»Aber Acquatainia wollte nie etwas von einer Mitgliedschaft im Commonwealth wissen… nicht mal von einer Allianz.«
»Richtig, doch vielleicht sieht General Martine die Lage jetzt mit anderen Augen, nachdem Kanus bedrohlich aufrüstet«, argumentierte Spencer.
»Aber der General…« setzte Hector an und stockte dann.
»Nur weiter, Lieutenant. Was wollten Sie sagen?«
»Also… es ist wahrscheinlich nicht wichtig… nur etwas, was mir Geri über den General erzählt hat… äh, den Premierminister, meine ich. Sie sagt… äh, also, er sei ein dickköpfiger, kurzsichtiger, eingebildeter alter Knacker. Das waren ihre Worte, ehrlich, Sir.«
»Die Terranische Botschaft«, knurrte Spencer, »hat genau das gleiche gesagt, allerdings diplomatischer verklausuliert.«
»Ja, und dann hat Geri noch gemeint, er sei sehr tapfer und patriotisch… aber empfindlich wie eine Mimose und furchtbar leicht eingeschnappt.«
Leoh warf Spencer einen besorgten Blick zu. »Das hört sich nicht gerade an, als wollte er freiwillig zugeben, daß er den Schutz des Commonwealth braucht.«
Achselzuckend erwiderte Sir Harold: »Es ist ein Faktum, daß ein Krieg nur durch eine Allianz mit dem Commonwealth verhindert werden kann. Unsere Computersimulatoren haben die Sache durchgespielt. Nachdem Kerak die Szarno Federation geschluckt und Acquatainias ehemalige Verbündete neutralisiert hat, sagt der Computer im Falle eines Krieges einen kerakischen Sieg über Acquatainia voraus. Mit dreiundneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit.«
Leohs Miene wurde noch düsterer.
»Und wenn Kanus Acquatainia unterworfen hat, wird er das Commonwealth angreifen.«
»Was? Aber das wäre ja glatter Selbstmord! Warum sollte er das tun?«
»Weil er ein Verrückter ist, würde ich sagen.« Spencers Stimme klang richtig wütend. »Die Soziodynamiker haben mir erzählt, daß Kanus’ Art von Diktatur laufend expandieren muß, sonst zerbricht sie an innerer Opposition und an internen Machtkämpfen.«
»Aber gegen das Commonwealth hat er doch militärisch keine Chance«, warf Hector ein.
»Korrekt«, bestätigte Spencer. »Alle unsere Computersimulationen brachten das gleiche Ergebnis: das Commonwealth würde Kerak vernichtend schlagen, selbst wenn Kanus über Acquatainias Reserven und Hilfsquellen verfügen könnte.«
Der Star-Watch-Commander schwieg einen Moment und fuhr dann fort: »Aber die Computer sagen auch voraus, daß der Krieg millionenfache Verluste an Menschenleben fordern würde — auf beiden Seiten. Und er wird weitere Konflikte auslösen, an denen letztlich das Commonwealth zerbrechen könnte.«
Leoh ließ sich entsetzt zurücksinken. »Dann… dann muß Martine einfach dem Commonwealth-Bündnis zustimmen!«
Spencer nickte. Aber seine Miene war pessimistisch.
Leoh und Hector sahen sich General Martines Amtseinführung in der Wohnung des Professors am Tri-Di an. An diesem Abend schlossen sie sich den Hunderten von Politikern, Wirtschaftsbossen, hohen Militärs, Botschaftern, Künstlern, Staatsgasten und sonstigen VIPs an, die sich auf dem Raumhafen der Hauptstadt versammelten, um an dem festlichen Ball teilzunehmen. Die Feier sollte auf einem Satelliten stattfinden, der den Zentralplaneten umkreiste.
»Was meinen Sie, ob Geri auch kommt?« fragte Hector, als sie sich mit der Menschenmenge in eine überfüllte Shuttle drängten.
Der Watchman trug seine schwarz-silberne Paradeuniform mit den Kometen-Insignien am Kragenspiegel. Leoh steckte in einem einfachen Overall, wie es auf der Einladung empfohlen worden war, karmesinrot mit goldenem Besatz.
»Sie ist ebenfalls eingeladen, hast du mir erzählt«, antwortete Leoh.
Sie fanden zwei nebeneinanderliegende Sitze und schnallten sich an.
