Romis zuckte die Achseln und wandte sich wieder dem Meditechniker zu. »Und Sie sind sicher, daß Sie den Watchman unbemerkt weggebracht haben?«
»Jawohl, Sir. Auf der üblichen Route. Es wurden nur Männer eingeweiht, die loyal zu uns stehen.«
»Gut. Dann laßt uns hoffen, daß keiner unserer loyalen Freunde auf die Idee kommt, seine Loyalität einem anderen anzubieten.«
»Wie wollen Sie Odals Verschwinden erklären?« erkundigte sich der Captain. »Man wird doch sicher heute morgen den Führer informieren.«
»Zweifellos. Und ich habe nicht die Absicht, auch nur ein Wort zu sagen. Kor nimmt an, daß Odal, sein Bewacher und der Meditechniker mit der Duellmaschine entkommen sind. Soll er das weiterhin annehmen; auf uns fällt nicht der geringste Verdacht.«
Der Captain murmelte zustimmend.
Es klopfte. Der Captain öffnete die Tür, und der Wachtposten reichte ihm eine Nachricht. Der Captain überflog den Text und gab ihn dann an Romis weiter. »Ihre Tri-Di-Verbindung steht, Sir.«
Romis zerknüllte die Notiz. »Dann muß ich mich beeilen, bevor man den Beam anpeilt. Hier« — er reichte dem Meditechniker das zerknüllte Papier — »vernichten Sie das. Eigenhändig.«
Eilig lief Romis den Korridor entlang zu einer anderen Kabine, die als Kommunikationszentrale diente. Als er mit dem Captain eintrat, stand der Funktechniker auf, salutierte und zog sich diskret auf den Korridor zurück.
Romis setzte sich vor den Bildschirm und drückte auf eine Taste an der Konsole. Sofort erschien auf dem Schirm die massige Gestalt von Sir Harold Spencer. Er saß an einem Metallschreibtisch und war offensichtlich an Bord seines Raumschiffs.
Spencers Gesicht verhieß nichts Gutes. »Minister Romis! Ich wollte Sie gerade anrufen, als Ihr eigener Anruf hier einging.«
Romis lächelte diplomatisch und antwortete: »Aus Ihrem Gesichtsausdruck schließe ich, daß Sie den Grund meines Anrufs bereits kennen, Commander.«
Sir Harold erwiderte sein Lächeln nicht. »Sie sind ein gewiefter Diplomat, Romis. Ich bin nur einfacher Soldat. Kommen wir zur Sache.«
»Selbstverständlich. Ein Major der kerakischen Streitkräfte ist spurlos verschwunden, und ich habe Grund zu der Annahme, daß er sich in Acquatainia befindet.«
»Ein Star-Watch-Lieutenant ist verschwunden«, äffte ihn Spencer polternd nach, »und ich habe allen Grund zu der Annahme, daß er sich in Kerak befindet.«
»Ihr Verdacht ist nicht ganz unbegründet«, parierte Romis mit leisem Spott. »Und meiner?«
Der Star-Watch-Commander rieb sich das massige Kinn. »Sie haben gerade in der Ich-Form gesprochen, nicht in dem üblichen diplomatischen Plural. Wäre es denkbar, da Sie nicht für die kerakische Regierung sprechen?«
Romis warf dem Captain, der außerhalb des Kamerabereichs an der Tür stand, einen fragenden Blick zu. Der Captain runzelte nur die Stirn und bedeutete mit einer Geste, daß die Zeit knapp wurde.
»In der Tat«, sagte Romis zu Sir Harold, »ich spreche im Moment nicht im Auftrag meiner Regierung. Wenn sich der verschwundene kerakische Major in Ihren Händen befindet, können Sie unschwer von ihm Genaueres über meine derzeitige, äh, Situation erfahren.«
»Verstehe«, brummte Spencer. »Darf ich daraus entnehmen, daß sich Lieutenant Hector in Ihrer Gewalt befindet — und nicht in der Gewalt von Kanus und seiner Gangsterbande?«
Romis nickte.
»Sie möchten ihn gegen Major Odal austauschen?« erkundigte sich Sir Harold.
