Schmerzhafte Erinnerungen an die Knochenbrecher-Kurse auf der Akademie zuckten Hector durch den Sinn. Am deutlichsten erinnerte er sich an ein Bild, wie er flach auf dem Rücken lag und sein Ausbilder ein verzweifeltes »Nein, nein, nein!« ausstieß.
Odal trat hinter einem mannshohen Bildschirm hervor. »Du scheinst nicht gerade begeistert zu sein, mit mir zu kämpfen. Vielleicht hast du Angst, mir weh zu tun? Ich will dir zeigen, daß ich mich zu verteidigen weiß.«
Odals Fuß zuckte vor und ließ einen Stuhl wie von einem Katapult abgeschossen gegen das Hartplastik eines Bildschirms krachen. Der Stuhl löste sich in seine Einzelteile auf. Dann ließ er die Handkante auf einen Schreibtisch niedersausen: die Metallplatte dröhnte dumpf und bekam einen Knick.
Hector wich zurück, bis ein weiterer Tisch seinen Rückzug stoppte. Er warf einen Blick über die Schulter und sah, daß es sich um eine Art Kommandopult handelte, langgestreckt und mit Hunderten von komplizierten Schaltern und Monitoren. Mehrere Drehstühle mit Rollen standen davor aufgereiht.
Odal kam näher. Eine Stimme in Hectors Kopf riet ihm dringend, Fersengeld zu geben und sich zu verstecken, aber dann hörte er seinen alten Ausbilder brüllen: »Männer, die beste Verteidigung ist ein blitzschneller, rücksichtsloser Angriff!« Hector holte tief Luft, winkelte die Knie an und stürzte sich auf Odal.
Nur um herumgewirbelt, hochgelupft und gegen das Kommandopult geschleudert zu werden, wo er schmerzhaft auf die Schalter prallte.
»SUCHEN SIE DAS IDEALE URLAUBSPARADIES?« dröhnte eine Stimme. Hinter Odal schlug ein Mädchen in einem völlig durchsichtigen Raumanzug einen graziösen Salto im freien Fall. Hector blinzelte verdutzt, und auch Odal, der einen Blick über die Schulter warf, war einen Moment sprachlos. Die Stimme plärrte weiter: »KOMMEN SIE ZU DEN URLAUBSEXPERTEN IM ORBIT HOUSE, ACQUATAINIAS NEUESTEM NULL-G-FERIENZENTRUM…«
Hector schoß eine weitere Maxime seines alten Instrukteurs durch den Sinn: »Wann immer du kannst, lenke deinen Gegner ab. Sorge für Verwirrung. Finten, Ablenkungsmanöver!«
Hector rollte sich von der Tischplatte und lief an dem Kommandopult entlang, wobei er jeden erreichbaren Schalter betätigte.
»HABEN SIE ES SATT, DASS MAN IMMER ›KLEINER‹ ZU IHNEN SAGT?« Ein griesgrämiger Jüngling, der auf Zehenspitzen neben einer atemberaubenden und hochgewachsenen Rothaarigen stand, erschien neben Odal. Der kerakische Major schrak unwillkürlich zurück.
»DAS UNWIDERSTEHLICHE PARFÜM…« Eine verführerische Blondine materialisierte vor seinen Augen.
»DIE MODERNE MEDIZIN KANN JEDE KRANKHEIT HEILEN, ABER WENN ES SICH UM EINE INTIME KÖRPERPARTIE HANDELT…« sagte ein Arzt und strahlte wohlwollende Anteilnahme aus.
Odal war umringt von lebensechten, lebensgroßen Tri-Di-Werbespots.
»WENN SIE MEHR GEGESSEN HABEN ALS SIE EIGENTLICH WOLLTEN…«
»DER STRESS DES MODERNEN LEBENS…«
»DAS NONPLUSULTRA FÜR DIE MODERNE FRAU…«
Mit hervorquellenden Augen sah sich Odal bedrängt von einem tanzenden Teenager, der Mutter einer »Durchschnittsfamilie«, einem besorgten jungen Ehemann, einem nervösen Manager, einem lächelnden Liebespärchen, einer Gruppe von Surfern, einem Chor animierter Kohlköpfe. Wutschnaubend tauchte Odal plötzlich zwischen den anpreisenden, schwatzenden, zum Kauf drängenden Gestalten hindurch und stürzte sich auf das Kommandopult.
»Du kannst dich nicht vor mir verstecken!« brüllte er und hämmerte auf Schalter und Tasten und Monitore.
»Wer versteckt sich denn?« rief hinter ihm Hector.
Odal wirbelte herum und schoß einen ungezielten Schwinger ab. Verdutzt sah er seine Faust ins Gesicht eines knackigen Minikini-Mädchens eintauchen. Es lächelte ihn betörend an und fuhr ungerührt mit ihrem Werbespruch fort. »… UND WENN SIE IN DER STIMMUNG FÜR EINE UNGEWÖHNLICHE ART VON AUFMUNTERUNG SIND…«
Hector hatte sich geduckt. Odal drehte sich um und jagte dem Watchman nach, versuchte ihn zu fassen, als er zwischen den Dutzenden von tanzenden, lachenden, trinkenden, essenden, pillenschluckenden, flirtenden Tri-Di-Bildern umhertänzelte.