»Aber sie wußte noch nicht, ob sie gehen sollte… nachdem der Tod ihres Vaters doch erst ein paar Wochen zurückliegt.«
Bequem zurückgelehnt in dem gepolsterten Sitz erwiderte Leoh: »Wenn sie nicht kommt, kannst du ihr von der Party erzählen. Das gibt Gesprächsstoff für Stunden.«
Der Watchman grinste überrascht und erfreut. »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht…«
Die Shuttle füllte sich rasch mit ausgelassenen Partygästen und startete dann. Sie stieg wie ein normales Raketenflugzeug bis zum Rand der Atmosphäre, schaltete dann den Booster zu und erreichte rasch den Satelliten. Die Party lief bereits auf vollen Touren, als Hector und Leoh die Schleuse der Shuttle verließen. Es war ein riesiger kugelförmiger Satellit, dessen Inneneinrichtung und Schotten entfernt worden waren, so daß er jetzt wie eine enorme Seifenblase aussah. Die Hülle der Seifenblase war transparent, bis auf zirkelförmige Flächen um die zahlreichen Luftschleusen.
Das müssen schon gut tausend Leute sein, schätzte Leoh, als er die schwerelos durcheinanderquirlenden Menschenmassen im Innern der riesigen Kugel betrachtete. Sie schwebten über ihm, viele mit dem Kopf nach unten, manche quer, manche drifteten gestikulierend und in angeregte Unterhaltung vertieft dahin. Die meisten hielten luftdicht verschlossene Plastikbehälter mit Drinks in der Hand und tranken über eingebaute Saugventile. Die Menge formte ein schwindelerregendes Kaleidoskop: farbenprächtige Kleider, glitzernder Schmuck, Stimmengewirr, vereinzeltes Gelächter — alles tanzte mühelos und schwerelos über seinem Kopf.
Leoh stützte sich haltsuchend auf Hectors Arm.
»An der Hülle scheint ein schwaches Grav-Feld zu wirken«, meinte der Watchman und lupfte vorsichtig einen Fuß vom Boden.
»Für ängstliche Gemüter«, vermutete Leoh.
Die anderen Fährenpassagiere strömten an ihnen vorbei, stießen sich wie Schwimmer von der Luftschleuse ab und schwebten graziös ins Innere der riesigen Kugel.
Leoh sah sich um und entdeckte Büffets und Bars an den Außenwänden, aber auch einige, die mitten im Raum schwebten. Zu Hector gewandt sagte er: »Warum suchst du nicht nach Geri, und ich sehe zu, daß ich Harold finde?«
»Ich bleibe lieber in Ihrer Nähe, Professor. Ich meine, eigentlich ist es doch meine Aufgabe, das heißt, äh…«
»Quatsch! Hier oben gibt es keine kerakischen Attentäter. Such du nach Geri.«
»Also gut«, erwiderte Hector grinsend. »Aber ich behalte Sie im Auge.«
Und damit stieß sich Hector vom Boden ab in Richtung auf die schwerelose Menge. Aber die Bewegung war etwas zu schwungvoll; er prallte mit einem schreiend bunt gekleideten Acquatainier zusammen, der mit einem Drink in der Hand vorbeischwebte, und versetzte den Mann, den Drink und sich selbst in unkontrolliertes Trudeln. Der Verschluß des Plastikbehälters platzte auf, kleine flüssig Kugeln spritzten durch die Luft, prallten auf andere Gäste und zerplatzten in immer kleinere Tröpfchen. Eine Frau kreischte.
Der Acquatainier fing sich sofort wieder, aber Hector konnte nicht stoppen. Kopfüber kreiselnd pflügte er durch die Menge und stieß einen endlosen Strom von »Hoppla… Vorsicht… Pardon…du meine Güte… Aufpassen…« aus.
Leoh stand wie angewurzelt neben der Luftschleuse und starrte ihm ungläubig nach. Die schwerelosen Gäste flüchteten aus seiner Bahn, manche fluchten, ein paar Frauen kreischten, aber die meisten lachten. Hinter ihm schlossen sie wieder auf, und Leoh verlor den Watchman aus den Augen. Drei Stewards nahmen die Verfolgung auf und versuchten ihm den Weg abzuschneiden.
Erst dann bemerkte Leoh einen Steward neben sich, der einen schmalen Gürtel in der Hand hielt. »Ein Stabilisator, Sir. Die meisten Gäste haben ihren eigenen mitgebracht. Ohne den Gürtel ist das Manövrieren etwas schwierig… wie uns der Watchman gerade demonstriert.«
Leoh nahm den Gürtel dankbar an, kam zu der Ansicht, daß er Hector auch nicht helfen konnte — höchstens zu dem Durcheinander beitragen würde —, und schwebte statt dessen aufwärts ins Zentrum der Party. Das Gefühl der Schwerelosigkeit war angenehm, es erinnerte an das faule Dahintreiben in einem Swimming-pool. Er besorgte sich einen Plastikbehälter mit einem Drink und saugte an dem Ventil, während er auf eine größere Gruppe von Gästen ziemlich im Mittelpunkt der Kugel zudriftete.