Das Käferwesen hatte inzwischen den Shait erreicht. Es schob die kraftlosen Klauenarme beiseite und näherte sich dem unförmigen Kopf. Die Zangen öffneten sich. Durch die Gewichtsverlagerung hatte sich die Plattform noch weiter geneigt, und das untere Ende schmolz unter der Hitzeeinwirkung und tropfte zäh in die Lava. Die Plastikbeschichtung schwelte bereits, setzte einen ätzenden schwarzen Rauch frei, der die beiden unförmigen Gestalten einzuhüllen begann.
»Bist du okay?« erkundigte sich Skudder, als sie ihn erreichte. »Was ist mit deinem Gesicht passiert?«
Sie öffnete das zerbrochene Visier und berührte mit dem Finger ihre Wange. Die Feuchtigkeit darauf war Blut, kein Schweiß.
»Müssen Splitter gewesen sein«, sagte sie. »Wir müssen hier weg, solange die Moroni noch unter der Kontrolle dieses Käfers stehen.«
Skudder sah zu dem Shait und seinem Gegner hinüber. Die Zangen des Käfers hatten sich in den Kopf des Shait gebohrt, der sich noch immer nicht bewegen konnte. Es war totenstill in der Halle, und Charity glaubte, ein saugendes, schmatzendes Geräusch zu hören. Übelkeit breitete sich in ihrer Magengrube aus.
»Ein Räuber«, sagte sie. Die Beschichtung der Plattform stand plötzlich in Flammen, und der Brand breitete sich rasch aus. »Ich vermute, es ist ein natürlicher Feind der Spezies, nach der die Shait-Körper geschaffen wurden.« Sie packte ihn bei der Schulter und zog ihn mit sich. »Sobald er tot ist, werden die Moroni aus ihrer Lähmung erwachen.«
»Dann sollten wir uns beeilen«, sagte er.
Charity winkte den beiden Soldaten zu, die noch immer mit angelegten Gewehren die stille Konfrontation auf der Plattform beobachteten. Die Ausläufer der Flammen hatten inzwischen die beiden riesenhaften Kreaturen erreicht, und die Rauchschwaden verbargen die Einzelheiten.
Im nächsten Moment schrie der Shait gellend seinen Zorn heraus und bäumte sich auf, riß sich einfach aus dem tödlichen Zangengriff heraus, und seine Arme schlangen sich um das Käferwesen. Anscheinend hatten die Schmerzen der Verbrennungen den seltsamen Bann gebrochen. Die Plattform erbebte unter dem Zweikampf der archaischen Giganten und riß sich aus den letzten Verankerungen. Unaufhaltsam rutschte die Platte in die Lava hinab, keine fünfzehn Meter von ihnen entfernt. Wieder schrie der Shait, aber diesmal in Panik, bevor er halb in der Lava versank. Die tödliche Hitze überwog sogar die erschreckende Regenerationsfähigkeit des tyrannischen Parasiten.
Der unförmige Kopf hob sich über die Lava, und die verstümmelten Arme krallten sich in den spröden Fels des Beckenrandes. Charity starrte gebannt auf die trüben Facettenaugen und hatte das deutliche Gefühl, daß der Shait sie allein anstarrte. Der Käfer hing wie ein Stück Holzkohle am Torso des Shait, hatte sich in die Unterseite des Kiefers verklammert. Die Klauenarme brachen große Stücke Basalt aus dem Rand des Bassins, und der mächtige Körper rutschte noch etwas tiefer in die Lava. Der Panzer begann zu schmoren und verkochte, als das flüssige Gestein ihn berührte.
Charity riß sich gewaltsam los und deutete auf die Moroni, die verwirrt die Köpfe bewegten. »Es geht los«, sagte sie, gerade als der gewaltige Umriß des Shait sich noch einmal aufbäumte, bevor die Lava über ihm zusammenschlug. Sie schaltete ihr Funkgerät um. »Hartmann«, rief sie hinein, »holen Sie uns hier heraus.«
Das zwanzig Meter hohe Schiebetor zerplatzte unter dem Einschlag einer Laserbreitseite, und Trümmer wirbelten weit in die Halle hinein. Die Erschütterung ließ den Boden beben. Der hintere Teil der Halle brach plötzlich ein und versank in aufsteigender Lava. Das stählerne Gerippe der Raffinerie schmolz dahin, als wäre es aus Wachs gemacht.
Der Gleiter schob sich durch die glühenden Trümmerstücke des Tores halb in die Halle hinein. Die Moroni eröffneten sofort das Feuer, schossen mit erschreckender Heftigkeit auf den Gleiter und schnitten tiefe Kerben in die Panzerung. Es wimmelte plötzlich von Kriegern, die in ihrer anhaltenden Verwirrung auf alles zielten, was sich bewegte.
