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„Nein, er hat unrecht, unrecht!" rief Masinissa. „Was geht mich die Feindschaft eurer Väter an? Dein Vater - mögen ihm die Götter der Unterwelt gnädig sein - ging in jenes Land, aus dem es keine Rückkehr gibt. Und mit ihm ging die Feindschaft. Die Schatten sollen den Lebenden nicht den Weg versperren."

„Aber Hanno ist kein Schatten!" seufzte Hannibal. „Gestern hat er im Großen Rat gefordert, daß ich hier zurückgehalten werde. Er ist mein Feind."

„Na, wennschon!" Masinissa blickte an Hannibal vorbei. „Trotzdem werde ich Sophonisbe entführen. Unsere Spur wird sich im Gras verlieren, und eure Feindschaft wird uns nicht erreichen. Das kann niemand verhindern, auch mein Vater nicht."

Er rannte zu seinem Pferd und sprang hinauf.

Hannibal blickte ihm lange nach. Das ist das Ende unserer Freundschaft! dachte er. Die zufällige Begegnung mit einem fremden Mädchen vor dem Tempel der Göttin Tanit machte all meine Pläne zunichte. Wie mächtig muß die Liebe sein, da sie doch Freunde entzweit und Väter und Söhne zu Feinden macht! Und ich? Werde ich jemals ein Mädchen wie Sophonisbe finden? Oder hat Tanit, die Göttin der Liebe, keine Macht über mich? Werde ich gelenkt von den Göttern des Krieges, denen mich mein Vater weihte?

An Deck des Schiffes erbrach Hannibal das Siegel und las den Brief. Gula bat ihn, Masinissa mit sich nach Iberien zu nehmen. „Der eigensinnige Junge hat sich das Verlöbnis mit Hannos Tochter in den Kopf gesetzt", schrieb Gula. „In den Schlachten gegen die Völker, die meine und deines Vaters Feinde sind, wird er begreifen, wo die wirkliche Bestimmung und das Glück des Mannes liegen."

Hannibal trat an die Reling. Das Schiff fuhr gerade aus der Bucht. Der davongaloppierende Reiter hatte sich schon in einen kaum erkennbaren Punkt verwandelt.

Gula kennt seinen Sohn schlecht, sagte sich Hannibal. Masinissa braucht keine Belehrungen, er hat seine eigenen Vorstellungen vom Glück des Mannes. Er wird zugrunde gehen oder sein Ziel erreichen.

Eine harte Schule

Greis erfüllte den Letzten Willen Hamilkars gewissenhaft. Hannibal diente als Gemeiner im Heer. Seite an Seite mit den anderen Kriegern ertrug er Hitze und Kälte. Er führte jeden Befehl seiner Vorgesetzten aus, ging auf Erkundung, stürzte sich als erster in die Schlacht und verließ sie als letzter. Magarbal betrachtete ihn schon lange als den besten Reiter im Heer, und die balearischen Schleuderer wußten, daß er besser als mancher von ihnen mit der Wurfschleuder umgehen konnte. Er trug die Kleidung eines einfachen Kriegers und schlief auf der bloßen Erde, in seinen Umhang gehüllt. Er sprach nicht nur griechisch, sondern konnte sich auch fließend numidisch, gallisch und iberisch verständigen. Diese Sprachkenntnisse verschafften ihm unter den verschiedenen Völkerstämmen des Heeres die höchste Achtung. Hannibal unterschied sich grundlegend von den anderen Karthagern, die sich nur durch Dolmetscher mit den Söldnern verständigen konnten.

Überdies war er freundlich zu jedermann und kannte keinen Standesdünkel. Über seine Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Vater staunte jeder. Er hatte das gleiche Kinn, den gleichen schwarzgelockten Bart und die gleichen gebieterischen Augen. Hamilkar schien wieder auferstanden zu sein.

In der Regenzeit kehrte das Heer, durch die Gefechte mit den Iberern erschöpft und gelichtet, nach Neu-Karthago zurück. Diese Stadt lag auf einem schmalen, weit ins Meer vorspringenden Kap im Süden von Iberien. Hasdrubal, der Greis, hatte sie in erstaunlicher Geschwindigkeit errichten lassen. Unzählige Sklaven, die in Kämpfen gegen die Iberer erbeutet oder in Karthago, Utica und Cädiz gekauft worden waren, bauten hohe Paläste und Tempel, pflasterten die Straßen und errichteten eine Festungsmauer quer über die Landenge. Dadurch wurde die neue Stadt zu einer uneinnehmbaren Festung. In dem Bestreben, Karthago in jeder Beziehung zu übertrumpfen, ließ Hasdrubal von den iberischen Stämmen, die ihm tributpflichtig waren, große Apfel-, Birn- und Feigenbäume ausgraben und sie an Stelle von Silber und Sklaven - den sonstigen Formen des Tributs - nach Neu-Karthago bringen. Viele Iberer hielten diesen Befehl für sonderbar, aber sie führten ihn gewissenhaft aus, denn sie wußten, welche Folgen ein Ungehorsam nach sich ziehen würde. Auf diese Weise schmückte sich die Stadt innerhalb eines einzigen Jahres mit Parks und Gärten. Auch Teiche ließ Hasdrubal anlegen, auf deren spiegelglatter Wasserfläche weiße und schwarze Schwäne schwammen. Es war die märchenhafte Verwandlung einer steinigen Halbinsel in ein Paradies.

