»Ich vermute, das hängt irgendwie mit dem Lebenszyklus der Shait zusammen. Zusammen mit den Vorzügen eines Shait-Körpers übernehmen diese Wesen auch dessen Nachteile. Ihre Intelligenz muß gewaltig sein, aber sie kann sich nur durch das primitive Nervensystem eines Shait ausdrücken. Wenn es anders wäre, hätten sie uns alle schon längst hinweggefegt.«
Hartmann lehnte sich an ein verbogenes Geländer, das noch immer ziemlich warm war. »Hört sich so an, als wenn die Transmitter der Ursprung dieser Plage wären«, folgerte er. »Warum verzichtet ihr nicht einfach darauf, sie zu benutzen?«
Kyle lachte laut auf. »Hartmann, Ihre Leute haben nicht mal auf Automobile mit Verbrennungsmotoren verzichtet, trotz Krebs, Gestank, Treibhauseffekt und hoher Steuern.«
Hartmann verzog das Gesicht zu einem widerwilligen Grinsen. »Betrachten wir die Frage als beantwortet«, sagte er.
»Außerdem haben wir jetzt keine Wahl mehr«, fügte Kyle hinzu. »Es ist unmöglich, die Ausbreitung der Moroni und ihrer Herren aufzuhalten. Es sind Moroni, keine Jared, und Jared können nicht mit Moroni reden, solange die nicht zu Jared geworden sind. Niemand kann mit Moroni reden, selbst wenn sie nicht manipuliert werden.«
»Und wohin führt das alles?«
»Zurück an den Ausgangspunkt«, antwortete Kyle müde. »Wir müssen immer noch verhindern, daß dieser Shait in den Transmitter zurückgelangt. Im Moment können sie wohl nur einen kleinen, abgetrennten Seitenarm des Netzes erreichen. Ich vermute, der Transmitter auf der Erde blockiert noch immer den Zugang zum galaktischen Netz.«
Hartmann spähte in die Halle hinunter. »Sie haben das Gleiterwrack weggeschafft«, stellte er fest. »Wir werden unseren Versuch nicht wiederholen können.«
Kyle legte ihm die Hand auf den Oberarm. Es war eine glatte, seltsam kühle Berührung. Hartmann wollte sich einfach losreißen, aber der Anblick der scharfen Krallen, die wie Messer aus schwarzem Obsidian wirkten, hielt ihn davon ab.
»Was ist in dem Gleiter passiert?« fragte Kyle. »Warum haben Sie den Reaktor nicht zur Explosion gebracht?«
Hartmann berichtete von seiner Begegnung. Kyle hörte zu, ohne sich zu bewegen, ohne zu blinzeln. Seine Hand hätte ebenso aus Metall sein können. Als er fertig war, wartete der Jared noch eine Weile.
»Die Waffe ist beschädigt worden?«
Hartmann schüttelte den Kopf. Seltsamerweise empfand er alles, was mit diesem Ereignis zusammenhing, als persönlichen Vorwurf, obwohl Kyle seine Fragen in neutralem Tonfall stellte. »Es sah so aus, als würde mittendrin plötzlich ein Stück fehlen. Zielautomatik, Restlichtverstärker, die Energieanzeigen, alles war verschwunden, als hätte jemand einen halben Meter Raum genommen und ihn einfach aus dem Universum entfernt.«
»Haben Sie dieses Gespenst wiedererkannt?«
Im ersten Moment konnte er die Frage nicht verstehen.
»Keiner meiner Freunde leuchtet grün im Dunkeln«, schnappte er.
»War es ein Mensch?« forschte Kyle ruhig.
»Vielleicht.« Hartmann runzelte die Stirn. »Ein Mann, denke ich, aber er ... es ... war zu groß und zu dünn. Ich habe wirklich nicht viel erkennen können.«
»Was haben Sie an der Druckschleuse gesehen, Hartmann?«
»Vermutlich den Rest der Geisterfamilie«, antwortete er. »Ich weiß es nicht. Ich sah ein halbes Dutzend dieser Wesen, die im Vakuum spazierengingen und dann durch eine Wand außer Sicht verschwanden, nachdem sie mich kurz angesehen hatten.«
»Haben diese Gespenster irgendwie auf Ihre Anwesenheit reagiert?«
»Nein«, sagte Hartmann. »Vermutlich unterhalten sie sich nicht gerne mit Leuten, die Türen benutzen müssen.«
Kyle ließ ihn los und beobachtete amüsiert, wie Hartmann seine mitgenommene Uniform zurechtrückte.
