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Dann sah er den dünnen, silberfarbenen Draht, der genau in der Mitte der Fläche aus dem Fels heraustrat und sich senkrecht in die Höhe zog. Von einer düsteren Vorahnung geleitet, legte Hartmann den Kopf in den Nacken. Der unmöglich dünn wirkende Draht zog sich im Hitzedunst bis zum Deckengewölbe, hinein in eine zylindrische Öffnung, die ein paar Meter größer war als die Felssäule, und verschwand danach in einem Schacht, dessen Höhe unmöglich zu schätzen war.

»Das ist doch nicht möglich«, hauchte er ehrfürchtig. Er kannte die Festigkeit von Moroni-Materialien, aber wenn dieser Draht tatsächlich das gesamte Gewicht der monströsen Felssäule trug, dann war das selbst in der geringen Schwerkraft eine beängstigende Leistung. Hartmann hatte von Experimenten mit Fasern gehört, die aus organischen Verbundwerkstoffen bestanden, und von Theorien über Zugseile, die aus einem einzigen langen Riesenmolekül mit vielen Billiarden Einzelsträngen bestanden, aber über die Möglichkeit zu reden war eine Sache, ihre Verwirklichung zu sehen eine andere. Er schaute sich langsam um. Hundertfünfzig Meter entfernt hing eine weitere, etwas größere Säule, und dahinter konnte er in der hitzewabernden Luft noch ein Dutzend weitere erkennen. Überall um ihn herum hingen Millionen Tonnen schwere Basaltsäulen wie die Gewichte einer überdimensionalen Kuckucksuhr in einen Pfuhl aus rotglühender Lava herab. Er dachte an den zylindrischen Schacht, vor dem sie den Shait gesehen hatten. Die Moroni mußten diese Felssäulen mit einer Art Sprengladung aus dem Deckengewölbe herausgeschmolzen haben. Ihm wurde schwindelig bei dem Gedanken an eine Technologie, die die Möglichkeit geschaffen hatte, vier Kilometer lange Säulen aus Fels aus dem Inneren eines Mondes herauszusprengen.

Dann drängte sich ein anderer Gedanke in sein Bewußtsein. Eine der weiter entfernten Säulen schien sich gleichmäßig zu bewegen. Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und versuchte, in der hitzeflimmernden Luft etwas zu erkennen. Nun stand die Säule wieder still. Gerade, als er sich abwenden wollte, begann sich eine andere, etwas näher befindliche Säule zu bewegen.

»Was ...«

Der Boden unter seinen Füßen setzte sich mit einem kaum merklichen Ruck in Bewegung.

Nach unten.

Er ließ sich flach auf den Boden fallen und klammerte sich an der polierten Felsfläche fest. Die Säule schwankte und geriet in immer größere Schwingungen, während sie sich Zentimeter um Zentimeter senkte. Er sah förmlich vor Augen, wie das Kilometer entfernte untere Ende gleichmäßig in der rotglühenden Lava verschwand, und sekundenlang glaubte er schon zu spüren, wie die Hitze zunahm, bevor ihm klar wurde, wie abwegig diese Befürchtung war. Bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit würde es Tage dauern, bis sich der Basaltstab ganz abgesenkt hatte.

Andererseits würde er den Absprung wohl kaum noch einmal schaffen.

Er seufzte und blickte wieder nach oben und versuchte die Entfernung zur Decke abzuschätzen. Die Säule senkte sich ein gutes Stück langsamer, als er klettern konnte. Dann fiel ihm noch etwas auf.

Er kannte diese Schächte.

»Nicht schon wieder«, sagte er flehentlich.

9

Der riesige Bagger setzte sich genau in dem Moment in Bewegung, in dem sie es endlich geschafft hatte, die Energiespeicher hochzufahren. Die Schaufelräder beschrieben einen eleganten Bogen und zermalmten die Frontseite einer Wartungshalle.

»O nein«, hörte sie Skudders entsetzten Ausruf über Funk. Verbissen kämpfte sie mit der Steuerung. Es war doch keine gute Idee gewesen, sich von hinten durch die Startanweisungen zu arbeiten, gestand sie sich widerwillig ein. Die Raupenketten drehten sich gleichmäßig und überrollten zwei tiefliegende Transportbänder, die an der Halle vorbeiführten. Dann rammte der Bagger die Kante der Wartungshalle und riß die gesamte Front ein.

