»Bitte«, sagte er dann.
»Warum habt ihr euch Stone geholt? Oder wurde er plötzlich von einem Anfall übermäßiger Sehnsucht nach Geselligkeit geplagt?«
»Ich glaube nicht, daß eine Antwort irgendeinen Sinn machen würde«, sagte Kias nach einer Weile. »Was immer Sie glauben, wir werden Sie nicht vom Gegenteil überzeugen können.«
»Verdammt richtig. Ich dachte, ihr nehmt niemanden gegen seinen Willen in den Hallen der wahren Gläubigen auf?«
»Glauben Sie mir, Captain Laird, wir haben kein Interesse, uns mehr mit Menschen einzulassen, als unbedingt zur Erhaltung der Nester notwendig ist. Meinen Sie wirklich, wir würden aus freien Stücken das geordnete Gefüge unserer Gemeinschaft durcheinanderbringen, indem wir Subjekte wie Sie oder Kyle auf Dauer in unser Bewußtsein einbeziehen?«
»Was soll das heißen?«
»Denken Sie darüber nach, was Sie in den letzten Jahren getan haben«, riet die Jared-Ameise.
Sie wartete anstandshalber eine halbe Sekunde. »Und?«
»Würden Sie jemanden in Ihre Familie aufnehmen, der den größten Teil seines Lebens im Krieg verbracht hat? Ein Überbleibsel aus einer Welt, die vor sechzig Jahren untergegangen ist? Würden Sie jemanden in Ihr Kinderzimmer einsperren, der statt eines Stofftieres eine Laserpistole bei sich trägt? Sie haben in wenigen Monaten mehr Schaden angerichtet, als es uns jemals möglich gewesen wäre, und es scheint, als würden Sie immer wieder in Situationen wie diese geraten. Es ist einfach zu riskant, dasselbe Haus mit Ihnen zu bewohnen, Captain Laird.«
»Stone würde mir denselben Schwachsinn auftischen«, sagte sie.
»Ihm würden Sie nicht glauben«, erwiderte Kias mit bestechender Logik.
»Entzückend«, sagte sie spitz. Sie deutete zu Dubois und Henderson hinüber. »Was ist mit denen«, sagte sie bewußt abfällig. »Was sind sie?«
»Fragen Sie sie selbst«, riet Kias.
»Und was mache ich mit ihnen, wenn ich die Antworten habe?«
»Ihnen wird schon etwas einfallen«, antwortete Kias mit bemerkenswertem Desinteresse.
Charity sah zu den beiden Soldaten hinüber. »Loyalität ist nicht gerade seine starke Seite, was?« Die beiden verzichteten auf eine Antwort.
»Nächste Frage: der Zweck der Fracht auf der HOME RUN?«
»Was für eine Fracht?«
Charity schloß die Augen und versuchte sich vorzustellen, ihr Zorn wäre eine klebrige, rote Masse, die sie in einen Koffer pressen und darin verschließen konnte. Nein, besser in einem Panzerschrank. »Halt mich nicht zum Narren. Wenn deine Leute nichts von Brutpflege halten, ist das eine Sache, aber ich persönlich kann Kuckuckseier nicht ausstehen.«
»Haben die Moroni das Gelege geborgen?« fragte Kias neugierig.
»Das ist doch wohl ...« Sie beugte sich vor. »Woher zum Teufel soll ich das wissen. Wir haben nicht auf das Empfangskomitee gewartet, wie du dich vielleicht erinnerst. Was ist mit diesen verdammten Eiern?«
»Es war notwendig«, sagte Kias nach einer Pause, was natürlich auch keine Erklärung war. Sie verzichtete darauf, ihm einen entsprechenden Hinweis zu geben.
»Ich schätze diese Unterhaltungen«, sagte sie. »Das ist wie Boxtraining mit einem sechs Zentner schweren Sandsack. Irgendwie prallt alles ab, was einem nur einfällt.«
Kias neigte höflich den Kopf. »Es freut mich, daß Sie unsere Unterhaltungen zu schätzen wissen, Captain Laird.«
Sie grinste freudlos. »Manchmal habe ich ein schlechtes Gedächtnis, Kias, aber früher oder später fällt mir doch wieder ein, was ich vergessen habe.« Sie zog einen Handschuh über und griff in die Oberschenkeltasche ihres Druckanzugs, dann hielt sie das verknäulte Gespinst aus silbernen Fäden ganz dicht vor die Kamera.
»Beispielsweise wollte ich dich schon immer mal fragen, was zum Teufel das hier ist.«
»Woher haben Sie das?« fragte Kias erschrocken, und Dubois richtete sich auf.
Charity bewegte warnend ihren Gewehrlauf.
