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Sie dachte an Kyle. Sie hatte dem Megamann noch nie ganz über den Weg getraut, aber seit dem Kampf in der Schwarzen Festung wußte sie überhaupt nicht mehr, wie sie ihn einschätzen sollte. Irgend etwas an ihm war anders geworden.

»Reiß dich zusammen«, riet sie sich selbst und ließ sich auf einem Treppenabsatz nieder, um sich auszuruhen. Am anderen Ende der Halle gingen die Moroni inzwischen daran, zwei weitere der insgesamt zwanzig Gleiter in Betrieb zu nehmen. Sie hörte das Geräusch hochfahrender Maschinen und fragte sich, ob die Ameisen beabsichtigten, die Flugmaschinen in diesen Hallen auf der Suche nach den Eindringlingen einzusetzen. Die Hallen waren ziemlich groß, aber die Diskusschiffe hatten fast zwanzig Meter Durchmesser.

Net plagte sich auf. Es war besser, die nächste Ebene erreicht zu haben, bevor hier unten neues Durcheinander inszeniert wurde. Auf das abgeschaltete Lasergewehr gestützt, überwand sie die nächsten vier Treppenabsätze und verschwand durch eine offene Zugangstür in einem Gang, der nach den gewaltigen Hallen recht eng wirkte. Es dauerte noch eine Viertelstunde, bis sie endlich eine der Druckschleusenanlagen erreichte.

Es handelte sich um eine Art zentraler Verteiler, mit einem Ring von abgeschalteten Kontrollpulten und vier fensterloser Drucktüren, die in verschiedene Richtungen wiesen. Der fünfte Zugang war der Treppenaufgang, über den sie in den Verteiler gelangt war. Zwischen den Kontrollpulten führte eine weitere Treppe um eine zentrale Säule spiralförmig nach oben. Sie warf einen Blick auf die mit OPEN und CLOSE beschrifteten Kontrollschalter der Druckschleuse und entschloß sich, sie vorerst zu ignorieren. Schleusentüren wurden von Motoren geöffnet, und Motoren verbrauchten Strom, dessen Verbrauch man irgendwo ablesen konnte. Außerdem wußte sie nicht, was hinter den Drucktüren lag.

Also ging sie vorsichtig die stählerne Wendeltreppe hinauf. Durch eine kleine Luke gelangte sie in eine große Glaskuppel, die den ungehinderten Blick auf den schwarzen Himmel und die Mondoberfläche freigab. Zahlreiche wissenschaftliche Meßgeräte waren in der Kuppel verteilt, Teleskope und Optiken, die automatisch gesteuert wurden, und ein paar kleine Bildschirme, die vermutlich einem Techniker eine rasche Überprüfung vor Ort ermöglichen sollten. Sie rätselte einen Moment lang an den unverständlichen Beschriftungen herum. Eine große Bank aus Stahl, versehen mit Gewinden und Klammern, war freigeräumt worden, vermutlich, weil man eines der Geräte hatte austauschen wollen. Der Techniker hatte seine Arbeit in den letzten sechzig Jahren nicht zu Ende geführt. Sie schob die herumliegenden Werkzeuge und Stativteile mit der Hand einfach zur Seite und ließ sie auf den Boden fallen, dann setzte sie sich auf die Platte, legte das Lasergewehr neben sich und starrte nach draußen.

Dort erstreckte sich, grau in grau, wie gefrorene Watte, die Mondoberfläche, die bei genauerer Betrachtung zahlreiche kleine und winzige Krater zeigte, Ringe in Ringen, die sich teilweise überschnitten. Die erdabgewandte Seite der Mondoberfläche hatte eine bewegte Geschichte hinter sich. In einiger Entfernung konnte sie ein paar riesige Krater entdecken, die sie auch aus der von Hartmann entdeckten Druckschleuse gesehen hatten, und dahinter lagen seltsam zerklüftete Berge. Im Gegensatz zu der Oberfläche um die Glaskuppel herum wirkte das Gebiet am Rande des Gesichtsfeldes wie frisch aus dem Fels herausgeschnitten.

