Mit ausdrucksloser Miene nickte Odal dem Star Watchman zu und ging mit den Wachmännern.
»Sie meinen, es ist alles über den Tri-Di-Sender gegangen? Jedes Wort?« fragte Hector.
Er saß mit Leoh und Geri im Fond eines automatisierten Roadsters, der sich zielstrebig seinen Weg durch die dunkle Stadt zu Geris Villa suchte. Der Mitternachtsregen fiel seine programmierte halbe Stunde, und das Kuppeldach des Fahrzeugs hatte sich geschlossen.
Geri hatte kein einziges Wort gesagt, seit Odal aus dem Tri-Di-Studio geführt worden war.
Aber Leoh lachte vergnügt. »Als du all diese Tasten gedrückt und die Werbespots eingeschaltet hast, wurde auch die zentrale Lautsprecheranlage für die Studios aktiviert. Wir hörten das Tohuwabohu und dazu deine und Odals Stimme. Kam mitten in der Show über unsere Monitorlautsprecher. Du hättest die Gesichter der Leute sehen sollen! Und wie man mir sagte, hast du mindestens noch sechs weitere Studioaufnahmen ruiniert, die gerade liefen.«
»Wirklich?« Hector rutschte unbehaglich auf dem Polster herum. »Ich … also, das wollte ich nicht … ich meine… es tut mir leid, daß …«
Leoh unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Beruhige dich, mein Junge. Dein Kampf mit Odal — der akustische Teil davon — wurde in fast jedes Haus ausgestrahlt. Jedermann in Acquatainia weiß jetzt, was ich für ein Narr gewesen bin und daß Kerak nach wie vor eine tödliche Bedrohung darstellt.«
»Sie sind kein Narr«, protestierte Hector.
»Doch, doch«, beharrte Leoh. »Ich war ein Einfaltspinsel, der so von seinem Ruhm geblendet war, daß er nicht mehr klar denken konnte. Aber das ist vorbei. Mein Platz ist in der Wissenschaft, nicht in der Politik und ganz bestimmt nicht im Showbusineß! Ich werde mich auf deinen ›Sprung‹ in der Duellmaschine konzentrieren. Wenn das Teleportation war, dann kann die Maschine diese Fähigkeit verstärken, so wie sie Odals telepathische Begabung verstärkte. Wenn wir jetzt der Maschine genügend Power geben…«
Der Roadster kam unter der überdachten Auffahrt vor Geris Villa zum Halten. Leoh blieb im Wagen, während Hector Geri zur Haustür brachte. Hector konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht genau sehen. Sie blieben an der Tür stehen.
»Geri… ich… also ich konnte ihn einfach nicht töten. Nicht… nicht auf diese Art. So gern ich dir den Gefallen getan hätte, aber… also wenn du einen Meuchelmörder suchst, dann bin ich, glaube ich, nicht ganz der Richtige.«
Sie antwortete nicht. Eine schwache Brise wehte den Geruch feuchten Laubs herüber.
Hector trat von einem Fuß auf den anderen.
Schließlich sagte er: »Also dann, gute Nacht…«
»Adieu, Hector«, antwortete Geri kalt.
Leoh schaute geflissentlich weg und sah den letzten Regentropfen zu, wie sie auf den Statuen entlang der Auffahrt zerplatzten. Hector kam zurück. Der alte Wissenschaftler blickte den Watchman an, nachdem er in den Wagen geschlüpft und auf dem Sitz zusammengesunken war.
»Warum so finster, mein Junge? Was ist los?«
»Das ist eine lange Geschichte…« erwiderte Hector achselzuckend.
»Ach so, verstehe. Also, um auf meine Idee mit der Teleportation zurückzukommen, wenn wir die Leistung der Maschine entsprechend steigern können…«
III
Ein Menschheitstraum
Es war eine grausame Ironie, dachte Odal, daß sie die Maschine jetzt dazu benutzten, ihn zu foltern. Denn Folter war es, egal wie sie es bezeichneten oder wie sie dabei lächelten.
Er saß in der engen Kabine, starrte die kahlen Wände an, den leeren Bildschirm, und wartete darauf, daß sie anfingen.
Der Preis für Versagen war hoch, zu hoch. Kanus hatte Odal zum Helden von Kerak gemacht, solange er erfolgreich war, solange er Keraks Gegner vernichtete.
Nun vernichteten sie ihn.
