»Genügt mir nicht«, reklamierte Hector. »Mir gefällt der, äh, Ton Ihrer Entschuldigung nicht…ich meine…«
Leoh hob die Hand, wie um Hector zum Schweigen zu bringen.
»Ich habe mich entschuldigt«, erwiderte Odal mit zornrotem Gesicht. »Das reicht.«
Hector trat einen Schritt auf Odal zu. »Ich könnte dir Lump ja ein paar exquisite Schimpfwörter an den Kopf werfen oder deinen famosen Führer beleidigen… aber das dürfte wirkungsvoller sein!« Er nahm eine Wasserkaraffe vom Tisch und goß sie Odal seelenruhig über den Kopf.
Die Gäste im Lokal tobten vor Begeisterung. Odal wurde kalkweiß. »Du willst also unbedingt sterben, Watchman.« Er wischte sich das Wasser aus den Augen. »Ich duelliere mich mit dir, bevor die Woche zu Ende ist. Und gerettet hast du damit niemanden.« Er drehte sich um und stolzierte davon.
Jedermann im Raum stand auf und applaudierte. Hector verneigte sich grinsend.
»Ist dir eigentlich klar, was du getan hast?« fragte Leoh entgeistert.
»Er wollte Sie herausfordern…«
»Er wird mich nach wie vor herausfordern, nach deinem Tod.«
Achselzuckend meinte Hector: »Ja, möglich. Vermutlich haben Sie recht. Aber immerhin haben wir etwas Zeit gewonnen.«
»Vier Tage.« Leoh schüttelte den Kopf. »Vier Tage bis zum Wochenende. Also los, komm mit, auf uns wartet Arbeit.«
Hector grinste breit, als sie das Lokal verließen. Er begann zu pfeifen.
»Worüber freust du dich denn so?« brummte Leoh.
»Über Sie, Sir. Als wir hierherkamen, waren Sie, na ja… beinahe am Aufgeben. Jetzt sind Sie wieder voll im, äh, Einsatz.«
Leoh starrte ihn an. »Hector, auf deine Art, deine sehr eigenwillige Art, bist du gar nicht ohne… meine ich.«
Ihr Roadster kam vom Parkdeck zur Zugangsrampe des Lokals geglitten, herbeigerufen durch ein Radiosignal des Portiers. Minuten später kreuzten Hector und Leoh durch die City, in der die hereinbrechende Nacht immer längere Schatten warf.
»Es gibt nur einen Menschen«, sinnierte Leoh, »der Odal gegenübergestanden und überlebt hat.«
»Dulaq«, sagte Hector. »Aber… von einem Toten bekämen wir genausowenig Informationen wie von ihm.«
»Liegt er immer noch im Koma?«
Hector nickte. »Die Medicos meinen, daß sie ihn… na ja, mit Medikamenten und Therapie und solchem Zeugs… daß sie ihn in ein paar Monaten wieder hinkriegen.«
»Das ist zu spät. Wir haben nur vier Tage.«
»Ich weiß.«
Leoh schwieg mehrere Minuten. Dann: »Wer sind Dulaqs nächste Angehörige? Hat er eine Frau?«
»Hmmm, ich glaube, seine Frau ist tot. Da gibt es allerdings eine Tochter. Hübsches Mädchen. Bin ihr im Krankenhaus ein- oder zweimal in die Arme gelaufen.«
Leoh lächelte im Dunkeln. Hectors Redewendung »in die Arme gelaufen« konnte man wahrscheinlich wörtlich nehmen.
»Vielleicht gibt es eine Methode, wie wir Dulaq dazu bringen, uns den Ablauf des Duells zu schildern«, sagte Leoh. »Aber es ist eine gefährliche Methode. Vielleicht sogar lebensgefährlich.«
Hector wartete.
»Los, mein Junge«, fuhr Leoh fort. »Suchen wir diese Tochter und reden wir mit ihr.«
»Heute abend?«
»Jetzt.«
Sie ist wirklich hübsch, dachte Leoh, als er Geri Dulaq schonend beibrachte, was er beabsichtigte. Sie saß still und höflich in dem geräumigen Wohnzimmer der Villa Dulaq. Der glitzernde Kristallüster warf feurige Blitze auf ihr kastanienbraunes Haar. Ihre schlanke Gestalt war etwas verkrampft, die Hände hatte sie im Schoß gefaltet. Ihr Gesicht, das sonst sehr ausdrucksvoll sein mochte, blickte jetzt ernst und verkniffen. »Und das wäre alles«, schloß Leoh. »Ich halte es für möglich, mit Hilfe der Duellmaschine die Gedanken Ihres Herrn Vaters zu ergründen und festzustellen, was damals in dem Duell mit Major Odal passierte. Vielleicht hilft es sogar, ihn aus seinem Koma aufzuwecken.«
»Aber es könnte auch solch ein Schock für ihn sein, daß er es nicht überlebt, richtig?« fragte sie leise.
