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Wolfgang Hohlbein

Die dunkle Seite des Mondes

Science Fiction Roman

CHARITY

von Wolfgang Hohlbein im Bechtermünz Verlagsprogramm:

Charity 01 - Die beste Frau der Space Force

Charity 02 - Dunkel ist die Zukunft

Charity 03 - Die Königin der Rebellen

Charity 04 - In den Ruinen von Paris

Charity 05 - Die schlafende Armee

Charity 06 - Hölle aus Feuer und Eis

Charity 07 - Die schwarze Festung

Charity 08 - Der Spinnenkrieg

Charity 09 - Das Sterneninferno

Charity 10 - Die dunkle Seite des Mondes

Charity 11 - Überfall auf Skytown

Charity 12 - Der dritte Mond

Charity, die ins 21. Jahrhundert versprengte Raumpilotin der Space Force, ist am Ende eines langen Weges angekommen. Gegen alle Hoffnung nahm sie den Kampf gegen die außerirdischen Besatzer der Erde auf.

Und sie hat sie aus ihrem Sonnensystem vertrieben - beinahe jedenfalls. Nur auf der dunklen Seite des Mondes halten die Aliens eine letzte Stellung.

In ein rätselhaftes Labyrinth aus Minen und Schächten hat sich Shait, der Herr der Moroni, zurückgezogen, und er rüstet sich zur alles entscheidenden Schlacht gegen Charity und ihre Gefährten ...

BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH

Science Fiction Abenteuer Band 23 121

Erste Auflage: Dezember 1991

Zweite Auflage: Juli 1994

Dritte Auflage: Mai 1997

Titelillustration: Luis Royo/Norma Agency, Barcelona

Umschlaggestaltung: Quadro Grafik, Bensberg

Satz: KCS GmbH, 2110 Buchholz/Hamburg

Druck und Verarbeitung: Brodard & Taupin, La Fleche, Frankreich

Printed in France

ISBN 3-404-23121-X

1

Es hätte das Ende der Welt sein können - oder auch der Anfang. Dichter, ätzender Qualm mischte sich mit den hellen weißen Dampfschwaden von verdunstendem Stickstoff, eine Mischung, die in den Schleimhäuten brannte und den Verstand verwirrte. Der unaufhörlich tosende Wolkenbruch aus den Sprinkleranlagen verwandelte den Hallenboden in eine schlüpfrige, schimmernde Fläche, und hier und da wuschen die Wassermassen sogar den schwarzen Rauch aus der Luft. Die nächsttiefere Ebene erinnerte an ein gigantisches Sektglas: schäumende, brodelnde Flüssigkeit mit einem Stich ins Gelbe, die sich über Treppen ergoß, in Gängen sammelte und bei jeder Explosion emporstieg wie ein eiskalter Geysir. Irgendwo hinter Net brannten Maschinen, die ebenso feuergefährlich wie hochexplosiv gewesen sein mußten.

Das plötzliche intensiv weißgelbe Licht heftiger Detonationen vertrieb sekundenlang die Dunkelheit und riß sie erneut von den Beinen. Diesmal schluckte sie wieder Wasser, und um ein Haar hätte sie das Lasergewehr verloren, mit dem sie einen Teil dieser Schäden angerichtet hatte.

Die meisten Treffer jedoch, vor allem die, die die letzte Serie von Bränden und Erschütterungen ausgelöst hatten, stammten aus den schwereren Waffen der Moroni. Während sie sich mühsam an einer verbogenen Strebe aus dem Wasser zog, fragte sie sich, ob die Ameisen nun völlig den Verstand verloren hatten. Die Moroni hatten das Feuer eröffnet, ohne sich um die entstehenden Schäden zu kümmern, und sie hatten wahllos auf alles gefeuert, was sich bewegt hatte. Die Halle hinter ihr war vermutlich eine einzige Müllhalde. Das einzige, was sich aus dem Inferno hatte retten können, war sie selbst, und das war nicht einmal ihr eigenes Verdienst gewesen. Jetzt kam es darauf an, rechtzeitig die notwendige Distanz zwischen sich und ihre Verfolger zu bringen.

Net schüttelte sich das Wasser aus dem Gesicht und sah sich um. Eine weitere Kette kleinerer Explosionen zeichnete stroboskopartig Licht in die Halle, und im nachfolgenden Halbdunkel erkannte sie eine Tür am Ende einer halb eingebrochenen Treppe. Hastig faßte sie ihr Gewehr und watete durch das knietiefe Wasser auf die verbogenen Treppenstufen zu. Sie fragte sich, ob die Verwüstungen auch die höhergelegene Halle mit dem neuen Sternentransmitter erreicht hatten und was aus Hartmann geworden war. Der Ablenkungsangriff hatte den gewünschten Erfolg gehabt, soweit es die Aufmerksamkeit der Moroni betraf. Tatsächlich hatte sie weit mehr Aufmerksamkeit erhalten, als sie sich gewünscht hatte. Die Erinnerungen überlagerten das verschwommene Bild der dunklen Treppe.