»Keineswegs. Im Augenblick ist der Major… sicherer… wo er sich jetzt befindet. Zur Zeit wollen wir ihn nicht zurückhaben. Später vielleicht. Ich möchte Ihnen jedoch versichern, daß Lieutenant Hector kein Leid geschieht — ganz egal, was sich hier auf Kerak ereignen sollte.«
Spencer schwieg eine ganze Weile. Schließlich sagte er: »Sie scheinen anzudeuten, daß in Kürze mit einer, äh, Veränderung in der kerakischen Regierung zu rechnen ist und daß Sie Lieutenant Hector als Faustpfand behalten wollen, um sicherzustellen, daß die Star Watch nicht interveniert. Ist das korrekt?«
»Sie drücken es ziemlich drastisch aus«, meinte Romis, »aber im Prinzip ist es korrekt.«
»Na schön«, knurrte Spencer, »dann machen Sie mal Ihre Palastrevolution. Aber ich muß Sie warnen: wenn einem einzigen Watchman ein Haar gekrümmt wird, dann haben Sie so schnell eine Invasion am Hals, wie meine Raumflotte Ihr System erreichen kann. Ich pfeife auf die Zustimmung des Terranischen Councils und auf sonstige Formalitäten. So wahr ich hier sitze — ich verwandele Kerak in einen rauchenden Trümmerhaufen! Ist das klar ausgedrückt?«
»Völlig klar«, erwiderte Romis gepreßt und mit hochrotem Kopf. »Völlig klar.«
Leoh mußte den längsten Korridor im acquatainischen Justizministerium passieren, eine Liftröhre ins tiefste Kellergeschoß nehmen, vier Checkpoints überwinden, die von Dutzenden schwerbewaffneter Posten bewacht wurden, kam dann in einen Vorraum, wo neben einem Tri-Di-Scanner zwei Soldaten saßen, und durfte schließlich — nachdem er angehalten, fotografiert, ausgefragt worden war und unzählige Male seinen speziellen Ausweis und seinen Paß vorgezeigt hatte — Odals Quartier betreten.
Es war eine komfortable Suite, tief unter der Erde, die man während des letzten kerakisch-acquatainischen Kriegs als Schutzbunker für den Justizminister gebaut hatte.
»Sie werden wirklich gut bewacht«, sagte der alte Wissenschaftler beim Eintreten zu Odal.
Der kerakische Major hatte auf einer luxuriösen Couch gesessen und ein Musiktape angehört. Er stellte die Musik ab und erhob sich. Die äußere Tür schloß sich automatisch hinter dem Wissenschaftler.
»Ich werde beschützt, heißt es offiziell«, erwiderte Odal, »und zwar sowohl vor der acquatainischen Bevölkerung wie auch vor der kerakischen Botschaft.«
»Werden Sie gut behandelt?« fragte Leoh, während er unaufgefordert in einem Sessel neben der Couch Platz nahm.
»Danke der Nachfrage. Ich habe Musik, Tri-Di, Essen und Trinken.« Odals Stimme hatte einen ironischen Unterton. »Ich darf sogar einmal am Tag die Sonne sehen, wenn ich meine Freiübungen im Gefängnishof mache.«
Als sich Odal wieder auf die Couch setzte, musterte ihn Leoh verstohlen. Er schien sich verändert zu haben. Kein eisiges Lächeln mehr, keine Arroganz. In seinem Gesicht gab es Falten, die der Schmerz dort eingegraben hatte. Aber nicht nur der Schmerz allein. Ernüchterung, Enttäuschung vielleicht. Die Welt war nicht länger seine persönliche Siegesarena. Er kämpft jetzt um das gleiche, worum wir alle kämpfen: ums Überleben, dachte Leoh.
Laut sagte er: »Sir Harold Spencer hat mit Außenminister Romis gesprochen.«
Odal verzog keine Miene.
»Harold hat mich gebeten, mit Ihnen zu reden und herauszufinden, wo Sie in der ganzen Sache stehen. Die Situation ist reichlich verworren.«
»Mir erscheint sie einfach«, entgegnete Odal. »Sie haben mich. Romis hat Hector.«
»Ja, aber wie soll es weitergehen? Greift Kanus Acquatainia an? Wird Romis Kanus entmachten? Harold hat versucht, einen Krieg zu verhindern, aber wenn Hector irgendwas zustößt, schlägt er mit seiner gesamten Star-Watch-Flotte zu. Und wo stehen Sie? Auf welcher Seite sind Sie?«
Odal lächelte verhalten. »Das frage ich mich selbst. Bis jetzt habe ich keine klare Antwort gefunden.«
»Diese Antwort ist wichtig für uns.«
»Wirklich?« meinte Odal und beugte sich etwas vor. »Warum eigentlich? Ich bin Gefangener. Ich kann hier nicht weg.«
»Sie brauchen nicht in Gefangenschaft zu bleiben. Ich bin überzeugt, daß Harold und Premierminister Martine Sie freilassen, wenn Sie bereit sind, uns zu helfen.«
»Ihnen helfen? Wie?«
»Zum einen«, erwiderte Leoh, »könnten Sie uns behilflich sein, Hector zurückzubekommen.«