»Verstehe«, sagte Odal. »Ich weiß jetzt zuviel, als daß Sie mich am Leben lassen könnten.«
»Es steht so viel auf dem Spiel, daß das Leben eines Einzelnen nicht zählt. Wenn Sie sich nicht entschließen, bei uns mitzumachen, bevor Sie die Duellmaschine verlassen, dann warten draußen der Meditechniker und der Sergeant auf Sie. Sie haben ihre Befehle.«
»Mich zu ermorden«, ergänzte Odal. »Bei einem Fluchtversuch erschossen, heißt es dann offiziell.«
»Ja. Ich muß es leider so brutal ausdrücken; aber die Entscheidung liegt bei Ihnen. Mitmachen oder Tod.«
Während Odal sich im nächtlichen Kerak die Entscheidung überlegte, war es später Nachmittag in der Hauptstadt von Acquatainia.
Hoch über der City kreiste Hector in einem gemieteten Aero-Car, das eigentlich schon längst auf den Abwrackplatz gehörte. Er starrte auf die Monitorschirme und saß angespannt im Pilotensitz; die anderen drei Plätze waren leer.
Ein Abschnitt seiner Kreisbahn führte ihn durch einen vielbeflogenen Luftkorridor, aber er ignorierte die anderen Aero-Cars und hatte den Autopiloten auf einen starren kreisförmigen Kurs fixiert, während der heimwärtsflutende Berufsverkehr um ihn herum lebensgefährliche Ausweichmanöver fliegen mußte. Wütende Fahrer stießen wüste Beschimpfungen über die Bordradios aus. Hector hatte sein Funkgerät ausgeschaltet; jeder Sinnesnerv war auf die Bildschirme konzentriert.
Die Tri-Di-Scanner des Aero-Cars waren auf Geri Dulaqs Haus am Stadtrand gerichtet. Hector interessierte sich für nichts anderes. Gleiter schwirrten an seiner Plastikkanzel vorbei, aufgebrachte Piloten ballten drohend die Fäuste. Er sah sie nicht. Der Wind pfiff verdächtig durch die Kabine, die eigentlich luftdicht sein sollte; das Aero-Car ächzte und vibrierte, statt geräuschlos und erschütterungsfrei dahinzugleiten. Er bemerkte es nicht.
Da ist sie! Er war wie elektrisiert, als er sie endlich im Garten neben ihrer Villa entdeckten.
Einen flüchtigen Moment zweifelte er, ob er wirklich den Mut dazu aufbringen würde, aber seine Hand hatte sich bereits um den Steuerknüppel verkrampft, und das Aero-Car setzte zu einem langen, heulenden Sturzflug auf die Villa an.
Die rötliche Sonne von Acquatainia schien Hector direkt in die Augen, obwohl die fotochromatische Kanzel eigentlich als Blendschutz wirken sollte. Irritiert kniff Hector die Augen zusammen und konnte mit Mühe das Haus ausmachen, das mit atemberaubendem Tempo auf ihn zugerast kam. Er riß den Steuerknüppel zurück, fuhr die Bremsklappen voll aus, schwenkte die heulenden Triebwerke in Landeposition und klatschte das Aero-Car inmitten einer riesigen Staubwolke direkt auf Geris Blumenbeet.
»Du!« schrie sie, als er die Kanzel aufstieß. Sie drehte sich um und rannte zum Haus. Hector wollte aus dem Cockpit springen, aber der Sitzgurt schnitt ihm schmerzhaft in Bauch und Schultern.
Bis Hector den Sicherheitsgurt ausgeklinkt hatte und neben dem Aero-Car auf dem Blumenbeet stand, war Geri bereits im Haus verschwunden. Aber die Tür stand noch offen. Hector sprintete los.
Ein ältlicher Bediensteter erschien auf dem Gehweg vor der Tür. Hector schlüpfte unter seinen abwehrend ausgebreiteten Armen durch und warf sich gegen die Tür, die jetzt zuschwang. Er schaffte es nur halb und fand sich plötzlich zwischen Tür und Rahmen eingeklemmt.
Hector hörte ein Keuchen hinter der Tür und spürte, wie sich jemand dagegenstemmte, obwohl sich ein Arm und ein Bein von ihm bereits im Haus befanden. Er drückte kräftig gegen die Tür und hoffte, daß nicht Geri dahinter stand. Die Tür gab kaum nach. Das kann nicht Geri sein, sagte er sich. So gut es ging stützte er sich auf das eine, außerhalb stehende Bein und stemmte sich mit aller Kraft gegen die Tür. Sie gab langsam nach, dann flog sie plötzlich auf. Hector verlor das Gleichgewicht und prallte mit dem stämmigen Butler zusammen, der ihn auszusperren versucht hatte. Beide purzelten auf den harten Plastiholzboden des Eingangs.
