Es war schon spät am Abend, als Odal schwer bewacht bei der Duellmaschine eintraf. Er trug Schwarz vom Hals bis zu den Stiefeln und wirkte wie ein grimmiger Schatten gegen das antiseptische Weiß des Saals.
Leoh erwartete ihn an der Kommandokonsole. Die acquatainischen Wachen hielten sich im Hintergrund.
»Sehr bedauerlich, daß Sie so lange gebraucht haben. Jede Minute Verzögerung kann Hector das Leben kosten. Und Ihres.«
Odal lächelte verzerrt.
»Ich mußte Martine zwei Stunden lang beknien«, fuhr der Professor fort, »bis er endlich seine Zustimmung gab. Und ich habe Sir Harold aus dem Bett geholt. Er war alles andere als erfreut.«
»Wenn ich den Zeitunterschied noch richtig im Kopf habe«, sagte Odal, »ist es in Kors Hauptquartier jetzt kurz vor Sonnenaufgang. Eine ideale Ankunftszeit.«
»Aber ist deren Duellmaschine eingeschaltet?« fragte Leoh. »Teleportation funktioniert nicht, wenn die Maschine auf der Empfängerseite keinen Strom hat.«
Odal überlegte einen Moment. »Kann durchaus sein. Als Kor mit mir… experimentierte, wurde die Maschine immer frühmorgens benutzt. Wenn ich eintraf, war die Maschine stets betriebsklar. Wahrscheinlich wird routinemäßig bei Tagesanbruch der Strom eingeschaltet.«
»Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden«, sagte Leoh und deutete auf die Duellmaschine.
Odal nickte. Der Moment war gekommen. Er kehrte nach Kerak zurück. Was erwartet mich dort? Tod oder Ruhm? Auf wessen Seite schlage ich mich? Kors oder Romis’ Seite? Töte ich Hector oder rette ich ihn?
Und das Bild, das er vor Augen hatte, als sie die Neurokontakte anbrachten und ihn dann in der Maschine allein ließen, war Geris Gesicht. Er versuchte sich auszumalen, wie sie aussah, wenn sie lächelte.
Es war nach Mitternacht, stockfinster und stürmisch, als Hector ein paar Kilometer vom Informationsministerium entfernt mit seiner geklauten Fähre in einer steilen Schlucht eine reichlich harte Landung hinlegte.
Er war schnell und niedrig geflogen und hatte gehofft, auf diese Weise der Entdeckung durch kerakische Scanner zu entgehen. Jetzt stand er auf dem Rumpf der etwas lädierten Fähre, spürte den Wind und hörte ihn durch die dunklen Bäume in der Schlucht heulen. Entschlossen wandte er seine Aufmerksamkeit den massigen Türmen des Informationsministeriums zu, die sich auf einem Hügelkamm dunkel gegen den helleren Sternhimmel abzeichneten.
Sieht aus wie eine mittelalterliche Festung, dachte Hector, ohne zu wissen, daß es tatsächlich eine alte Burg war.
Er schlüpfte durch die Luke in die Gerätekammer, suchte sich einen Jetgürtel und schnallte ihn um. Dann kletterte er nach vorne ins Cockpit und legte den Hauptschalter für die Energieversorgung um.
Vielleicht brauche ich die Mühle noch mal, wenn ich es nicht bis zur Duellmaschine schaffe.
In der Finsternis brauchte er zehn Minuten, um sich zur Ausstiegsluke vorzutasten. Zehn Minuten, drei Schienbeinprellungen und eine halbe Gehirnerschütterung später war er wieder glücklich aus der Luke geklettert. Er holte tief Luft, stellte sich mit dem Gesicht zum Informationsministerium und drückte die Zündtaste an seinem Gürtel.
Ohrenbetäubendes Brausen dröhnte durch die stille Nacht. Hector platzte fast das Trommelfell, als er mit zusammengekniffenen, tränenden Augen der Burg entgegenraste. Es dürfte leisere und weniger auffällige Anschleichmethoden geben, sagte er sich. Aber nun ragten die Zinnen vor ihm auf und kamen rasch näher. Hector schaltete den Antrieb aus, trudelte zu der abgeplatteten Spitze des höchsten Turms und plumpste auf den unangenehm harten Steinboden.
Mit einem heftigen Kopfschütteln versuchte er sein Gehirn und seine Ohren wieder zum Funktionieren zu bewegen. Taumelnd kam er auf die Beine und stellte mit Genugtuung fest, daß er die stümperhafte Landung ohne größere Schäden überstanden hatte. Die Plattform maß ungefähr zehn mal zehn Meter; in einer Ecke führte eine Treppe nach unten. Hat man mich kommen hören?
