Professor Leoh ließ seinen massigen Körper auf eine weiche Aerocouch sinken. Es sah aus, als schwebte er völlig frei in der Luft — einige Zentimeter über dem polierten Metallgestell der Couch.
»Genau das, was ich schon seit langem brauche«, sagte er zu Hector. »Ein wirklicher Urlaub mit allen Bequemlichkeiten. Ein alter Mann wie ich weiß das zu schätzen.«
Der Star Watchman stand an der Panoramawand und betrachtete angelegentlich die geschäftige Stadt tief unter ihm. »Die haben Ihnen wirklich ein schönes Apartment gegeben.«
Das Zimmer war langgestreckt und geräumig, eine Längswand bestand nur aus Fenstern. Das Interieur war farb- und duftcodiert und änderte sich allmählich im Lauf des Tages. Im Augenblick wiesen die Wände warme Braun- und Goldtöne auf, und es duftete dezent nach exotischen Gewürzen.
»Am besten gefällt mir«, sagte Leoh und räkelte sich auf der Couch, »daß jetzt kein Telepath mehr externe Helfer ankoppeln kann, ohne die neue Alarmschaltung auszulösen, und daß ich nichts zu tun habe, bis in Carinae das neue Studienjahr anfängt. Vielleicht gehe ich auch gar nicht zurück; nachdem mich die Acquatainier unbedingt so fürstlich behandeln wollen, warum sollte ich da nicht noch ein oder zwei Jahre hierbleiben? Es gäbe eine Menge Forschungsarbeiten für mich… vielleicht kann ich sogar gelegentlich Gastvorlesungen an der Universität hier halten…«
Hector versuchte höflich zu lächeln bei den Träumereien des alten Mannes, brachte aber nur einen gequälten Ausdruck zustande. »Vielleicht sollten Sie nicht zu lange auf Acquatainia bleiben. Ich meine… na ja, kann doch sein, daß die Keraker immer noch hinter Ihnen her sind. Odal wollte Sie zum Duell herausfordern, bevor ich… also, ich meine…«
»Bevor du mich gerettet hast.«
Der Watchman errötete. »Also, das würde ich ja nicht gerade…ich meine… es war doch eigentlich…«
Leoh lachte. »Brauchst nicht verlegen zu werden, mein Junge. Du bist ein Held. Auf jeden Fall in Geris Augen, stimmt’s?«
»Hm, ja, ich glaube schon.«
»Und wie ist dein Quartier?« wechselte Leoh das Thema. »Komfortabel, hoffe ich?«
»Doch.« Hector nickte. »Die Terranische Botschaft ist fast so feudal eingerichtet wie dieses Apartment.«
»Nicht übel für einen Junior Lieutenant.«
Unruhig tänzelte Hector von der Panoramawand zur Couch und pflanzte sich dann auf einen Netzstuhl.
»Bist du nervös wegen Sir Harolds Besuch?« fragte Leoh.
»N… nervös? Nein, Sir. Halb tot vor Angst bin ich!«
Lachend erwiderte Leoh: »Völlig grundlos, Hector. Harold ist in Wahrheit ein unwahrscheinlich nettes altes Rauhbein… wenn er sich auch sehr bemüht, einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken.«
Hector nickte skeptisch und lief wieder ans Fenster. Dann keuchte er: »Er… er ist da!«
Leoh erhob sich von der Couch und eilte zu der Panoramawand. Ein schnittiger Roadster mit Star-Watch-Emblem war vorgefahren. Offizielle acquatainische Begleitfahrzeuge flankierten ihn.
»Er muß schon auf dem Weg nach oben sein«, meinte Leoh. »Jetzt nimm dich zusammen, Hector, gib dich ganz…«
Der unbedarfte Türcomputer quäkte mit monotoner Stimme: »Die angemeldeten Besucher sind eingetroffen, Sir.«
»Dann mach gefälligst auf«, befahl Leoh.
Die Tür glitt auf und gab den Blick frei auf zwei muskulöse, wachsame Watchmen, eine umfangreiche acquatainische Ehrengarde und, in ihrer Mitte, der korpulente und pausbäckige Sir Harold Spencer in einem schmucklosen grauen Raumoverall.
Der Commander-in-Chief der Star Watch verzog die Lippen zu einem seiner seltenen Lächeln. »Albert, du intergalaktischer Schurke! Wie gehts dir?«
Leoh eilte zur Tür und ergriff Spencers ausgestreckte Hand. »Harold… hätte nicht gedacht, daß wir uns noch mal wiedersehen würden — leibhaftig, meine ich.«
»Wenn ich mir unsere beiden Leiber so ansehe, dann muß ich mich direkt fragen, ob wir nicht irgendein physikalisches Gesetz verletzen, wenn wir zur gleichen Zeit im gleichen Raum sind.«
Lachend gingen sie ins Zimmer. Die Tür glitt zu und sperrte die Ehrengarde aus. Hector stand wie hypnotisiert an der Fensterwand.