»Sie werden uns den Weg abschneiden«, rief Skudder aus.
Der Gleiter schwankte, als er von einer Laserkanone getroffen wurde. Charity blickte sich gehetzt nach einem Ausweg um. Ihr Blick fiel auf die Transportbänder.
»Los«, sagte sie und zerrte Skudder mit sich. »Hartmann, verschwinden Sie aus dem Kreuzfeuer«, rief sie, während sie geduckt auf das Steuerpult neben dem Band zurannten.
Die Laserwaffen des Gleiters brannten eine Feuerschneise, in die Trümmerlandschaft und zerfetzten die Laserkanone.
»Ich schieße Ihnen den Weg frei«, sagte Hartmann über Funk. Seine Stimme klang angespannt.
»Negativ«, rief Charity. »Hauen Sie ab. Die Moroni werden Sie in Stücke schießen.« Laserschüsse ließen den Gleiter taumeln, und an der Unterseite gab es eine kleine Explosion. Das Feuer, das bisher nahezu wirkungslos von der Panzerung abgeprallt war, konzentrierte sich jetzt auf die offene Schleuse. »Fliegen Sie zur Rampe, dorthin, wo die Transportbänder in die Halle abzweigen, und sammeln Sie uns dort auf. Haben Sie verstanden?«
Die Laser des Kampfgleiters schlugen in den Hallenboden ein, der in der Hallenmitte in mehrere Felsschollen auseinanderbrach, die auf der aufsteigenden Lava schwammen. Rauch nahm ihr die Sicht, und hinter einer aufsteigenden Wolke aus Explosionen zog sich der Gleiter schwerfällig durch das aufgesprengte Tor zurück und glitt in die schützende Dunkelheit des Hangars zurück.
»Wir werden die Transportbänder benutzen, Hartmann.« Charity winkte Dubois und Harris zu, die auf die näher kommenden Moroni feuerten. Dubois setzte drei Granaten zwischen sich und die Ameisen und rannte los. Harris folgte ihr. »Warten Sie an der Abzweigung.«
»Verstanden«, kam die undeutliche Antwort, gedämpft durch die Felsmassen und Hallenwände, die inzwischen schon zwischen ihnen liegen mußten. Charity zog sich zu den Pulten hoch und schob die Hebel über die Nullstellung hinaus bis an den Anschlag. Eines der Transportbänder war in den Boden eingebrochen, aber die anderen drei funktionierten noch.
»Was hast du vor?« fragte Skudder.
Charity grinste ihn an. »Das wirst du gleich sehen«, sagte sie. »Klapp doch mal dein Visier nach oben.«
»Warum?« fragte er verwirrt.
Sie schob seine Hand beiseite. »Deswegen«, sagte sie und öffnete seinen Helm, um ihn zu küssen.
Er sah sie an, als habe sie den Verstand verloren. »Du bist verrückt«, sagte er.
Der Kinnhaken traf ihn völlig überraschend. Er fiel wie ein Stein nach hinten, auf das leere Förderband, und verhakte sich mit dem Tornister im Bandgeflecht. Das Transportband riß ihn mit, bevor er seine Benommenheit überwinden konnte.
»Hinterher«, rief sie Dubois und Harris zu, die ohne Zögern auf das Band sprangen und sich daran festhielten. Ein paar Laserblitze zuckten über die Transportbänder hinweg. Charity las Skudders Gewehr und das erbeutete Lasergewehr vom Boden auf und sprang aus den Knien heraus in die Höhe, entleerte dabei die gesamte Munition in Richtung der näher kommenden Moroni, mit dem Erfolg, daß sich der Laserhagel nun auf sie konzentrierte. Sie warf das Gewehr weg und rollte sich auf das Podest vor dem Transmitter, preßte sich flach an den Boden, während die Schüsse über sie hinwegzuckten. Das Transportband verschwand mit seiner Last im Durchgangsstollen.
Die Bombe lag auf dem völlig leeren Podest, nicht einmal zehn Schritte vom Ring entfernt. Das Übertragungsfeld wogte lautlos. Laserschüsse schlugen hinein und wurden einfach verschluckt, erzeugten neue Störungen an der glatten Oberfläche. Sie spürte förmlich, wie die Katastrophe näherrückte.
»Wie lange noch, TACCOM?«
»Es hat schon angefangen«, sagte der Würfel nüchtern. »Der Höhepunkt wird viel stärker als beim letzten Mal.«
»Sicher?« fragte sie und duckte sich, als weitere Schüsse in das Transmittertor einschlugen.
»Ich hatte in den letzten Minuten einen Platz in der ersten Reihe«, versetzte der Computer sarkastisch.