Wie als Antwort darauf vernahm er Stiefeltritte auf der Steintreppe. Rasch schnallte er den schweren Jetgürtel ab, packte ihn an einem Ende und rannte zur Treppenöffnung. Der Kopf eines Mannes tauchte auf. Er drehe sich um, während er die restlichen Stufen hinauflief, und flüsterte heiser: »Sind Sie da, Watchman? Ich…«
Durch einen wirkungsvollen Schlag über den Kopf mit dem schweren Jetgürtel schnitt ihm Hector das Wort ab. Während er dem bewußtlosen kerakischen Wächter die Uniform vom Leib riß und versuchte, sie über seinen eigenen Overall zu streifen, schoß ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf: Woher wußte er, daß er einen Watchman antreffen würde? Vielleicht ist er vom Captain des Raumkreuzers alarmiert worden? In diesem Fall stehen diese Leute nicht auf Kanus’ Seite.
Sobald Hector den Kampf mit der kerakischen Uniform gewonnen hatte, lief er die Treppe hinunter. Am Fuß der Treppe, in einem steinernen Korridor, dessen weiterer Verlauf sich im Dunklen verlor, erwarteten ihn drei weitere Wachtposten. Die Beleuchtung war nicht allzu gut, aber Hector erkannte doch, daß es sich um drei große, stämmige, mit Pistolen bewaffnete Männer handelte. Hoffentlich fällt denen nicht auf, daß ich nicht der gleiche Mann bin, der ein paar Minuten zuvor die Treppe hinaufgegangen ist.
Hector grinste sie an und winkte freundlich. Tapfer ging er weiter und versuchte sich an dem Trio vorbeizuschieben.
»He, Sie sind doch…« begann der eine Soldat auf kerakisch.
Hector fiel das Herz in die Hosen. Er konnte die kerakische Sprache kaum verstehen und noch weniger sprechen. Das Grinsen gerann ihm zu einer Grimasse, und er ging ein bißchen schneller.
Der zweite Posten packte den ersten am Arm und unterbrach ihn. »Laß ihn durch«, flüsterte er. »Wir versuchen, unsere Leute unten zu benachrichtigen und ihn in die Duellmaschine zu schleusen. Aber laß dich nicht von Kors Leuten in seiner Nähe erwischen! Kapiert?«
»Okay, aber irgend jemand sollte lieber die Überwachungskameras in den Gängen ausschalten.«
»Können wir nicht machen, sonst laufen wir Gefahr, daß Kor etwas merkt!«
»Wir müssen es riskieren…andernfalls schnappen sie ihn sofort, in dieser Uniform, die ihm vier Nummern zu klein ist.«
Hector war jetzt an ihnen vorbei und lief stur geradeaus, wobei er sich vergeblich den Kopf zerbrach, was dieses Flüstern zu bedeuten hatte. Hinter einer Biegung des Korridors erblickte er eine offene Liftröhre, deren steinerne Umkleidung brandneu aussah. Die Röhre war erleuchtet und in Betrieb. Hector trat hinein, sagte auf pidgin-terranisch »Duellmaschinenetage« zu dem einfachen Robot, der die Röhre bediente, und schloß die Augen.
»Duellmaschinenetage«, schepperte die blecherne Stimme des Robots. »Links abbiegen, geradeaus, dann rechts.« Hector schlug die Augen auf und trat aus der Röhre. Der Korridor war breiter und besser beleuchtet. Aber auch hier zeigte sich keine Menschenseele.
Es war wie verzaubert. Hector marschierte durch die endlosen Gänge der alten Festung, ohne einem Menschen zu begegnen. Er kam an Checkpoints vorbei, wo dampfende Kaffeebecher auf den Tischen standen, an offenen Türen, die in große leere Zimmer führten, an toten Bildschirmen. Er sah die Überwachungskameras, die alle paar Meter hoch oben an den Korridorwänden installiert waren, aber sie schienen ausgeschaltet zu sein. Ein- oder zweimal vermeinte er dumpfe Geräusche und erstickte Laute wie von einem Handgemenge zu hören, aber keine Menschenseele lief ihm über den Weg.
Dann kam die große Doppeltür der Duellmaschinenkammer in Sicht. Ein Türflügel stand offen, und er konnte die schwach beleuchtete Maschine erkennen.