Gebannt an den Lippen des Führers hing der kleine Tinth. Von aristokratischem Geblüt, Absolvent der Geisteswissenschaften, ein Student der Philosophie, hatte Tinth auf sein Erbe verzichtet und sich Kanus angeschlossen. Sein Lohn war das Ministerium für Erziehung. Zahllose Lehrer hatten unter ihm gelitten.
Und schließlich war da Romis, der Minister für Äußeres. Ein Berufsdiplomat, eines der wenigen Regierungsmitglieder aus der Zeit vor Kanus’ Machtübernahme, die bis jetzt überlebt hatten. Es war klar, daß Romis den Kanzler haßte. Aber er hatte den Kerak-Welten loyal gedient. Das Diplomatische Corps hatte die Verhandlungen im Zusammenhang mit dem Handelsabkommen in Safad tadellos geführt, wenn sie auch niemals von Erfolg gekrönt worden wären ohne Odals Arbeit mit der Duellmaschine. Odal wußte, daß es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Romis und Kanus einander an die Gurgel gingen.
Der Rest von Kanus’ Zuhörern bestand aus Hofberichterstattern, ehemaligen Schlägern, die in den Rang von Leibwächtern aufgestiegen waren, und ein paar treuen Anhängern, die noch aus der Zeit stammten, als Kanus seine politischen Reden in Kellern gehalten hatte und sich vorzugsweise in dunklen Altstadtgassen herumtrieb, um der Polizei nicht in die Hände zu laufen. Kanus hatte es weit gebracht: von einem unbekannten Nichts bis zu den hehren Höhen des Kanzler-Landsitzes.
Geld, Macht, Ruhm, Rache, Patriotismus: jede im Raum, der Kanus lauschte, hatte seinen privaten Beweggrund, dem Kanzler zu dienen.
Und meine Motive? fragte sich Odal. Warum folge ich ihm? Durchschaue ich meine Beweggründe so leicht wie die der anderen?
Natürlich gab es da Pflichtbewußtsein. Odal war Soldat, Kanus der offiziell gewählte Regierungschef. Nachdem er gewählt worden war, hatte er allerdings das Parlament aufgelöst und seine eigene Macht so ausgebaut, daß er zum uneingeschränkten Herrscher über die Kerak-Welten geworden war.
Es lohnte sich, gute Arbeit unter Kanus zu leisten. Unabhängig von seinen politischen Ambitionen und seiner Tyrannei belohnte er großzügig, wer ihn zufriedenstellte. Der Orden — der Stern von Kerak — brachte eine Rente mit sich, von der eine Familie bequem leben konnte. Sofern ich eine hätte, dachte Odal. Auch um eine gewisse Macht ging es. Wenn er die Duellmaschine auf seine spezielle Weise benutzte und einen Mann zu einem Nichts zerquetschte, die Schwachstellen in dessen Persönlichkeit suchte und sie ausnutzte, wenn er seinen Intellekt mit anderen maß, wenn er dünkelhaft hochmütige Männer wie Dulaq in hilflose gezüchtigte Köter verwandelte — das war Macht. Und es war Macht, die in Kerak nicht unbemerkt blieb. Auf der Straße wurde Odal bereits erkannt; vor allem Mädchen schienen sich zu ihm hingezogen zu fühlen.
»Am wichtigsten ist es«, sagte Kanus, »und das kann ich gar nicht genug betonen, eine Aura der Unbesiegbarkeit zu schaffen. Deshalb ist Ihre Arbeit so wichtig, Major Odal. Sie müssen unbesiegbar sein! Denn Sie verkörpern den Willen der Kerak-Welten. Sie sind das Instrument meines Willens, und Sie müssen bei jedem Einsatz siegen. Das Schicksal Ihres Volkes und Ihres Kanzlers ruht jedesmal auf Ihren Schultern, wenn Sie eine Duellmaschine betreten. Dieser Verantwortung haben Sie sich bis jetzt würdig gezeigt. Können Sie es auch weiterhin?«
»Das kann ich, Sir«, antwortete Odal, »und ich werde es.«
Kanus strahlte. »Ausgezeichnet. Denn Ihr nächstes Duell — und alle kommenden — werden auf Leben und Tod sein.«
Das Raumschiff brauchte zwei Wochen für die Reise von Carinae zum Acquataine Cluster. Dr. Leoh verbrachte die Zeit damit, über eine direkte Tri-Di-Verbindung die acquatainische Duellmaschine zu überprüfen. Die acquatainische Regierung stellte ihm alle nötigen Techniker und Sendekanäle zur Verfügung.
