Noch bevor Odal den Schmerz fühlte, versuchte er bereits den Felsbrocken wegzustemmen. Aber er brachte nicht genügend Kraft dazu auf. Dann sah er den Star Watchman vor sich stehen.
»Hab eigentlich nicht gedacht, daß Sie darauf hereinfallen würden«, erklang Hectors Stimme in seinem Kopfhörer. »Ich meine… war Ihnen denn nicht klar, daß der Brocken zuviel Masse hatte, um sich völlig aus dem Schwerefeld zu lösen, nachdem er mich verfehlt hatte? Sie haben ihn lediglich in eine Kreisbahn beschleunigt, eine, äh, orbitale Umlaufbahn von ungefähr zwei Minuten Dauer. Er mußte zurückkommen… Ich brauchte Sie lediglich für ein paar Minuten an der gleichen Stelle festzunageln.«
Odal antwortete nicht, spannte aber alle Muskeln in seinem schmerzenden Körper an, um den Felsbrocken hochzustemmen. Hector griff ihm über die Schulter und machte sich an den Ventilen am Rücken zu schaffen.
»Tut mir leid… aber ich will Sie nicht umbringen… nur schlagen. Also, eins davon ist das Sauerstoffventil, das andere gehört, glaube ich, zum Rückstoßrucksack. Aber was ist was?«
Hector drehte an einem Ventil. Brüllend zündete eine Rakete, katapultierte Odal unter dem Felsbrocken hervor und schoß ihn in den Weltraum. Der Gasdruck riß Hector von den Beinen und ließ ihn um den halben Planetoiden kollern.
Odal versuchte das Drosselventil des Raketenantriebs zu erreichen, aber die Schmerzen waren zu stark. Bewußtlosigkeit nahte. Er kämpfte dagegen an. Er mußte auf den Planetoiden zurückkehren und irgendwie seinen Gegner töten. Aber allmählich überwältigte ihn der Schmerz. Die Lider waren so schwer, so schwer…
Und unvermittelt saß er wieder in der Kabine der Duellmaschine. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er begriff, daß er wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt war. Dann konnte er wieder klar denken. Es war ihm nicht gelungen, Hector zu töten. Es war ihm nicht einmal gelungen, ihn zu besiegen.
Und an der Kabinentür stand mit unheilverkündender Miene Geheimdienstchef Kor.
Leohs Büro hinter der Duellmaschine sah gegenwärtig aus wie ein großes Doppelzimmer. Eine Wand war durch einen Tri-Di-Schirm ersetzt worden, der jetzt aufgelöst schien und den Blick freigab in das streng funktionale Innere eines Raumschiffs.
Spencer sprach gerade. »Dieser Meuchelmörder ist also auf seine Heimatwelt zurückgekehrt, nachdem er vier Menschen getötet und fast eine Regierung gestürzt hat.«
Leoh nickte. »Unter Bewachung. Vermutlich ist; er in Ungnade gefallen, oder er stand sogar unter Arrest.«
»Wer einem Diktator dient, muß auf seinen Hals ganz besonders achten«, lachte Spencer. »Und der Watchman, dieser Lieutenant Hector, wo steckt der?«
»Geri Dulaq hat ihn mit Beschlag belegt. Eine ganz neue Erfahrung für ihn, plötzlich ein Held zu sein.«
Spencer schlug die Beine übereinander. »Ich habe mir immer geschmeichelt, daß ein Star-Watch-Offizier grundsätzlich jeder Situation gewachsen ist. Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben meine Überzeugung etwas erschüttert. Aber Junior Lieutenant Hector scheint über sich selbst hinausgewachsen zu sein.«
»Hector ist mir zu einer unentbehrlichen Hilfe geworden«, erwiderte Leoh lächelnd. »Ich glaube, du hast da einen erstklassigen Offizier.«
Spencer brummte zustimmend.
»Okay«, fuhr Leoh fort, »damit hätte ich dich auf den aktuellen Stand gebracht. Odal können wir vergessen, glaube ich. Aber die Kerak-Welten haben die Szarno-Federation annektiert und rüsten in großem Maßstab auf. Und die acquatainische Regierung ist noch immer recht wacklig. In ein paar Tagen finden Premierministerwahlen statt — ein halbes Dutzend Kandidaten, keiner mit einer klaren Mehrheit. Und es war auch bestimmt nicht das letzte Mal, daß wir von Kanus gehört haben.«
Spencer hob eine buschige Braue. »Von uns wird er auch noch hören!« grollte er.