»Sagen wir, mir sind ein paar Ameisen über den Weg gelaufen, die komische Hüte trugen. Das ist schon eine Weile her. Um genau zu sein, passierte es in der Woche, bevor ihr diese Funkbotschaft aufgefangen habt.«
»Der Selbstmordangriff.«
Sie grinste wieder. »Hervorragend. Was ist es?«
»Sie sollten es nicht zu lange bei sich tragen«, antwortete Kias langsam. »Es zerrüttet das Nervensystem.«
»Eine Maschine?«
Kias schüttelte den Kopf. In den letzten Wochen hatten die Jared-Ameisen zunehmend menschliche Gesten übernommen. Ihre Chitinmasken waren glücklicherweise für diese Art der Nachahmung nicht geeignet. »Es handelt sich um künstlich erzeugtes Gewebe«, erklärte er. »In einigen Fällen sind auch elektronische Bauteile enthalten.«
»Das heißt, nach einem natürlichen Vorbild.« Sie verzog angewidert das Gesicht. »Ein Parasit.«
»Sie können es einen Dschinn nennen«, sagte Kias widerwillig. »Unser Feind verkrüppelt unsere Kinder, um sie auf uns zu hetzen. Begreifen Sie, was wir empfinden, Captain Laird?«
»Kein Kommentar«, sagte sie mit einem Blick auf Dubois und Harris. »Ihr habt gewußt, daß der Shait hier oben ist, nicht wahr?«
Kias nickte. »Selbstverständlich.«
»Und ihr habt euch zusammengereimt, daß die Botschaft nur von Kyle stammen konnte.«
»Hartmann hat den Sender bedient«, antwortete Kias. »Der Takt ... der innere Rhythmus in der Folge der Funkzeichen stimmt nicht mit Kyles motorischen Rhythmen überein.«
»Das könnt ihr heraushören?« Charity nickte anerkennend. »Dann wirst du vermutlich auch aus meiner Stimme hören können, wie ich darüber denke, daß ihr mir dieses Wissen verschwiegen habt«, fügte sie eisig hinzu.
Kias verzichtete erneut auf eine Antwort.
Vermutlich war es eine gute Idee. Sie legte das Silbergeflecht auf eines der Pulte und fragte sich, wie ein Lebewesen so viel Metall in seinem Gewebe enthalten konnte. »Ich werde dieses ... Ding ... durch eine Druckschleuse werfen, mit oder ohne euer Einverständnis«, sagte sie. »Was ist mit dem Loch?«
»Stabil«, antwortete Kias und nahm den Themenwechsel kommentarlos zur Kenntnis. »Der Ring hat neunzig Prozent seiner vollen Leistung erreicht.«
»Und es genügt nicht«, sagte sie. »Hab’ ich mir gedacht.«
»Gurk ist tot«, sagte Kias.
Das war eine Überraschung. »Wie ist es passiert?«
Kias zögerte. Charity hatte den deutlichen Eindruck, daß die Jared-Einheit überlegte, was er ihr sagen konnte, und sie richtete sich ergeben darauf ein, daß man ihr wieder die Hälfte verschweigen und statt dessen ein paar Lügen erzählen würde. »Er hat eine Transportmaschine entführt. Es gab erhebliche Verluste an Material und Leben. Das Fahrzeug ist in dem Wirbelsturm verunglückt, der das Loch am Pol umgibt.«
Intuitiv wußte sie, was das fehlende Puzzlestück war. »Er wollte zum Pol?« fragte sie ungläubig. Im selben Moment verwünschte sie sich stumm dafür, nicht den Mund gehalten zu haben.
»Wie kommen Sie darauf?« erkundigte sich Kias gedehnt.
»Ich spiele Karten«, sagte sie sarkastisch. »Komm schon, Kias, raus damit. Ist er zum Loch geflogen?«
»Soweit wir seinen Weg rekonstruieren konnten, hat er es bis in die Übergangszone geschafft«, antwortete der Jared bedächtig.
Darüber mußte sie nachdenken. »Was zum Teufel hat das jetzt wieder zu bedeuten?« fragte sie ratlos.
Skudder breitete die Hände aus. »Keine Ahnung«, erklärte er und brach zum ersten Mal sein Schweigen. »Ich blicke hier schon lange nicht mehr durch.«
Sie hatte das vage Gefühl, daß sie den Grund eigentlich schon kannte, aber immer, wenn sie versuchte, den Gedanken in Worte zu fassen, entglitt er ihr.
»Gurk ist also nicht mehr am Leben«, sagte sie dann. Sie bemerkte, daß der Jared sie und Skudder auf seinem eigenen Bildschirm aufmerksam beobachtete. »Irgend etwas nicht in Ordnung, Kias?«