Skudder und Harris stürmten in die Zentrale. »Halt das verdammte Ding an«, rief Skudder.

»Keine Chance«, sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, um es zu starten.« Die Steuerzentrale schwankte heftig, als die vordere Hälfte des Baggers irgendeine tonnenschwere Planierraupe überrollte.

»Du wechselst die Fahrzeuge häufiger als das Hemd«, sagte Skudder vorwurfsvoll und suchte Halt. Ein Baukran vor ihnen schlug der Länge nach in den Mondstaub.

»Ist an meiner Hygiene irgend etwas auszusetzen?« erkundigte sich Charity scherzhaft. Es gelang ihr, den Bagger zu einem weiteren Kurswechsel zu bewegen.

»Das ist die richtige Richtung«, meldete sich Dubois hinter ihnen. »Die Schleusen liegen direkt vor uns.«

Das mächtige, dreifach untergliederte Fahrzeug kam langsam zur Ruhe. Irgendwo fünfzehn Meter unter ihnen begann ein Motor metallisch klopfende Geräusche von sich zu geben. Charity runzelte besorgt die Stirn.

»Eine der Raupenketten ist kaputt«, vermutete Harris.

»Nun, macht nichts«, spottete Skudder. »Wir haben noch sieben andere, das reicht noch für ein paar Kilometer.«

Der Bagger schob sich langsam weiter, und die intakten Raupenketten zermalmten Felsen zu Mondstaub und verpreßten Staub zu einer dichten, gipsartigen Masse, die ihren Weg markierte. Die Höchstgeschwindigkeit betrug imposante zehn Kilometer pro Stunde. Es war nicht nötig, den Kurs zu ändern, um Hindernissen auszuweichen. Fahrzeuge dieser Art kannten keine Hindernisse. Nach ein paar Minuten breitete sich stumme Langeweile aus.

»In achtzig Stunden durch den Mond«, sagte Charity in das drückende Schweigen hinein. Anscheinend verstand niemand den Witz. Sie seufzte leise.

Skudder starrte nachdenklich in die Dunkelheit hinaus und versuchte, die Ausmaße der Blase zu erkennen. »Wie haben die das bloß angefangen?«

»Mit einer großen Bombe, denke ich«, antwortete sie geistesabwesend.

»Gigatonne, ich weiß.« Skudder lachte, und sie fiel nach einer kurzen Verzögerung mit ein. »Ein Bohrloch von eintausend Kilometern Tiefe?«

»Wohl kaum«, sagte sie. »Müßte ein ziemlich großes Bohrloch sein, für einen Transmitter wie den, durch den wir gekommen sind.«

»Sie könnten das ganze Material auch mit einem Transmitter hier herausgeschafft haben«, fügte Skudder hinzu.

Charity nickte. »Bleibt immer noch die Frage, wie der Transmitter hier heruntergekommen ist.«

»Muß ein Transmitter eine Empfangsstation haben?« fragte Skudder nach einer Weile.

»Davon gehe ich aus«, sagte Charity. »Wenn nicht ...«

Skudder nickte. »Die Möglichkeiten sind beachtlich, nicht wahr?«

»Beängstigend«, sagte Charity.

Harris räusperte sich. »Vielleicht, wenn man genug Energie hineinsteckt ... könnte man das Übertragungsfeld in einiger Entfernung vom Ring erzeugen.«

»Oder eine rosa Schleife hineinschlingen«, Charity schüttelte ungehalten den Kopf.

»Vielleicht befinden wir uns in einer Art Tasche, die in den normalen Raum zurückfällt, wenn die hineingesteckte Energie verbraucht ist«, spekulierte der Soldat weiter, ohne auf ihren Tonfall zu achten.

»Das ist alles dummes Zeug«, erwiderte Charity heftig. »Keiner von uns hat wirklich auch nur eine Ahnung, was die Moroni mit einem Transmitter alles anstellen können, wenn man sie läßt.«