Hannibal wohnte in Hasdrubals kostbarem Palast. Das Dach war mit zentnerschweren Silberplatten gedeckt. Wände und Treppen bestanden aus Ebenholz, das mit Schiffen aus Afrika herbeigeholt worden war. Die Karthager bestaunten den märchenhaften Luxus des Palastes, aber ebensosehr wunderten sie sich, daß Hannibal so freundschaftliche Beziehungen zu Hasdrubal unterhielt. Denn eigentlich hätte er doch sein erbittertster Feind sein müssen, weil nicht er, der Sohn, Hamilkars Erbe angetreten hatte, sondern Greis. Hasdrubal besaß den Oberbefehl über das Heer und alle Schätze Iberiens, und Hannibal war leer ausgegangen. Seit Jahren diente er als gemeiner Krieger im Heer, und auch in Hasdrubals Palast bewohnte er nur eine winzige Kammer, die für einen Sklaven angemessener gewesen wäre als für Hamilkars Sohn. Sie war so klein, daß keine Lagerstatt darin Platz fand, so daß Hannibal auf dem Boden schlafen mußte. Die ganze Ausstattung bestand aus Waffen, die an den Wänden hingen. Das war kaum zu glauben und kaum zu begreifen.

Aber Hannibal empfand gegenüber Greis weder Neid noch Mißgunst, weil er wußte, daß dieser nur Hamilkars Letzten Willen erfüllte. Zudem erkannte er, daß das Werk seines Vaters von starken, zuverlässigen Händen weitergeführt wurde. Wäre Hamilkar noch am Leben, dann hätte er wohl kaum mehr erreicht. Greis hatte das gesamte östliche Ufer Iberiens bis zum Ebro mit Ausnahme der Stadt Sagunt erobert und in der Nähe von Neu-Karthago reiche Silberbergwerke erschlossen. Von vielen iberischen Stämmen erhielt er Tributzahlungen.

Diejenigen Karthager, die durch den Handel mit Silber und Sklaven reiche Leute geworden waren, rühmten Hasdrubal in den höchsten Tönen und unterstützten ihn im Großen Rat.

Die Römer schlossen mit ihm ein Abkommen, worin sie seine Eroberungen in Iberien anerkannten und nur verlangten, daß er die Stadt Sagunt ungeschoren ließ. 

Hasdrubals Hochzeitsfest

Noch niemals war Hasdrubals Palast von einer so festlich erregten, bunten Menge erfüllt gewesen. Neben dem karthagischen Ratsherrn mit dem knöchellangen Gewand und den Goldringen an Fingern und Ohren ging ein iberischer Söldner in Rüstung mit dem Krummschwert im Gürtel oder dem Dolch im Ledergehänge. Über die kostbaren Teppiche schritten würdevoll die Frauen und Töchter der iberischen Könige. Sie trugen Lederdiademe mit eingesetzten Silbervierecken, Bronzeketten mit Amuletten und hatten zinnoberrot geschminkte Wangen. Auch Ehefrauen der karthagischen Offiziere waren zugegen; sie trugen Goldreifen an Hand- und Fußgelenken und hatten sich Saphire und Smaragde ins Haar gesteckt. In ihr kostbares arabisches Parfüm mischte sich der Gestank von Delphintalg, der bei den Iberern als heilkräftig galt.

Und wie verschiedenartig waren die Speisen, die auf der Tafel standen! Neben den eigens aus Karthago beschafften Goldpokalen mit dem dünnen Fuß, aus denen der Sage nach schon die Königin Dido getrunken haben sollte, standen iberische Weinschalen, bemalt mit Menschen- und Tierfiguren oder mit gelben, orangefarbenen und weißen Linien. Zum gebratenen Hundefleisch, ohne das ein karthagisches Festessen nicht denkbar war, wurden einfache Gerstenfladen gereicht - die Nahrung der iberischen Hirten.

Es war eine Mischung aus karthagischer und iberischer Welt - das Ergebnis von Hasdrubals politischer Weisheit. Hannibal fiel ein, als Junge gelesen zu haben, daß Alexander ein ähnliches Fest in Babylon veranstaltet hatte. Auch Alexander wußte, daß er nur dann seine Herrschaft über das riesengroße persische Reich nicht verlieren würde, wenn er die persischen Sitten und Gebräuche beachtete. So hatte er an einem einzigen Tage zehntausend seiner Krieger mit den Töchtern des persischen Adels verheiratet und sich selbst mit der persischen Königstochter Roxane vermählt.