Seine freie Zeit verbrachte Leoh soweit wie möglich mit den anderen Passagieren. Sie waren alle ungeheuer reich, wie es Raumschiffreisende nun einmal sein mußten, oder sie reisten in offizieller Regierungsmission — und auf Regierungskosten. Leoh war gesellig, ein guter Unterhalter, und er verfügte über einen ausgewogenen Humor. Besonders beliebt war er bei jüngeren Damen, da er inzwischen ein Alter erreicht hatte, in dem er ihnen gefahrlos die schmeichelhaftesten Komplimente machen konnte. Trotzdem gab es lange einsame Stunden in seiner Luxsuskabine mit nichts weiter als seinen Erinnerungen. Bei solchen Gelegenheiten war es ihm unmöglich, nicht an den langen Weg zu denken, den er bis hierher zurückgelegt hatte.
Albert Robertus Leoh, Doktor der Philosophie, Professor der Physik, Professor der Elektronik, Magister der Computer-Technologie, Erfinder der interstellaren Tri-Di-Kommunikation. Und, noch nicht solange zurückliegend, Student der Psychologie, Professor der Psychophysiologie, Begründer von Psychonics Incorporated, Erfinder der Duellmaschine.
Während seiner Jugendjahre, mit einem von Erfahrung noch ungetrübten Enthusiasmus, hatte Leoh es als seine Aufgabe angesehen, der Menschheit dabei zu helfen, ihre Kolonien und Zivilisationen über die gesamte Galaxie auszubreiten. Das bittere Jahrhundert der galaktischen Kriege hatte in seiner Kindheit geendet, und nun waren die menschlichen Gesellschaftssysteme von Planet zu Planet in mehr oder weniger friedlichen Koalitionen vereint.
In diesen menschlichen Kulturen gab es zwei große treibende Kräfte, die jedoch entgegengesetzten Zielen zustrebten. Einerseits gab es den Drang zu erforschen, neue Sterne, neue Planeten zu erreichen, die Grenzen menschlicher Zivilisation auszudehnen und neue Kolonien, neue Staaten zu gründen. Gegen diesen Drang zur Expansion stand eine ähnlich starke Kraft: die Erkenntnis, daß auf allen von Menschen zivilisierten Welten die Technologie körperliche Arbeit ganz und Armut fast abgeschafft hatte. Der Drang, zu neuen Grenzen vorzustoßen, war eingepfercht und lebendig begraben unter dem verweichlichenden Zivilisationskomfort.
Das Resultat war unausweichlich. Auf den zivilisierten Welten wurde es immer voller. Sie wurden zu dichtgepackten menschlichen Inseln, dünn gesprenkelt über einen Kosmos, der nach wie vor übersät war mit unbewohnten Planeten. Die Kosten und Schwierigkeiten interstellarer Reisen wurden oft als Entschuldigung angeführt. Die Raumschiffe waren tatsächlich teuer: ihr Energieverbrauch war unfaßbar. Sie konnten für kommerzielle Zwecke eingesetzt werden, zum Vergnügen für die wenigen Superreichen, für offizielle Missionen; aber ganze Kolonien von Farmern und Facharbeitern zu transportieren, kam praktisch nicht in Frage. Nur die entschlossensten (und am besten finanzierten) Kolonistengruppen konnten sich das leisten. Die restliche Menschheit akzeptierte die Bequemlichkeit und Sicherheit der Zivilisation und lebte in den aus allen Nähten platzenden Städten der übervölkerten Planeten.
Ihr Lebensraum war eingeschränkt durch ihre Nachbarn und durch Gesetze und Verordnungen. Wachsende Bevölkerungsdichte bedeutete laufend eingeschränkte Freiheiten. Die Freiheit zu träumen, sich ungebunden zu bewegen, sich fortzupflanzen, all das wurde zu verstaatlichten, staatlich kontrollierten Privilegien.
Und Leoh hatte zu dieser Situation beigetragen.
Er hatte mit seinen Ideen und mit seiner Arbeit dazu beigetragen. Hatte oft und regelmäßig seinen Beitrag geleistet. Das interstellare Kommunikationssystem war lediglich eine herausragende Leistung unter vielen. Leoh hatte fast das vorzeitige Pensionierungsalter für Wissenschaftler erreicht, als er erst begriff, was er und seine Kollegen angerichtet hatten. Ihre Anstrengungen, das Leben reicher und erfüllter zu gestalten, hatten es lediglich weniger mühsam und stärker reglementiert gemacht. Leoh entdeckte, daß jede neue physische Bequemlichkeit einherging mit einem Ansteigen seelischer Störungen — Neurosen, Gewaltverbrechen, Gemütskrankheiten. Zum ersten Mal seit Generationen brachen sinnlose Konkurrenzkämpfe zwischen Sternenwelten aus. Abgesehen von bedeutungslosen Scharmützeln war der Friede der Galaxie nach außen hin gesichert; aber unter der polierten Oberfläche menschlicher Zivilisation entwickelte sich ein Vulkan, von der Star Watch durchgeführte Polizeiaktionen nahmen beängstigend zu. Kleinkriege zwischen ehemals stabilen Völkergruppen flammten andauernd auf.