»Feigling!« brüllte Odal durch das hektische Geplapper.
»Warum sollte ich mit dir kämpfen?« schrie Hector aus irgendeiner Ecke.
Odal kniff die Augen zusammen und versuchte durch die zappelnden Tri-Di-Gestalten hindurchzusehen. »Du hast mich in der Duellmaschine ausgetrickst, aber hier helfen dir keine Tricks! Ich finde dich, und dann bringe ich dich um!«
Eine schwarz-silberne Uniform blitzte zwischen den Mannequins, übergewichtigen Frauen, untergewichtigen Männern und brand-brand-brandheuen Produkten auf. Odal wandte sich in diese Richtung.
»Und was war mit Leoh?« drang Hectors Stimme durch den infernalischen Lärm. »Er hat dich ohne alle Tricks geschlagen. Aber an ihn wagst du dich wohl nicht heran, wie?«
Odal lachte höhnisch. »Du glaubst im Ernst, der alte Knacker hätte mich geschlagen? Ich hätte ihn jederzeit abservieren können.«
Er schlüpfte unter dem Arm einer guterhaltenen Matrone durch, die gerade theatralisch fragte: »WARUM MACHEN SIE SICH GEDANKEN UM DAS HERANNAHENDE ALTER, WENN ES DOCH HIER DIESE VERJÜNGUNGS…« Da war Hector, der sich langsam zur Tür schob.
»Du hast absichtlich gegen Leoh verloren?« Hectors Gesicht, bizarr beleuchtet von den Tri-Di-Bildern, sah eher verwirrt als ängstlich aus. »Um den Eindruck zu erwecken…«
»Um den Eindruck zu erwecken, daß Leoh ein großer Held ist, und daß es auf Kerak nur Schwächlinge und Feiglinge gibt. Alle seine Duelle dienten diesem Zweck. Und während er die Acquatainier mit seinen Siegesmärchen einlullt, treffen wir Angriffsvorbereitungen!«
Bei dem letzten Wort stürzte sich Odal auf Hector und rammte ihm mit aller Kraft die Schulter gegen die Brust. Beide gingen zu Boden.
Ein Gewirr von Armen und Beinen. Knien und Ellbogen, keuchende Atemzüge; zwei kräftige junge Körper in tödlichem Ringkampf. Irgendwie kollidierten sie mit einem Drehstuhl, der prompt auf sie fiel. Hector löste sich aus Odals Griff. Als der kerakische Major sich aufrichtete, kam ihm noch einmal der Stuhl in die Quere; er stolperte darüber und schlug der Länge nach hin.
Fluchend rappelte er sich auf. Aber Hector war bereits auf den Beinen. Und dann ging die Tür auf, und Licht vom Korridor fiel in den dunklen Raum, im Türrahmen stand ein Mädchen, eine Pistole in der zitternden Hand.
»Hector! Hier!« rief Geri und warf dem Watchman die Waffe zu.
Hector fing sie auf und richtete sie auf Odal. Der kerakische Major erstarrte in seiner halb aufgerichteten Stellung, und auf seinem wutverzerrten Gesicht spiegelte sich plötzlich Furcht. Auch Hector rührte sich nicht, hielt nur den Strahler mit ausgestrecktem Arm auf Odals Kopf gerichtet.
»Schieß doch!« flüsterte Geri. »Schnell, sie kommen schon!«
Hector ließ den Arm sinken. Die Strahlpistole zielte nur noch ungefähr in Odals Richtung. »Stehen Sie auf, Major«, sagte er tonlos. »Und… liefern Sie mir keinen Vorwand, dieses Ding abzufeuern.«
Langsam richtete sich Odal auf.
»Bring ihn um! Du hast es versprochen!« heulte Geri los.
»Ich kann nicht… kann ihn nicht einfach abknallen…«
»Du meinst, du willst nicht!«
Hector nickte, ohne Odal aus den Augen zu lassen. »Ganz recht. Ich will nicht. Nicht einmal für dich tue ich so etwas.«
Odals Stimme war wie ein Messer. »Sie sollten mich töten, Watchman, solange Sie noch die Gelegenheit dazu haben. Denn ich werde nicht ruhen, bis ich Sie erwischt habe!«
Drei atemlose Uniformierte tauchten an der Tür auf; hinter ihnen kam Leoh mit einem halben Dutzend Journalisten aus der Tri-Di-Show.
»Was geht hier vor? Wer ist das? Sind Sie…«
»Das ist Major Odal«, sagte Hector und deutete mit dem Strahler auf den Keraker. »Er… äh, genießt diplomatische Immunität. Begleiten Sie ihn bitte in die Kerakische Botschaft.«