Blinzelnd kehrte Hector wieder in die Wirklichkeit zurück. »Ich glaube schon…«
»Alles gut abgelaufen? Sind die Watchmen zu dir durchgekommen?«
»Glücklicherweise! Es wäre trotzdem fast schiefgegangen.«
»Aber du hast überlebt.«
»Bis jetzt.«
Am anderen Ende der Maschine stand Odal und massierte sich den Arm, während Kor ihn anfuhr: »Wie sind die auf unser Geheimnis gekommen? Wo ist die undichte Stelle? Wer hat geredet?«
»Das ist jetzt unwichtig«, erwiderte Odal gelassen. »Wesentlich ist doch, daß sie unseren Trick nicht nur entdeckt, sondern ihn sogar irgendwie kopiert haben.«
Kors haarloser runder Schädel — der Odal kaum bis ans Kinn reichte — war dunkelrot angelaufen.
»Diese scheinheiligen Heuchler!« fauchte er. »Werfen uns Betrug vor, und dann tun sie genau das gleiche.«
»Ganz abgesehen von der moralischen Bewertung unserer Handlungsweise«, erwiderte Odal trocken, »ist es jetzt offensichtlich sinnlos, telepathisch meine Helfer anzukoppeln. In der zweiten Runde trete ich dem Watchman allein gegenüber.«
»Können Sie sich darauf verlassen, daß die das gleiche tun?«
»Ja. Sie haben meine Helfer außer Gefecht gesetzt und uns dann ungestört unseren Zweikampf austragen lassen.«
»Und Sie haben ihn nicht schlagen können?«
Odal runzelte die Stirn. »Ich wurde durch einen unglücklichen Zufall verwundet. Hector ist ein sehr… ungewöhnlicher Gegner. Ich komme nicht dahinter, ob er tatsächlich so tölpelhaft ist, oder ob er Theater spielt, um mich zu verunsichern. Auf jeden Fall ist er völlig unberechenbar.« Im stillen fügte er hinzu: Ist er vielleicht auch ein Telepath?
Kors graue Augen blickten hart und ausdruckslos. »Sie wissen natürlich, wie der Führer reagiert, wenn es Ihnen nicht gelingt, diesen Watchman zu töten. Es genügt nicht, ihn im Duell zu schlagen. Er muß sterben. Die Aura der Unbesiegbarkeit muß aufrechterhalten werden.«
»Ich werde mein Bestes tun«, versicherte Odal.
»Er muß sterben.«
Die Glocke, die das Ende der Pause anzeigte, schlug an. Odal und Hector kehrten in ihre Kabinen zurück. Jetzt hatte Hector die Wahl der Waffen und der Umweltbedingungen.
Um Odal herrschte tiefe Finsternis. Nur allmählich gewöhnten sich seine Augen daran. Er steckte in einer Raumkombination. Mehrere Minuten lang stand reglos, spähte in die Dunkelheit, alle Muskeln angespannt. Verschwommen konnte er die Umrisse gezackter Felsen vor einem sternübersäten Himmel ausmachen. Probeweise hob er einen Fuß. Zäh, beinahe klebrig haftete der Stiefel am Boden. Magnetsohlen. Das muß ein Planetoid sein.
Als seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnten, sah er, daß er richtig geraten hatte. Es war ein kleiner Planetoid, vielleicht eine Meile im Durchmesser. Schwerkraft fast null. Keine Atmosphäre.
Odal drehte den Kopf in dem Kuppelhelm und sah, über seine rechte Schulter, Hectors Gestalt — hochaufgeschossen und linkisch sogar in dem plumpen Raumanzug. Einen Moment rätselte Odal, welche Waffen benutzt werden sollten. Dann bückte sich Hector, hob einen Stein auf und warf ihn an Odals Kopf vorbei. Er sah dem Geschoß nach, wie es vorbeisegelte und in den nachtschwarzen Raum flog, um nie zurückzukehren. Ein Warnschuß.
Steine? überlegte Odal. Steine als Waffen? Er muß übergeschnappt sein. Dann erinnerte er sich, daß die Masse eines Objekts immer gleich blieb, mit oder ohne Schwerkraft. Auf diesem Planetoiden ließe sich ein Fünfzig-Kilo-Brocken zwar leicht tragen, es würde aber genausoviel Kraft erfordern, ihn zu werfen — und er würde bei einem Aufprall genausoviel Schaden anrichten, unabhängig von seinem relativen Gravitationsgewicht.
Odal bückte sich und suchte einen faustgroßen Stein. Vorsichtig stand er auf, visierte Hector an und warf mit aller Kraft.
