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»Verdammt«, brachte Charity heraus und betrachtete mit zunehmendem Grauen den Krieger, der sich inzwischen nicht mehr bewegte. Sie hätte nie gedacht, einmal Mitgefühl mit einem dieser Wesen zu empfinden.

»Wissen Sie«, sagte ihr Dubois von ihrem Platz in der Dunkelheit her, »wir sind nicht für das Alleinsein geschaffen. Keiner von uns.«

10

Niemand versuchte, sie an der Durchquerung des Hangars zu hindern. Die gesamte Anlage wirkte so, als wäre sie schon vor Jahren verlassen worden. Es gab keine Geräusche, abgesehen von ihren eigenen Schritten. Das gewaltige Schiebetor am anderen Ende war verschlossen und blockiert. Die Moroni hatten die Motoren zerstört.

»Wir müssen uns einen anderen Weg suchen«, sagte Charity.

»Dahinten ist eine Treppe«, meinte Harris, und Net stöhnte leise.

»Seid vorsichtig«, warnte Charity. »Sie könnten uns in einen Hinterhalt locken wollen.«

Die Treppe führte hinauf zur Decke und auf eine umlaufende Galerie aus Metallgittern, die mit einem wenig vertrauenerweckenden Geländer versehen waren.

Sie mußten hintereinander gehen, um zu einer Feuertür zu gelangen, die in dieselbe Richtung führte wie das blockierte Tor.

»Verschlossen«, sagte Skudder, als sie sich auf der Plattform vor der Tür drängten. Er entsicherte sein Gewehr und warf Charity einen Blick zu.

Charity nickte.

»Vermutlich wissen sie schon, daß wir hier sind«, sagte sie.

Die Geschosse zerfetzten das dünne Blech und das Schloß dahinter. Nach ein paar kräftigen Tritten ließ sich die Tür nach innen öffnen. Sie gelangten in einen Computerraum, der nur von ein paar eingeschalteten Bildschirmen beleuchtet wurde. Das Geräusch von Lüftern und Kühlmittelpumpen unterlegte jeden ihrer Schritte. Auf der anderen Seite einer gläsernen Trennwand standen mehrere große Datenbänke und Speichersäulen, und dahinter waren Fenster zu sehen, die auf die Halle mit dem Sternentransmitter hinausblickten. Stahlverblendungen bedeckten den größten Teil der Fensterfläche und schirmten sie gegen mögliche Wachen ab.

»Wir sind sicher«, sagte Dubois, die ihren Helm wieder aufgesetzt hatte. Die Hilfsdarstellungen in ihrem Sichtvisier überdeckten ihr Gesicht mit einem Gitter aus gelben Linien, in dem verschiedene phosphorgrüne Umrisse tanzten.

Charity ging zwischen den Pultreihen hindurch. Nach ein paar Schritten blieb sie plötzlich stehen.

»Stimmt was nicht?« fragte Skudder von der anderen Seite.

Charity ging weiter. Der Bildschirm neben ihr erlosch, und der nächste in der Reihe schaltete sich ein. Sie blieb stehen und ging versuchsweise einen Schritt zurück. Die Bildschirme wechselten sich ab. Überrascht ging sie weiter, blieb erneut stehen, als ihr das Bild von Monitor zu Monitor folgte.

»Mist«, sagte sie und betrachtete den Monitor. Ein Durcheinander von Schriftzeichen und Linien flimmerte darauf, gerann plötzlich zum nebelhaften Umriß einer menschenähnlichen Gestalt.

Skudder sprang über eine Pultreihe hinweg und blieb neben ihr stehen. Die anderen kamen langsam näher.

Der Bildschirm war inzwischen völlig schwarz, bis auf die aus weißen Linien gebildeten Konturen einer Gestalt, die einen schwachen Grünschimmer hatte.

Die Gestalt hob den Arm und winkte.

»Jemand will mit uns sprechen«, sagte Charity langsam. »Oder man erlaubt sich einen Scherz mit uns.«

Dubois drehte sich um die eigene Achse. Gewehr und Zielgerät beschrieben einen perfekten Kreis. »Hier ist niemand«, sagte sie.

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte Charity. In dem nicht völlig entspiegelten Monitor hatte ein weiterer grüner Schemen das Umrißbild überlagert und löste sich davon. Sie holte tief Luft und drehte sich um.

Hinter ihr stand oder schwebte eine unmöglich große und dürre Gestalt, die aus weißgrünem Licht zu bestehen schien. Wenn die Konturen ein menschliches Wesen darstellen sollten, dann mußte es sich um ein bemerkenswert hochgewachsenes und ausgezehrtes Exemplar handeln. Die Hand, die sich grüßend erhoben hatte, sank langsam wieder herab. Sie konnte die gegenüberliegende Pultreihe durch den schimmernden Körper hindurch erkennen.

