»Eine Falle?« fragte Dubois.
»Keine Ahnung«, sagte Charity ehrlich. »Sie und ich geben den Männern Deckung. Laßt die Finger von den Türkontrollen und versucht, ob ihr die Tür von Hand aufbekommt.«
»Okay«, sagte Skudder. »Paßt auf, wohin ihr zielt, ja.«
Die beiden Frauen warfen sich einen empörten Blick zu. Harris und Skudder gingen vorsichtig zur Schleuse hinüber und legten ihre Gewehre ab, um das halb in der Tür versenkte Rad packen zu können. Die Tür öffnete sich schwerfällig.
»Alles ruhig«, sagte Skudder, nachdem er sich umgesehen hatte.
Die Schleusenkammer bot kaum genug Platz, obwohl sie vollkommen leer war. Charity hielt den Atem an, als Skudder die äußere Tür verschloß und begann, die Innentür zu öffnen. Luft strömte durch den sich vergrößernden Spalt und bildete einen Hauch von Rauhreif, der gleich darauf wieder verdunstete.
Sie hasteten in den beleuchteten Gang hinaus und verteilten sich. Nach wenigen Metern gelangten sie in die Verteilerkammer unter der Kuppel.
Net hob den Kopf und legte den Verband beiseite, den sie gerade an Hartmanns Schulter hatte anbringen wollen. Neben ihr lag ein Lasergewehr, und auf dem Boden hatte sie den Inhalt von mindestens drei Verbandskästen verstreut.
»Na endlich«, sagte sie erleichtert. »Es wurde auch langsam Zeit, oder was meint ihr?«
Charity verzichtete auf einen Kommentar. Sie öffnete das Sichtvisier und nahm den Helm ab, dann senkte sie das Gewehr und beugte sich über Hartmann, der sich zu einem Lächeln zwang. Anscheinend hatte er Schmerzmittel genommen. Er hatte Brandverletzungen auf Oberarmen und Schulter, und seine Hände waren verbunden. Die zerfetzte Uniform und die Haare waren versengt.
Net griff an ihren Gürtel und schaltete das Funkgerät ab. »Ich hätte nie gedacht, daß doch noch jemand kommt«, sagte sie. »Dem Himmel sei Dank.«
»Wir haben eure Botschaft aufgefangen«, sagte Charity und beobachtete die beiden aufmerksam. Net schien nicht zu wissen, worum es ging, aber Hartmann verzog erleichtert das Gesicht.
»Was ist mit Kyle?« fragte sie ihn.
Er schüttelte stumm den Kopf.
»Erstaunlich«, sagte Charity mit einer Herzlosigkeit, die sie selbst überraschte. »Haben Sie sich da die Brandwunden geholt?«
Er schüttelte den Kopf. Mit schwerfälliger Zunge berichtete er von der Blase und seiner Flucht vor der Spinne. Charity hörte mit wachsender Ungläubigkeit zu.
»Lava«, sagte sie.
Dubois ging neben Hartmann in die Knie. Sorgfältig betrachtete sie die Brandwunden aus der Nähe, bevor sie Hartmanns Uniformgürtel löste.
»Was ist los?« fragte Charity ahnungsvoll.
Dubois nahm eine kleine Plakette aus dem Gürtel. »Strahlung«, sagte sie. Die Plakette war dunkelrot, stellenweise schwarz geworden. »Er hat eine Menge Radioaktivität abbekommen, dort unten.«
»Ein Atomreaktor«, sagte Charity entgeistert.
»Dann hat er noch Glück gehabt«, mischte sich Harris ein. »Das wirklich heiße Zeug muß ganz unten in der Schmelze gewesen sein, und er hat nur ein wenig aus der Luft und vom geschmolzenen Deckengestein abbekommen.«
»Vermutlich soll dieser Reaktor die Energie für den neuen Sternentransmitter liefern«, sagte Dubois. »Sie werden alle Leistungsreserven verbrauchen, um den Durchbruch zum Netz zu schaffen und die Störstelle zu überbrücken.«
»Und das mürbe Zeug in den Basaltsäulen war irgendein Moderator. Graphit oder eine borhaltige Verbindung.« Charity nickte zögernd. »Auf verrückte Weise ergibt das einen Sinn.«
»Deshalb hat sich die verdammte Säule plötzlich dreißig Meter abgesenkt«, warf Hartmann ein. »Ein Regelstab.« Er lachte erschöpft. »Und ich hatte schon die Befürchtung, die Moroni hätten mich mitsamt dem Ding in der Lava versenken wollen. Ich bin noch nie in meinem Leben so schnell geklettert.«
»Ein Reaktor, der bei Schmelztemperatur betrieben wird«, sagte Harris ehrfürchtig.