»Gut siehst du aus, Harold…«
»Unsinn. Ich bin ein wandelndes geriatrisches Experiment. Aber du, du alter Hexenmeister, du mußt dir einen neuen Körper zugelegt haben seit unserem letzten Treffen.«
»Nein, nur vernünftige Lebensweise.«
»Aha. Mein Untergang. Zu viele Sorgen und zuviel Wein. Muß schön sein, so ein angenehmes, sorgenfreies Leben im akademischen Elfenbeinturm…«
»Und ob, und ob. Ach… Harold, ich möchte dir Junior Lieutenant Hector vorstellen.«
Hector knallte die Hacken zusammen und salutierte zackig.
»Rühren, Lieutenant. Wir sind nicht auf dem Kasernenhof. So, Sie sind also der Mann, der Keraks Chefkiller bezwungen hat?«
»Nein, Sir. Ich meine, jawohl, Sir… ich meine, eigentlich war es Professor Leoh…«
»Unsinn. Albert hat mir alles erzählt. Sie waren der Mann mit Mut und Kaltblütigkeit.«
Hector klappte den Mund auf und zu, aber kein Wort drang über seine Lippen.
Spencer fuhr mit seiner massigen Hand in die Tasche und zog eine kleine Ebenholz-Schatulle hervor. »Das ist für Sie, Lieutenant.« Er reichte Hector die Box.
Der Watchman klappte den Deckel auf und entdeckte darin auf nachtschwarzem Samt zwei kleine silberne Anstecknadeln, die einen Kometen darstellten. Die Rangabzeichen eines Kapitänleutnants. Das Kinn fiel ihm auf die Brust.
»Die offizielle Benachrichtigung schwimmt irgendwo in der Star-Watch-Bürokratie, Lieutenant«, sagte Spencer. »Ich wollte Sie nicht so lange warten lassen, bis die Computer sich gnädigerweise geräuspert haben. Gratuliere zu der wohlverdienten Beförderung.«
Hector brachte ein ersticktes »Danke, Sir« zustande.
Zu Leoh gewandt, fuhr Spencer fort: »Okay, Albert, jetzt wollen wir uns mal über alte Zeiten unterhalten. Du hast doch hoffentlich ein paar flüssige Erfrischungen im Haus?«
Viele Stunden später saßen die beiden alten Herren noch auf der Aerocouch, während Hector von einem Netzstuhl aus zuhörte. Das Zimmer hatte jetzt rötliche und gelbe Farbtöne angenommen, und es duftete nach Wüstenblumen.
»Und was hast du jetzt vor?« fragte Sir Harold gerade den Professor. »Du willst mir doch nicht weismachen, daß du mitten in der schwersten Krise des Jahrhunderts hier faulenzen und dann nach Carinae zurückkehren möchtest?«
Leoh zuckte die Achseln und zog die Brauen hoch, ein Mienenspiel, das Tausende kleiner Fältchen auf seinem fleischigen Gesicht hervorrief. »Ich weiß noch nicht genau, was ich vorhabe. Einerseits möchte ich an ein paar Ideen für besseren interstellaren Transport weiterarbeiten. Und ich möchte gern in der Nähe sein, wenn diese Barbaren aus Kerak noch einmal versuchen, die Duellmaschine für ihre finsteren Zwecke einzusetzen.«
Spencer nickte. »Wußt ich’s doch«, polterte er, »du interessierst dich für Politik. Früher oder später wirst du mir meinen Job streitig machen wollen.«
Darüber mußte sogar Hector lachen.
Wieder ernst geworden, fuhr Spencer fort: »Du weißt natürlich, daß ich offiziell hier bin, um dem neuen Premierminister General Martine meine Aufwartung zu machen.«
»Klar«, erwiderte Leoh. »Und der wirkliche Grund?«
Spencer senkte die Stimme. »Ich möchte Martine überreden, dem Commonwealth beizutreten. Oder zumindest einen Beistandspakt mit uns abzuschließen. Nur auf diese Weise kann Acquatainia einen Krieg mit Kerak vermeiden. Acquatainias ehemalige Verbündete sind alle von Kerak geschluckt oder in eine strikte Neutralität getrieben worden. Allein sind die Acquatainier in größter Gefahr. Aber sogar Kanus wird nicht die Stirn haben, ein Mitglied oder einen Bündnispartner des Commonwealth anzugreifen.«