Hand, hielt sie einen Augenblick in der seinigen und ließ sie wieder fallen.
«Alles ist vergeblich, «sprach er,»er ist tot!«
«Tot! Tot!«rief Patrick.
Bei diesem Schrei drang der ganze Haufe wieder in den Saal und überall herrschte Bestürzung und Aufruhr.
Sobald Lord Winter Buckingham entseelt sah, lief er zu Felton zurück, den die Soldaten auf der Terrasse des Palastes bewachten.
«Elender, «sprach er zu dem jungen Manne, der seit dem Tode Buckinghams seine ganze Ruhe und Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatte.»Elender, was hast Du gethan?«
«Ich habe mich gerächt, «antwortete er.
«Du!«rief der Baron,»sage, daß Du diesem verfluchten Weibe als Werkzeug gedient hast; aber ich schwöre Dir, dieses Verbrechen soll ihr letztes sein!«
«Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt, «entgegnete Felton ruhig,»und ich begreife nicht, von was Ihr sprechen wollt, Mylord: ich habe den Herzog von Buckingham getötet, weil er es Euch selbst zweimal abschlug, mich zum Kapitän zu ernennen. Ich habe ihn für seine Ungerechtigkeit bestraft, das ist das Ganze.«
Lord Winter schaute die Leute, welche Felton banden, erstaunt an und wußte nicht, was er von einer solchen Unempfindlichst denken sollte. Nur Eines lagerte sich wie eine Wolke auf Feltons Stirne. Bei jedem Tritt, den er hörte, glaubte der naive Puritaner den Tritt und die Stimme Myladys zu hören, welche komme, um sich in seine Arme zu werfen, sich mit ihm anzuklagen und dem Verderben zu überantworten.