»Verdammter Mist«, sagte Hartmann. »Ich habe das schon einmal gesehen.«

»Ich auch«, sagte Charity tonlos. Die Farbe des Schemens kippte in ein fahles Grau, zeigte dann zarte, pastellfarbene Schattierungen. Charity erahnte die durchscheinenden Gesichtszüge mehr, als daß sie sie erkannte, aber auf einmal glaubte sie zu wissen, welches der Gespenster ihrer Vergangenheit dort vor ihr stand. Das Gespenst verlor wieder seine Farbe. »Stark«, sagte sie. Skudder wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Das Gespenst neigte höflich den Kopf. Im nächsten Moment war es verschwunden.

ES IST SCHÖN, DASS SIE MICH WIEDERERKENNEN, stand in ruhigen weißen Buchstaben auf dem Bildschirm. Auf allen Bildschirmen.

»Wo bist du?« fragte sie und sah sich um. »Was ist passiert?«

DAS SIND SCHWIERIGE FRAGEN, antwortete der Bildschirm. Sie konnte nicht einmal sehen, wie die Zeilen gegeneinander ausgetauscht wurden.

»Ich dachte, du wärest tot«, brachte sie schwerfällig heraus. »Du und deine Leute.«

WER SAGT, DASS WIR ES NICHT SIND?

Skudder warf ihr einen Blick zu. »Unheimlich«, sagte er leise.

»Tote Leute reden nicht«, sagte Charity in die Dunkelheit hinein.

DIE MEISTEN VON UNS, schränkte der Computer ein.

»Sind die Telefongebühren zu hoch?«

IN GEWISSER HINSICHT, kam die ernsthafte Antwort. ES KOSTET SEHR VIEL MÜHE, DIE REALITÄT SO ZU VERÄNDERN, DASS MEINE WORTE EIN TEIL VON IHR WERDEN. ES IST SO, ALS WÜRDEN SIE EINE STRASSE BAUEN, INDEM SIE MIT EINEM BLEISTIFT EINE LINIE AUF EINER KARTE ZIEHEN.

Es ergab Sinn, auf eine verrückte Weise. »Deshalb bist du so leicht zu durchschauen«, sagte sie. »Oder gab es dich nur in unserer Einbildung?«

GEHIRNE SIND UNHANDLICH, erklärte der Bildschirm. ES IST EINFACHER, EIN PAAR ELEKTRONEN IN EINEM SPEICHERBAUSTEIN ZU VERSCHIEBEN. ICH ÜBERSCHREIBE NUR EIN PAAR BIT. DER COMPUTER ÜBERNIMMT DEN REST.

»Frechheit«, murmelte TACCOM 370/98. Der Würfel verhielt sich ungewöhnlich wortkarg seit seiner Trittbrettfahrt auf dem Schaufelbagger. Charity argwöhnte, daß er beleidigt war. Sie verlor langsam die Übersicht darüber, wer in ihrer Umgebung welche Rolle spielte, was wirkliche Bedeutung hatte und was nicht. »Der Transmitter hat euch verschluckt«, sagte sie zweifelnd.

DIESE ZUSAMMENFASSUNG IST SO GUT ODER SCHLECHT WIE JEDE ANDERE. Der Bildschirm wurde wieder dunkel. IM PRINZIP KÖNNEN WIR ÜBERALL SEIN, ABER ES IST SO ENTSETZLICH MÜHSAM.

»Was bist du?«

ICH BIN EIN SCHATTEN, EIN ECHO, EINE MÖGLICHKEIT. ICH BIN POTENTIAL. ICH BIN EINE RESONANZ. Der Bildschirm wurde sekundenlang dunkel. FÜR WIRKLICHE DINGE IST ES EINFACHER, DAS GEFÜGE, DAS IHR WIRKLICHKEIT NENNT, NACH IHREM BILD ZU VERFORMEN. WIRKLICHE DINGE EXISTIEREN EINFACH. BEFREIT MAN DIE STRUKTUR VON DER MATERIE, DANN ERHÄLT MAN REINE INFORMATION. Der Cursor blinkte kurz. INFORMATION KANN NICHT HANDELN. SIE EXISTIERT NUR.

»Du sprichst mit uns«, wandte Charity ein. Ihr fröstelte. »In gewisser Weise handelst du.«

DU ERINNERST DICH DARAN, DASS ICH GEHANDELT HABE. ERINNERUNGEN SIND ILLUSIONEN ÜBER EINEN TEIL DER WIRKLICHKEIT, DEN DAS BEWUSSTSEIN NICHT MEHR DIREKT ERREICHEN KANN. ES GIBT ANDERE ILLUSIONEN. ZEIT IST EINE DAVON. Sie hatte das vage Gefühl, ein amüsiertes Lachen zu hören. BEWUSSTSEIN IST EINE ANDERE.

»Das ist mir zu hoch«, sagte Harris, der mit Dubois auf einen anderen Monitor blickte. Sie hatten die Bombe auf dem Boden abgestellt, und Harris hockte darauf und stützte sich mit den Armen auf. Charity fragte sich, ob er dieselben Worte sah oder ob jeder von ihnen seinen eigenen Dialog erlebte, seine ganz private Vortäuschung eines Gespräches, das im eigentlichen Sinne niemals stattgefunden hatte.