Die Wurfbewegung riß ihn von den Beinen, und der Stein flog weit am Ziel vorbei. Er fiel auf Hände und Knie, prallte wieder ab und kam rutschend zur Ruhe. Sofort zog er die Beine an den Leib und preßte die Magnetsohlen seiner Stiefel auf den eisenhaltigen Boden.
Aber bevor er wieder aufstehen konnte, schepperte ein kleiner Stein gegen seinen Sauerstoffzylinder. Der Star Watchman hatte sich bereits eingeschossen! Hastig kroch Odal hinter einen größeren Felsbrocken und ging dort in Deckung. Ein Glück, daß ich mir den Anzug nicht aufgerissen habe, sagte er sich. Eine Salve von drei Steinen prallte von dem Felsen ab, hinter dem er kauerte. Einer streifte seinen Kuppelhelm.
Odal klaubte eine Handvoll Gesteinssplitter auf und schleuderte sie in Hectors ungefähre Richtung. Das wird ihn in Deckung gehen lassen. Vielleicht stolpert er sogar und schlägt sich den Helm kaputt.
Er grinste bei dem Gedanken. Das ist es! Kor will seinen Tod, und das ist genau die richtige Methode. Ich werde ihn mit einem schweren Brocken außer Gefecht setzen und ihn dann lebendig unter Steinen begraben. Schön langsam, ein Steinchen aufs andere. Zwischendurch breche ich ihm ein paar Knochen und lasse ihn schwitzen, während sein Luftvorrat zur Neige geht. Das müßte sein Nervensystem so stark belasten, daß er mindestens krankenhausreif ist. Anschließend könnte er auf konventionelle Weise liquidiert werden. Vielleicht ist er auch so entgegenkommend wie Massan und stirbt an einem Schlaganfall.
Ein großer Brocken. Leicht genug zum Hochheben und Werfen, gleichzeitig aber groß genug, um ihn ein paar Sekunden zu betäuben. Wenn er am Boden liegt, kann ich leicht weitere Steine über ihn häufen.
Odal erspähte ein paar Meter entfernt einen passenden Felsbrocken. Rückwärts kroch er darauf zu und schleuderte dabei kleine Steine in Hectors Richtung, um den Watchman beschäftigt zu halten. Postwendend kam ein Trommelfeuer zurück. Mehrmals wurde er getroffen, einmal so wirkungsvoll, daß er fast das Gleichgewicht verloren hätte.
Langsam und unbeirrt näherte sich Odal seiner gewählten Waffe: einem länglichen Felsklumpen von der Größe eines Hockers. Er kauerte dahinter und lupfte probeweise daran. Der Brocken bewegte sich. Wieder traf ihn ein Geschoß schmerzhaft am Arm. Er konnte Hector jetzt klar erkennen, wie er auf einem kleinen Hügel stand und seelenruhig Steine nach ihm schleuderte. Odal grinste, während er sich wie eine Sprungfeder zusammenrollte und alle Muskeln spannte. Er packte den Felsbrocken mit ausgestreckten Armen.
Dann streckte er sich mit einer einzigen, flüssigen Bewegung, riß dabei den Fels hoch, wirbelte herum und schleuderte ihn auf Hector. Die schwungvolle Bewegung ließ ihn stolpern, als er den Felsbrocken abschoß. Er stürzte zu Boden, ließ aber den Felsen nicht aus dem Auge, wie er um die eigene Achse trudelnd auf den Watchman zuflog.
Einen unendlichen Moment blieb der Watchman wie hypnotisiert stehen. Dann sprang er beiseite und schwebte zeitlupenhaft in der niedrigen Gravitation, während der Felsbrocken majestätisch an ihm vorbeisegelte.
Erbost hieb Odal mit der Faust auf den Boden. Er stand auf, wurde aber von einem größeren Stein an der Schulter getroffen und wieder zu Boden geworfen. Er hob gerade rechtzeitig den Blick, um Hector erneut feuern zu sehen. Direkt neben Odals Helm schlug ein Stein ein. Der kerakische Major warf sich flach auf den Boden. Weitere Steine klapperten gegen seinen Helm und seinen Sauerstofftank. Dann kam nichts mehr.
Odal hob den Kopf und sah Hector am Boden kauern und Munition sammeln. Der kerakische Kämpfer stand rasch auf, beide Hände mit Steinen gefüllt. Er holte mit dem rechten Arm aus…
Irgend etwas veranlaßte ihn, sich umzudrehen und hinter sich zu schauen. Der Felsklumpen türmte sich vor ihm auf, immer noch langsam rotierend, so wie er ihn geworfen hatte. Er war zu groß und bereits zu nah, um ihm noch ausweichen zu können. Er prallte gegen Odal, riß ihn von den Beinen und schleuderte ihn ein paar Meter weiter gegen einen Felsvorsprung.