Sobald Leoh begriff, welche Rolle er in alldem gespielt hatte, sah er sich mit zwei Empfindungen konfrontiert: einem tiefen Schuldgefühl, sowohl persönlicher wie auch fachlicher Natur, und, als Gegensatz dazu, dem festen Willen, etwas zu tun, irgend etwas, um der Menschheit ihren gestörten Seelenfrieden zurückzugeben.
Leoh kehrte Physik und Elektronik den Rücken und widmete sich der Psychologie. Statt sich zur Ruhe zu setzen, stellte er einen Immatrikulationsantrag für sein neues Fach. Die Gesetze und Vorschriften des Commonwealth mußten sehr großzügig gedehnt und ausgelegt werden, aber für einen Mann von Leohs Format konnten Mittel und Wege gefunden werden. Leoh wurde noch einmal Student, dann Forscher und schließlich Professor für Psychophysiologie.
Greifbares Ergebnis war die Duellmaschine. Eine Kombination aus Elektroenzephalograph und Autocomputer. Eine Traummaschine, welche die Phantasie eines Menschen so verstärkte, daß er völlig in eine selbstgeschaffene Welt eintauchen konnte. Leoh sah die Maschine als ein Instrument, mit dem die Menschheit sich gefahrlos ihrer Aggressionen und Verklemmungen entledigen konnte. Psychiater und Psychotechniker setzten die Maschine bei der Behandlung ihrer Patienten ein. Aber Leoh sah weiter, sah, daß der psychonische Apparat — als eine Duellmachine — benutzt werden konnte, um geistigen und seelischen Störungen vorzubeugen. Und er überredete viele Regierungen, zu diesem Zweck Duellmaschinen aufzustellen.
Wenn zwei Männer eine ernste Meinungsverschiedenheit hatten, gewichtig genug, um gerichtliche Schritte zu ergreifen, konnten sie zur Duellmaschine gehen statt vor Gericht. Statt untätig zuzusehen, wie die Mühlen der Justiz unpersönlich und langsam mahlten, konnten sie in der Duellmaschine ihrer aggressiven Phantasie freien Lauf lassen. Sie konnte ihre Differenzen so gewalttätig beilegen, wie sie wollten, ohne sich selbst oder einen anderen dabei zu verletzen. Auf den meisten zivilisierten Welten wurde das Ergebnis eines sachgerecht durchgeführten Duells als juristisch bindend angesehen.
In der Duellmaschine konnte man sich der Zivilisationszwänge entledigen — zeitweise zumindest. Es war ein machtvolles Instrument, zu gefährlich, um es zur wahllosen Benutzung freizugeben. Leoh schützte daher seine Erfindung durch die Gründung eines privaten Unternehmens, Psychonis Incorporated, und sicherte sich eine Exklasiolizenz vom Terranischen Commonwealth, die Maschinen herzustellen, zu vertreiben, aufzustellen und zu warten. Seine Kunden waren staatliche Gesundheitsämter und Justizbehörden. Gesetzlich war er dem Commonwealth gegenüber verantwortlich, moralisch der gesamten Menschheit und persönlich seinem eigenen rastlosen Gewissen.
Die Duellmaschinen waren ein durchschlagender Erfolg. Sie funktionierten so gut und sogar noch besser, als Leoh vorausgesehen hatte. Aber er wußte, daß sie nur ein Notbehelf waren, Flickwerk an einem immer wieder überspülten Damm. Die eigentlich notwendige, die wirkliche Lösung des Problems war irgendein Mittel, die Menschen zu überzeugen, daß sie nach diesen vielen unbesiedelten, unerforschten Sternen in der Galaxie greifen, daß sie die Annehmlichkeiten der Zivilisation gegen die erregende Freiheit neuer Horizonte eintauschen sollten.
Leoh hatte nach diesem Mittel geforscht, als ihn die Nachricht von Dulaqs Duell erreichte. Nun raste er über Lichtjahre und hoffte inbrünstig, daß seine Duellmaschine nicht versagt haben möge.
Der zweiwöchige Flug endete. Das Raumschiff nahm eine Parkbahn um den Zentralplaneten des Acquataine Clusters ein. Die Passagiere wurden mit einer Shuttle zum Raumhafen gebracht.