Leoh nickte wortlos.
»Dann tut es mir sehr leid, Professor, aber ich muß nein sagen.« Sehr entschieden.
»Ich habe volles Verständnis für Ihre Gefühle«, erwiderte Leoh, »aber hoffentlich sind Sie sich im klaren, daß sehr wohl ein Krieg mit Millionen von Opfern ausbrechen kann, wenn wir Odal nicht aufhalten.«
Sie nickte. »Ich weiß. Aber wir sprechen vom Leben meines Vaters. Kanus wird auf jeden Fall einen Krieg anfangen, ganz egal, was ich tue.«
»Möglich«, gab Leoh zu. »Möglich.«
Hector und Leoh fuhren zurück zur Universität und zu ihren Quartieren im Gebäude der Duellmaschine. Keiner der beiden schlief in dieser Nacht besonders gut.
Am nächsten Morgen, nach einem lustlosen Frühstück, fanden sie sich in dem antiseptisch weißen Saal ein, vor dem hochaufragenden unpersönlichen Gewirr der Duellmaschine.
»Möchtest du ein bißchen trainieren?« fragte Leoh.
Düster schüttelte Hector den Kopf. »Vielleicht später.«
Das Tri-Di in Leohs Büro läutete. Sie gingen beide hinein. Geri Dulaqs Gesicht erschien auf dem Bildschirm.
»Ich habe gerade die Nachricht gehört«, sagte sie, ein wenig atemlos. »Gestern abend wußte ich noch nicht, daß Lieutenant Hector Odal herausgefordert hat.«
»Er forderte Odal«, antwortete Leoh, »um den Killer daran zu hindern, mich zu fordern.«
»Ach so.« Ihre Miene drückte Sorge, aber auch Widerstreben aus. »Sie sind ein tapferer Mann, Lieutenant.«
Hectors Gesicht verzerrte sich zu einem Dutzend verschiedener Grimassen, alle davon sprachlos.
»Möchten Sie Ihren Entschluß nicht noch einmal überdenken?« erkundigte sich Leoh. »Hectors Leben hängt vielleicht davon ab.«
Sie schloß kurz die Augen und sagte dann: »Ich kann nicht. Das Leben meines Vaters geht vor. Tut mir leid.« Ihre Stimme klang gequält.
Sie sprachen noch ein paar belanglose Worte — ohne jeden Beitrag von Hector, der nach wie vor mit Sprachlosigkeit geschlagen war —, und dann endete das Gespräch in einer höflichen, aber gespannten Atmosphäre.
Geistesabwesend rieb Leoh mit dem Daumen über die Telefontaste, dann wandte er sich abrupt Hector zu. »Hör zu, mein Junge, ich halte es für eine gute Idee, wenn du sofort ins Hospital fährst und dich nach Dulaqs Zustand erkundigst.«
»Aber… wieso…«
»Keine Widerrede, mein Sohn. Das kann von entscheidender Bedeutung sein. Schau dir Dulaq an. Persönlich, nicht über Tri-Di.«
Hector zuckte die Achseln und ging. Leoh setzte sich an seinen Schreibtisch und wartete. Nach einer Weile stand er auf und schlenderte in den großen Saal, durch den Haupteingang und hinaus auf den Campus. Er ging an einem Dutzend von Gebäuden vorbei, bog dann ab und marschierte bis zu dem dekorativen Zaun, der das eigentliche Universitätsgelände begrenzte. Studenten und Kollegen ignorierte er. Wie ein Wachtposten patrouillierte er den ganzen Campus und versuchte damit die Zeit totzuschlagen.
Als er sich wieder einmal dem Gebäude mit der Duellmaschine näherte, sah er Hector auf sich zukommen. Ausnahmsweise pfiff der Watchman nicht. Leoh nahm eine Abkürzung quer über ein Rasenstück.
»Nun?« fragte er.
Hector schüttelte den Kopf, als wolle er einen inneren Nebel vertreiben. »Woher wußten Sie, daß sie im Krankenhaus sein würde?«
»Die Weisheit des Alters. Was war los?«
»Sie hat mir einen Kuß gegeben. Mitten im Korridor bei der…«
»Verschone mich mit geographischen Einzelheiten«, unterbrach ihn Leoh. »Was hat sie gesagt?«
»Ich bin ihr auf dem Korridor in die Arme gelaufen. Wir, äh, haben eine Unterhaltung angefangen. Sie schien sich… na ja, Sorgen zu machen wegen mir… war irgendwie ganz durcheinander. Seelisch, verstehen Sie? Wahrscheinlich habe ich einen ziemlich geknickten Eindruck gemacht… ich meine, so ein Held bin ich auch nicht… ich habe Angst, und das muß sie mir angesehen haben.«