»Wie lange noch?« murmelte Net vor sich hin, obwohl sie es genau auf der Uhr ablesen konnte, die die letzten Minuten ihres Lebens zählte. Eine unbestimmte, zügellose Wut erfaßte sie. Von ihrem Platz aus hatte sie durch das große Flügeltor freies Schußfeld auf die Halle, in der Hartmann vor wenigen Minuten verschwunden war. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, seine Gestalt im Schatten der Maschinenkolosse zu erkennen. Vermutlich hielt er sich noch an den besprochenen Weg, aber sie konnte ihn dort ebensowenig ausmachen, wie die Moroni-Ameisen es konnten.

»Geduld«, sagte Kyle in ihrem linken Ohr. Er hatte ihre leisen Worte verstanden, obwohl die zahlreichen elektronischen Systeme in der Halle ihre kleinen Funkgeräte stark beeinträchtigten.

Geduld, wiederholte sie stumm. Der Megamann war ganz offensichtlich nicht bei Verstand. Sie fragte sich, wie es gekommen war, daß sie hier lag, ein Lasergewehr in der Hand, um einem Mann Deckung zu geben, der sich selbst, Kyle und sie in wenigen Minuten töten würde. Die einzigen, die ein Interesse daran hatten, das zu verhindern, waren, seltsamerweise, ihre Todfeinde, die Moroni. Vergeblich versuchte sie, irgendeinen Sinn darin zu entdecken. Sie wollte nicht sterben, und sie glaubte nicht, daß Hartmann sterben wollte. Nicht einmal Kyle konnte das wollen, obwohl er nach der Schlacht in der Schwarzen Festung nicht mehr seinen unbändigen Lebenswillen an den Tag gelegt hatte. Wie kam es dann, daß drei Menschen, die nicht sterben wollten, sich zusammentaten, um sich umzubringen?

»Idiotisch«, murmelte sie, und diesmal blieb sie so leise, daß Kyle sie nicht hörte. Oder er hielt es nicht für angemessen, ihr zu widersprechen. Was mochte im Kopf des Mannes vorgehen, Mensch, Megamann, Jared, Sterbender, der zwanzig Meter von ihr entfernt in einem Treppengerüst an der anderen Wand zwischen gewaltigen Zylindertanks hockte, die über fünf Stockwerke in der Halle emporragten. Sie fragte sich, was die Tanks enthalten mochten. Hinter ihnen zog sich ein verwirrendes Geflecht aus meterdicken Stahlrohren und kreuzförmigen Verstrebungen bis an die Tanks heran, wie das Rohrnetz einer riesigen Raffinerieanlage. Breite Rolltreppen führten auf eine tiefergelegene Ebene einer anderen kleineren Halle hinunter, die aber immer noch groß genug war, um als Hangar für eine Raumfähre oder ein Moroni-Raumschiff zu dienen.

Sie bezweifelte, daß sie noch viel über Kyles Gedanken erfahren würde. Der Sekundenzeiger zerschnitt die letzten Augenblicke.

»Jetzt«, sagte Kyles Stimme in ihrem Ohr, und gleich darauf schlug ein Laserblitz in eine Apparatur ein, die wie ein überdimensionaler Verbrennungsmotor aussah. Die Explosion erschütterte das gewaltige Gerüst aus Tanks und Rohren, und ihr eigener Schuß traf nur den Hallenboden und hinterließ einen kleinen hellweißen Hitzefleck, der sich rasch ausbreitete. Sie sah Ameisen, die hektisch durcheinanderliefen, und zielte auf eine Säule, die zwischen ihnen stand. Die Maschine detonierte nicht, sondern zerplatzte mit majestätischer Langsamkeit, und eine ungesund aussehende, bräunliche Flüssigkeit quoll nach allen Seiten auseinander und riß die Moroni-Krieger mit sich. In der niedrigen Schwerkraft des Mondes und auf Grund der absurd großen Dimensionen der Halle wirkten alle Bewegungen auf bizarre Weise verzögert. Tatsächlich konnte man unter diesen Bedingungen nicht einmal laufen, ohne den Kontakt mit dem Boden zu verlieren. Sie feuerte eine Salve von Schüssen auf ein Dutzend Ameisen ab, die sich geschickt an einem Treppengeländer entlang auf sie zu bewegten, und zerschoß dann den Laufsteg in der Mitte zwischen zwei großen Tanks. Die beiden Gerüsthälften hingen sekundenlang frei in der Luft, dann brachen sie zusammen.