II
Stolz und Hochmut
Odal saß in dem Warteraum. Es war eine kahle Zelle mit unverputzten Wänden und einem schmalen Luftschlitz hoch oben unter der Decke. An Mobiliar gab es lediglich eine Holzbank und einen Bildschirm an der gegenüberliegenden Wand. Grabesstille herrschte.
Aufrecht und reglos saß der kerakische Major auf der harten Bank. Aber seine Gedanken überschlugen sich:
Kor benutzt diese Räume, wenn er einem Besucher Respekt einflößen will. Er weiß genau, wie sehr sie einem mittelalterlichen Verlies ähneln. Es macht ihm Spaß, Menschen zu terrorisieren.
Odal wußte, daß die Verhörzellen unten im Keller genauso aussahen. Nur hatten sie keine Fenster, und die Wände waren oft blutbespritzt.
»Der Minister läßt bitten«, ertönte eine weibliche Stimme aus dem Bildschirm. Der Schirm selbst blieb dunkel. Odal begriff, daß er vermutlich beobachtet worden war, seit er Kors Hauptquartier betreten hatte.
Er stand auf, als sich die einzige Tür des Raums automatisch öffnete. Militärisch forsch und mit klickenden Absätzen marschierte er den Korridor hinunter bis zu der Tür am anderen Ende. Er klopfte an dem massiven Holzportal. Keine Antwort. Er klopfte noch einmal, und die Tür schwang von selbst auf.
Kor saß am anderen Ende des Arbeitszimmers hinter einem gigantischen Schreibtisch. Der Raum wurde lediglich von einer Tischlampe erhellt, unter der die Glatze des Ministers spiegelte. Leise schloß Odal die Tür, machte ein paar Schritte in den mit Teppichen ausgelegten Raum und wartete. Der Geheimdienstchef — oder »Direktor des Informationsministeriums« —, wie sein offizieller Titel lautete — beschäftigte sich mit einer Unterschriftsmappe und ignorierte seinen Besucher.
Schließlich blickte Kor auf. »Setzen Sie sich«, befahl er.
Odal trat zum Schreibtisch und nahm auf dem einzelnen hochlehnigen Stuhl davor Platz. Kor unterschrieb noch ein paar Dokumente, dann schob er den Aktenstapel beiseite.
»Heute morgen war ich beim Führer«, sagte er mit seiner unangenehm schrillen Stimme. »Sie können sich vorstellen, daß er nicht sehr begeistert war über den Ausgang Ihres Duells mit dem Watchman.«
Odal konnte sich Kanus’ wütende Tiraden vorstellen. »Mein einziger Wunsch ist es, noch einmal mit diesem Watchman zusammenzutreffen und die Scharte auszuwetzen.«
Kors ausdruckslose Augen starrten Odal an. »Persönliche Motive tun nichts zur Sache. Der Watchman ist nur ein Tölpel, aber er brachte es fertig, unsere ursprünglichen Pläne für die Eroberung von Acquatainia zu durchkreuzen. Gelingen konnte es ihm nur deshalb, weil dieser Leoh seine Nase in fremde Angelegenheiten stecken mußte. Er ist unser Ziel. Er muß beseitigt werden.«
»Verstehe… «
»Nein, gar nichts verstehen Sie!« herrschte ihn Kor an. »Sie haben keine Ahnung von dem neuen Konzept, weil bis jetzt nur der Führer eingeweiht ist. Und ich werde erst darüber sprechen, wenn die Zeit reif ist.«
Odal verzog keine Miene. Sein Vorgesetzter sollte nicht das geringste Zeichen von Schwäche, von Gefühl, von Furcht sehen.
»Für den Augenblick sind Sie meinem persönlichen Stab zugeteilt. Sie bleiben Tag und Nacht hier im Hauptquartier. Ihre Aufgaben bekommen Sie täglich von meinen Mitarbeitern zugeteilt.«
»Sehr wohl, Sir.«
»Und denken Sie daran«, fuhr Kor fort und beugte sich vor, »Ihr Fiasko mit dem Watchman hat dazu geführt, daß der Führer mir Unfähigkeit vorwarf. Entschuldigungen läßt er nicht gelten. Wenn Sie noch einmal versagen, muß ich Sie leider liquidieren lassen.«
»Ich verstehe vollkommen.«
»Schön. Kehren Sie in Ihr Quartier zurück und warten Sie dort, bis Sie gerufen werden. Und vergessen Sie nicht, entweder vernichten wir Leoh, oder er vernichtet uns.«
Odal nickte, stand auf und verließ das Zimmer. Uns, dachte er. Kor verspürt jetzt am eigenen Leib den Terror, den er sonst über andere ausübt. Wenn Odal sicher gewesen wäre, daß ihn keine versteckten Kameras beobachteten, hätte er gegrinst.