»Ein Shait kann den Moroni einreden, er sei überhaupt nicht da«, sagte Hartmann nachdenklich. »Kann er auch Halluzinationen hervorrufen?«
»In einem menschlichen Gehirn?« fragte Kyle, als hätte jemand verlangt, mit Marmelade einen Nagel in die Wand zu schlagen. »Nein. Hier geschieht etwas anderes.«
»Und was?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Kyle zögernd. »Noch nicht. Gurk wüßte es, glaube ich. Die Black-Hole-Bombe hat den Sternentransmitter am Pol aufgerissen und diesen Teil des Netzes in Stücke geschlagen. Das ganze Gefüge der Raumzeit könnte aus dem Gleichgewicht geraten sein. Ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht.«
»Großartig«, sagte Hartmann. »Ich würde gerne mal jemandem begegnen, der weiß, was er tut.« Er nahm das Funkgerät vom Rücken und begann, sich mit den für Insektenklauen geschaffenen Kontrollen zu beschäftigen.
»Der schwarze Schalter unten links«, sagte Kyle, der ihn beobachtete, aber keine Anstalten machte, ihn aufzuhalten. Es klickte leise, und dann knisterte das Funkgerät. »Es empfängt, aber es sendet nicht«, erklärte der Jared.
»Wie ist die Reichweite?« fragte Hartmann.
»Das ist ein gewöhnlicher Moroni-Handsender«, antwortete Kyle. »An der Oberfläche vielleicht hundertachtzig bis zweihundert Kilometer, aber hier unten können Sie mit Glück vielleicht noch in die übernächste Halle horchen.« Er beugte sich vor, eine ansatzlose, glatte Bewegung, zu der kein Mensch in der Lage gewesen wäre, und tippte mit einer seiner Krallen auf eine breite grüne Taste. »Der größte Teil der Leistung geht nicht in den Sprechkanal, sondern in den Positionssender, und der hat eine wesentlich größere Reichweite.«
»Ein Dauerton?«
»Auf einer Notfrequenz«, stimmte Kyle zu. »Wenn der Pilot seinen Gleiter in einen Bach setzt, schaltet er den Sender an, damit man ihn anpeilen kann. Sobald die Rettungsmannschaft nah genug heran ist, schaltet er auf Sprechfunk um.«
Hartmann lauschte auf das Knistern. »Der Empfänger deckt dasselbe Band ab wie unsere Geräte?«
»Er sucht selbständig nach Signalen und stellt sich darauf ein. Eine automatische Abtastung.« Kyle lächelte. »Sie müssen nichts anderes tun, als sich in Geduld zu fassen.«
»Großartig«, murmelte Hartmann.
3
Der Läufer war ein vielbeiniges, gewaltiges Insekt auf einer gewaltigen Platte aus poliertem Eis, und seine stelzenartigen Trägerfüße krallten sich metertief in den arktischen Eispanzer hinein, während der wütend heulende Wind versuchte, ihn mit sich zu reißen. In den letzten Tagen hatte die arktische Eisfläche alle scharfkantigen Erhebungen verloren. Inzwischen wagten sich nur noch die großen Maschinen auf das Eis hinaus, denn alles, was weniger als hundert Tonnen wog, wurde vom Wind einfach fortgerissen. Nicht einmal die Jared-Krieger waren zäh und dumm genug, sich in dieses weißgraue Inferno hinauszuwagen.
Inzwischen war es den Jared gelungen, den großen Ring zu schließen. Die Eisscholle auf der Innenseite des Ringes war unter der Wucht der Winde in viele Teile zerbrochen, und nun stürmte eine meterhohe Brandung gegen den Ring an. Obwohl der Meeresboden viele hundert Meter tief unter der Wasserfläche lag, schlug die Gischt immer wieder über die Ringbauten, und in regelmäßigen Abständen mußten Gleiter hinaus, um Eisberge zu zerstören, die auf den Ring zudrifteten. Teile des Ringes schwammen auf mächtigen Pontons. Erdbeben erschütterten immer wieder die Eismassen.
Das Loch mußte inzwischen die Erdkruste abgetragen und an einigen Stellen das glühende Innere der Erde freigelegt haben. Glücklicherweise floß der größte Teil der Magma direkt in das Loch hinein und gelangte nicht ins Meerwasser. Dort, wo sich früher die Schwarze Festung befunden hatte, wurde nun in jeder Minute die Energie mehrerer Wasserstoffbomben freigesetzt.
Gurk beugte sich näher an die vereiste Seitenscheibe des Cockpits und spähte hinaus. Unter ihnen wurden im Moment die Folgen des letzten Einbruchs beseitigt. Es hatte Schäden an den Maschinenhallen gegeben. Der Ring selbst war inzwischen eingeschaltet, aber noch nicht in vollem Betrieb. Die erzeugte Energie reichte allerdings aus, mit Hilfe der Kraftfelder den Ring gegen Schwerkraft und Druckwellen zu sichern.