Hector richtete sich auf Händen und Knien auf und erhaschte einen Blick auf Geri oben am Ende der breiten, geschwungenen Freitreppe, welche die Eingangshalle der Villa beherrschte. Dann warf sich der Hausdiener über ihn und wollte ihn zu Boden drücken. Hector drehte sich unter ihm heraus, löste sich aus der unbeholfenen Umklammerung und stand auf.
»Zwingen Sie mich nicht, Ihnen die Knochen zu brechen!« stieß Hector mit nicht sonderlich fester Stimme hervor und nahm eine — wie er hoffte — drohende Haltung ein. Zwei schwächliche Arme umklammerten ihn von hinten. Der ältere Diener. Hector riß sich los und lief ein paar Schritte ins Haus hinein, wobei er den stämmigen Hausdiener, der am Boden kauerte und Gen fragend anblickte, nicht aus den Augen ließ.
Sie braucht nur zu nicken, dachte Hector, dann gehen die beiden sofort auf mich los.
»Ich habe dir doch gesagt, ich will dich nie mehr sehen!« schrie sie. »Nie mehr!«
»Ich muß unbedingt mit dir sprechen«, schrie er zurück. »Nur fünf Minuten…allein.«
»Kommt nicht in… deine Nase blutet.«
Er fuhr mit der Zunge über die Oberlippe und schmeckte salziges Blut.
»Ich… die Tür… wahrscheinlich habe ich die Tür auf die Nase gekriegt.«
Geri machte ein paar zögernde Schritte die Treppe hinunter, holte dann tief Atem und kam langsam in die Eingangshalle.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte sie zu den Bediensteten. »Ihr könnt gehen.«
Der Stämmige machte ein unsicheres Gesicht. Der Ältere piepste: »Aber wenn er…«
»Ich kann allein auf mich aufpassen«, versicherte Geri. »Ihr könnt im Nebenzimmer warten, wenn ihr wollt. Der Lieutenant bleibt nur fünf Minuten. Keine Sekunde länger!« fügte sie zu Hector gewandt hinzu.
Widerstrebend zogen die Bediensteten ab.
»Du hast mein Blumenbeet ruiniert«, sagte sie zu Hector. Aber ihre Stimme war weich, und um ihre Mundwinkel zuckte es verräterisch. »Und du blutest immer noch aus der Nase.«
Hector wühlte in seinen Taschen. Geri zauberte ein Papiertuch hervor.
»Hier. Jetzt kannst du das Blut abwischen und wieder gehen.«
»Erst wenn ich das losgeworden bin, was ich dir zu sagen habe«, näselte Hector, das Taschentuch an die Nase gedrückt.
»Halt den Kopf hoch. Du bekleckerst den ganzen Fußboden.«
»So kann ich mich nicht unterhalten.«
Geri lächelte unwillkürlich. »Ist ja schließlich deine eigene Schuld. Man kommt auch nicht in anderer Leute Vorgarten geplumpst wie… wie…«
»Du wolltest ja nicht mit mir sprechen. Und ich mußte es dir einfach sagen.«
»Was mußtest du mir sagen?«
Hector ließ den Kopf sinken, wobei seine Halswirbel schmerzhaft knacksten. »Also… verdammt noch mal, Geri, ich liebe dich. Aber dein angeheuerter Killer will ich nicht sein. Und wenn du mich lieben würdest, wolltest du das auch nicht. Ein Mann darf kein Schoßhündchen sein… und apportieren, wenn sein Frauchen pfeift. Ich bin nicht…«
Ihr Gesicht wurde hart. »Ich habe dich nur um das gebeten, was ich selbst getan hätte, wenn ich ein Mann wäre.«
»Du hättest Odal getötet?«
»Selbstverständlich.«
»Weil er deinen Vater ermordet hat?«
»Ganz recht.«
Hector nahm das Tuch von der Nase. »Aber Odal führte nur Befehle aus. Kanus war es, der den Mord an deinem Vater angeordnet hat.«
»Dann würde ich auch Kanus töten, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte«, versetzte sie heftig.
»Du würdest jeden umbringen, der nur irgendwie beteiligt war?«
»Selbstverständlich.«
»Die anderen Soldaten, die Odal bei dem Duell geholfen haben, die würdest du auch umbringen?«
»Natürlich!«
»Jeden, der Odal geholfen hat? Die Raumschiffbesatzung, die ihn nach Acquatainia brachte?«
»Ja! Alle! Jeden einzelnen!«
Sanft legte ihr Hector die Hand auf die Schulter. »Dann mußt du auch mich töten, denn ich habe ihn gehen lassen. Ich habe ihm zur Flucht verholfen.«