»Er wird Knochenmark innerhalb der nächsten zwei Wochen brauchen«, warf Dubois ernüchternd ein.
»Im Bunker bekommen sie das hin«, sagte Hartmann tonlos. »Die Ausrüstung ist da, und die Jared können damit umgehen.« Net nahm wortlos seine Hand und drückte sie.
»Es will mir nicht in den Kopf«, sagte Skudder. »Diese ganze Technologie da draußen, und dann Atomreaktoren?« Er verzog das Gesicht. »Klingt wie ausgemachter Blödsinn.«
»Stell dir vor, du hast in deinem Gedächtnis alle Informationen darüber, wie du ein Flugzeug bauen kannst, und du sitzt mit leeren Händen mitten in der Steppe fest.« Charity lächelte. »Ich schätze, du würdest auch damit anfangen, ein kleines Feuer anzuzünden.«
Skudder warf ihr einen vielsagenden Blick zu.
»Schau nicht mich an«, sagte sie. »Du bist hier der Experte, was Lagerfeuer angeht.« Sie blickte wieder über das Geländer auf die riesige Halle hinunter, dann erneut zu Harris. »Du willst sagen, sie bauen diese Reaktoren, weil sie keine bessere Stromversorgung für ihren neuen Transmitter haben?«
»Es ist einfacher, als einen Fusionsreaktor zu bauen.« Harris grinste unverschämt. »Wir Menschen haben immerhin achtzig Jahre von der ersten Bombe bis zum ersten Reaktor gebraucht, der mehr Energie erzeugt hat, als für seinen Bau und Betrieb verbraucht wurde.«
»Das würde auch erklären, wozu sie die Tagebauanlagen gebraucht haben«, meinte Charity. »Der größte Teil radioaktiver Minerale sammelt sich im Inneren eines Planeten. Auf der Erde ist alles in Magma aufgelöst, aber der Mond ist vollkommen erstarrt. Hier unten konnten sie sich alles holen, was sie brauchten.«
»Vielleicht sogar noch etwas anderes als Uran«, warf Harris nachdenklich ein. »Die Waffenlabors auf der Erde haben vor der Invasion viel mit exotischer Materie herumexperimentiert. Metastabile schwere Teilchen, die bei hohen Energien erzeugt wurden. Es hieß, daß sich eine Menge davon nach dem Urknall in den Gravitationsschächten der Planeten gesammelt haben könnte.«
»Möglich«, sagte Charity zweifelnd. »Einen Uranreaktor kann man zur Not mit einfachem Werkzeug bauen. Vor ein paar Millionen Jahren hat es in Afrika sogar eine Handvoll natürlich entstandener Reaktoren gegeben. Man braucht nicht mehr als uranhaltiges Erzgestein, das vom Regenwasser ausgewaschen wird. Die radioaktiven Mineralien sammeln sich in geeigneten Senken aus wasserundurchlässigen Bodenschichten, bis eine kritische Masse erreicht ist, und das Wasser funktioniert als Moderator.« Sie zuckte mit den Achseln. »Jeder Idiot kann einen Kernreaktor bauen. Besonders, wenn man nicht darüber nachdenken muß, wie man ihn wieder abschalten kann.«
»Klingt wie für Moroni gemacht«, versetzte Skudder. »Ich verstehe nur nicht, warum sie ihren Notausgang nicht von Anfang an mit einer vernünftigen Stromversorgung ausgestattet haben.«
»Diese Anlage war nicht als Notausgang gedacht«, vermutete Dubois. »Es sollte vielleicht ursprünglich so etwas wie ein Altersruhesitz werden. Sie war zum Bleiben ausgelegt, und sie war noch lange nicht fertig. Wir haben den Shait zu wenig Zeit gelassen.«
Charity musterte die Frau nachdenklich. »In Ordnung«, sagte sie. »Unser geflügelter Freund mußte das Schlafzimmer ohne Hosen verlassen, und jetzt fehlt ihm das Geld fürs Taxi.« Sie blickte über die Halle hinweg, die von den ungleichmäßig verteilten Schächten in geisterhaft blaues Licht getaucht wurde. »Die Frage ist also, unter welcher Straßenlaterne wir ihn erwischen werden.«
»Er war über dem Reaktor«, sagte Hartmann schwerfällig. »Als sie die Stäbe herausgeschmolzen haben.«
»Wann?«
»Vor ein, zwei Tagen vielleicht.« Hartmann zuckte die Achseln. »Ich war eine Zeitlang bewußtlos.«
Net sah zu Charity auf. »Zwei Tage.«
»Und wo war er, als Sie die erste Botschaft gesendet haben?«
Net und Hartmann warfen sich einen Blick zu.
»Ich habe nur eine Botschaft gesendet«, sagte Hartmann. »Vor ein paar Stunden.«