Es war noch immer dunkel dort draußen. Das harte, weiße Licht stammte von den gewaltigen Scheinwerferbatterien, die auch in der Nähe der anderen Druckschleuse gestanden hatten, und in ihrem Lichtkreis wich das geisterhafte Grau einem scharfgeschnittenen Schwarzweiß aus Schatten und Licht. Sie konnte die Aushebungen erkennen, die nach Hartmanns Worten zu einem Tagebaugebiet gehörten. Es gab langgestreckte Treppenabsätze, kilometerbreit aneinandergereiht von gewaltigen Schaufelbaggern, und eine große Landebahn am Rande des beleuchteten Bereichs. Seltsamerweise war ausgerechnet die Landebahn-Befeuerung nicht eingeschaltet. Transportbänder führten von allen Seiten zu einer großen Industrieanlage, die sie von ihrem früheren Aussichtspunkt aus nicht hatten sehen können. Hinter der gewaltigen Anlage erhoben sich seltsam steile Felswände und verschwanden in der Dunkelheit. Förderanlagen und Vortriebsmaschinen hatten sich in die Wand gebohrt, Bunker und Hangars waren rund um etwas herum errichtet worden, das wie eine Kraftwerksanlage aussah. Irgendwie erschien ihr die Felswand über alle Maßen hoch zu sein.

Zumindest waren keine Moroni zu sehen. Es war überhaupt niemand auf dem Plateau vor der Kuppel zu sehen. Die Spuren schwerer Räumfahrzeuge zogen sich schnurgerade durch den Sand, und ein wenig seitlich konnte sie die Umrisse eines gewaltigen in den Boden eingelassenen Tores und einer mindestens einen halben Kilometer langen Zufahrtsrampe erkennen, die mit deutlicher Neigung in der Tiefe verschwand. Falls ihr Orientierungssinn sie nicht im Stich gelassen hatte, mußte sich dort hinter den gewaltigen Torflügeln die Halle mit dem Sternentransmitter befinden. Und hinter dem Kraftwerkskomplex konnte sie einen Ring ausmachen, der möglicherweise einen weiteren Transmitter darstellte.

Nun, dieser Teil der Anlage war eindeutig von den Moroni errichtet worden. Sie fragte sich, was aus dem Tagebaugebiet die Moroni für ihre Transmitteranlage gebraucht hatten. Vielleicht bestand der Ring ja aus einem besonders seltenen Material, und deshalb hatten die Ameisen die Fördermaschinen wieder in Betrieb genommen.

Net schaute sich noch einmal um. Die gewaltigen Silhouetten der Schaufelbagger mit ihren vier nebeneinander montierten Doppelreihen von breiten Raupenketten und dem gewaltigen Ausleger, an dessen Ende die vier großen Schaufelräder angebracht waren, hatten sich nicht bewegt. Die Transportbänder waren anscheinend noch in Betrieb, aber die Bandflächen waren leer. Was immer die Moroni hier gewollt hatten, sie hatten es sich schon geholt.

Net ließ sich nach hinten sinken und starrte nach oben durch die Kuppel in den Himmel. Von dem kleinen Fenster der Druckschleuse aus hatte man nur einen schmalen Streifen Himmel sehen können, weil die Hügel und Berge den größten Teil des Gesichtsfeldes eingenommen hatten, aber die Kuppel bot von einem erhöhten Standpunkt aus freien Blick. Eine Weile lag sie so da und starrte ins Leere, dann plötzlich begriff sie, was sie schon damals in der Druckschleuse irritiert hatte.

Es gab keine Sterne an diesem Himmel.

*

Natürlich hatten sie keine Waffen gefunden. Militärdepots wurden nach einem klaren und eindeutigen System geordnet und geführt, dessen hervorstechendste Eigenschaft es war, daß selbst Offiziere mit längerer Dienstzeit dieses System ebensowenig durchschauen konnten wie ein möglicher Gegner. Das angrenzende Depot jedenfalls hatte die Nummer 41 getragen und Radfahrzeuge aller Art enthalten, aber keinerlei Treibstoffe und Energiezellen. Hartmann und Kyle hatten sich mit einigen Kartons Plastiksprengstoff, Sprengkapseln und Handgranaten begnügt. Natürlich hatten sie auch kein Funkgerät gefunden, ganz zu schweigen von einer Hinweistafel, die ihnen hätte zeigen können, wo sie sich befanden.

Die umliegenden Hallen waren völlig verlassen. Die Moroni hatten diesen Abschnitt entweder geräumt oder nie für sich in Besitz genommen. Hartmann stimmte Kyle zu. Man hatte sie hier abgesetzt, um sie vergessen zu können, und der Shait hatte wohl nicht damit gerechnet, daß sie sich von ihren Bewachern befreien konnten.