Nicht daß sie ihm körperlichen Schaden zufügten. Offiziell stand er nicht einmal unter Arrest. Er war lediglich für Experimente in Kors Hauptquartier, dem Informationsministerium, abkommandiert worden — einer weitläufigen, steinernen Burg auf einem Berggipfel, uralt und abweisend von außen; innen ein Labyrinth der Pein und des Terrors und Kors unersättlicher Gier nach neuen Opfern.
In der Duellmaschine waren die eingebildeten Schmerzen nicht weniger qualvoll als in der Realität. Odal lächelte zynisch. Die Männer, die er getötet hatte, starben zuerst in ihrer Phantasie. Aber dann hörten ihre Herzen sehr bald zu schlagen auf.
Okay, sind Sie bereit? Die Stimme ertönte in seinem Kopf, war in der Maschine erzeugt worden und über die Neurokontakte in sein Gehirn gespeist.
Wir werden heute etwas tiefer eindringen und versuchen, den Ursprung Ihrer paranormalen Fähigkeiten zu finden. Ich rate Ihnen dringend, sich zu entspannen und mitzuarbeiten.
Gestern waren sie zu dritt gewesen, hatten ihn von der anderen Seite der Maschine aus bearbeitet. Heute waren es mehr, merkte Odal. Sechs? Acht? Möglicherweise ein ganzes Dutzend.
Er spürte sie: fremde Gedanken, fremdartige Persönlichkeiten, die in seinen Geist eindrangen. Seine Hände zuckten unkontrolliert, sein Körper wand und krümmte sich.
Sie bemächtigten sich seiner Steuerzentren, berannten seine sensorischen Bezirke. Muskeln zuckten krampfartig, Nerven schrien gepeinigt auf, die Körpertemperatur schoß in die Höhe, Ohren schrillten, Augen zuckten flammende Röte, unerträglich grelle Sterne barsten. Jetzt drangen sie tiefer ein, vorbei an den physischen Reizzentren, gruben, bohrten durch ein langjährig aufgebautes neutrales Verteidigungsgefüge, tasteten mit einer rotglühenden, ultraharten Sonde nach seiner eigentlichen Persönlichkeit.
Odal hörte eine angstverzerrte Stimme: Sie sind hinter MIR her. Sie wollen MICH. Versteck dich! Versteck dich!
Es war seine eigene Stimme.
Trotz seiner Geräumigkeit, fand Leoh, wirkte das Amtszimmer des Premierministers bedrückend antiquiert. Es war in Blau und Gold gehalten, und das Gewicht längst vergangener Tradition und sentimentaler Erinnerung lastete schwerer über dem Raum als die golddurchwirkten Schärpen an Türen und Fenstern.
Es war keine große und spektakuläre Audienz gewesen. Martine hatte Leoh zu einem zwanglosen Gespräch geladen; Hector war geflissentlich vergessen worden. Ein gutes Dutzend Berater, Politiker und hohe Regierungsbeamte drängten sich um den Schreibtisch des Premiers, als er Leoh offiziell dafür dankte, Keraks Versuch, die Duellmaschine als Verschleierung für die Kriegsvorbereitungen zu benutzen, entlarvt zu haben.
»Eigentlich war es Lieutenant Hector von der Star Watch, der das Komplott aufgedeckt hat, nicht ich«, wandte Leoh ein.
Martine machte eine unwirsche Handbewegung. »Der Watchman ist nichts weiter als Ihr Assistent; Sie sind der Mann, den Kanus fürchtet.«
Nach einem knapp zehnminütigen Gespräch nickte Martine einem Mitarbeiter zu, der darauf zur Tür ging und einen Schwarm von Fotografen einließ. Der Premierminister kam um den Schreibtisch herum und postierte sich neben Leoh, den er um Haupteslänge überragte, während die Reporter ihre Aufnahmen machten. Dann war die Audienz zu Ende. Die Reporter zogen sich zurück, und auch die anderen Gesprächsteilnehmer brachen auf.
»Professor Leoh!«
Er war schon fast an der Tür, als Martine ihn rief. Leoh drehte sich um und sah den Premierminister in seinem hohen Schreibtischsessel sitzen. Die übliche kalte Reserviertheit war wie weggewischt, und ein warmes, beinahe freundliches Lächeln lag auf Martines Gesicht.
»Bitte schließen Sie die Tür und setzen Sie sich noch ein paar Minuten zu mir«, sagte Martine.
Leoh gehorchte verdutzt. Als er in einem Sessel neben dem Schreibtisch Platz nahm, sah er Martines Hand zielbewußt über das Schaltpult an seinem Schreibtisch wandern. Dann zog der Premierminister ein Schreibtischfach auf, und Leoh hörte das leise Klicken eines Schalters.