Am Landeterminal wurde Dr. Leoh von einer offiziellen Abordnung erwartet, angeführt von Massan, dem amtierenden Premierminister. An der Landeluke tauschten sie formelle Grüße aus, während die anderen Passagiere neugierig und verwundert vorbeiströmten. Als sie mit dem Gleitband zu einem gesonderten Eingang des Verwaltungsgebäudes fuhren, bemerkte Leoh:
»Wie Sie wahrscheinlich wissen, habe ich während der vergangenen zwei Wochen Ihre Duellmaschine auf Herz und Nieren überprüft. Ich konnte keinen Fehler finden.«
Massan hob die Schultern. »Vielleicht hätten Sie statt dessen die Maschine auf Szarno inspizieren sollen.«
»Die Szarno Federation? Deren Duellmaschine?«
»Ja. Heute morgen hat Kanus’ Killer einen Mann darin getötet.«
»Er hat wieder mal ein Duell gewonnen, meinen Sie.«
»Sie verstehen nicht«, erwiderte Massan grimmig. »Major Odals Gegner — ein Industrieller, der sich gegen Kanus ausgesprochen hatte — wurde in der Duellmaschine umgebracht. Der Mann ist tot!«
Commander-in-Chief der Star Watch zu sein, hat auch ein paar Vorzüge, sinnierte der alte Mann, man kann jeden Planeten im Commonwealth besuchen.
Er stand auf einer kleinen Erhebung und blickte über die grasbewachsene Tafelebene von Kenia. Dies war sein Geburtsland, Terra sein Heimatplanet. Das offizielle Hauptquartier der Star Watch befand sich im Herzen eines Sternhaufens, der wesentlich näher am Zentrum des Commonwealth lag, aber die Erde war der Ort, nach dem der Commander sich zurücksehnte, als er älter und müder wurde.
Ein Adjutant, der dem Commander in respektvollem Abstand gefolgt war, unterbrach plötzlich die Tagträumerei des alten Mannes.
»Sir, eine Nachricht für Sie.«
Der Commander warf dem jungen Offizier einen finsteren Blick zu. »Habe ich nicht ausdrücklich Order gegeben, daß ich nicht gestört sein will?«
Der Offizier, schlank und kerzengerade in seiner schwarzsilbernen Uniform, antwortete: »Ihr Stabschef hat die Nachricht an Sie weitergeleitet, Sir. Sie stammt von Dr. Leoh von der Carinae-Universität. Persönlich und dringend, Sir.«
Der alte Mann brummte unwirsch, nickte aber. Der Adjutant stellte eine kleine Kristallkugel vor dem Commander auf den Boden. Die Luft über der Kugel begann zu flimmern und zu glühen.
»Hier ist Sir Harold Spencer«, sagte der Commander.
Die wirbelnde Luft schien sich zusammenzuziehen und eine feste Form anzunehmen. Dr. Leoh saß auf seinem Schreibtischstuhl und blickte zu dem stehenden Commander auf.
»Harold, freut mich ehrlich, dich mal wiederzusehen«, sagte Leoh und stand auf.
Spencers strenger Blick wurde weich, und sein fleischiges Gesicht verzog sich zu einem faltenreichen Lächeln. »Albert, du alter Hexenmeister! Was soll das heißen, meinen ersten Heimataufenthalt seit fünfzehn Jahren zu stören?«
»Es dauert nicht lange«, versprach Leoh. »Ich wollte dich nur über etwas informieren…«
»Du hast meinem Stabschef gesagt, es sei dringend«, grollte Sir Harold.
»Ist es auch. Aber es ist keine Sache, die größere Aktionen von deiner Seite erfordert. Noch nicht. Bist du mit der jüngsten politischen Entwicklung auf den Kerak-Welten vertraut?«
Spencer schnaubte abfällig. »Ich weiß, daß ein Barbar namens Kanus dort den Diktator spielt. Ein Unruhestifter. Ich habe vom Commonwealth Council die Genehmigung zu bekommen versucht, ihn zu neutralisieren, bevor er Unheil anrichtet, aber du kennst ja das Council… die warten erst ab, bis es brennt, und rufen dann jammernd nach der Star Watch!«
Grinsend erwiderte Leoh: »Temperamentvoll wie eh und je, unser Harold.«
»Mein Charakter ist sicher nicht das Thema dieser ziemlich teuren Unterhaltung. Was ist mit Kanus, und wie kommst du dazu, dich mit Politik zu befassen? Willst du mal wieder den Beruf wechseln?«