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„Die Saguntiner kennen mich", fuhr Alorkes fort. „Unsere beiden Stämme sind durch die Bande alter Gastfreundschaft miteinander verknüpft. Und wenn Alkon den Zorn seiner Mitbürger fürchtet, dann wähle mich zu deinem Mittelsmann. Ich werde den Belagerten deine Bedingungen überbringen."

Am nächsten Morgen ging ein Mann mit einem Olivenzweig in der Hand auf das saguntinische Stadttor zu. Es war Alorkes. Die Wachen ließen ihn ein und verbanden ihm wortlos die Augen. Dann mußte er einen langen Weg zurücklegen, anscheinend wurde er durch sämtliche Straßen der Stadt geführt. Hinter sich hörte er ein ständig anschwellendes Geräusch von Schritten, aber keine einzige menschliche Stimme. Die Saguntiner verließen ihre Häuser und folgten dem Mann mit den verbundenen Augen schweigend, als wäre er die Verkörperung des blinden Schicksals.

Endlich legte ihm jemand die Hand auf die Schulter. Er blieb stehen. Die Binde wurde ihm von den Augen genommen. Vor ihm lag der Stadtplatz, auf dem dicht an dicht die Saguntiner standen. Viele hundert schwarz umrandete Augen waren auf ihn gerichtet.

Alorkes drehte sich zu den Stadtältesten um und richtete ihnen Hannibals Bedingungen aus. Jedes seiner Worte war auf dem Platz zu hören. Danach gingen die Saguntiner auseinander, kamen aber bald wieder zurück, Brennholz und Reisig in den Händen, das sie auf dem Stadtplatz zu einem hohen Scheiterhaufen auftürmten. Einer hielt die Fackel an den Scheiterhaufen, und als er in hellen Flammen stand, sprangen die Menschen hinein - einzeln, die Eheleute zu zweit. Viele trugen ihre kleinen Kinder auf dem Arm. Andere zerrissen sich die Kleider und erstachen sich. Alorkes hielt sich die Augen zu, geschüttelt von Grauen.

Inzwischen setzten die Karthager zum Sturm an, ohne seine Rückkehr abzuwarten. Sie stießen auf keinen Widerstand. Die Straßen waren leer bis auf die Leichen. Die Saguntiner hatten den Tod der Sklaverei vorgezogen. 

Bericht eines entflohenen Sklaven

Nach der Einnahme von Sagunt begab sich Hannibal nach Neu-Karthago, wo er die Beute unter seinen Kriegern verteilte und die Boten empfing, die er nach Gallien entsandt hatte.

Begeistert berichteten sie von dem unwahrscheinlich fruchtbaren Boden der italischen Gallier und von den billigen Lebensmittelpreisen. Auf den Äckern wurden reiche Gerste- und Hirseernten eingebracht, in den Eichenwäldern weideten große Schweineherden, und auf den saftigen Bergwiesen grasten unzählige Ziegen, Schafe und Pferde. Das Land wäre dicht mit gallischen Völkerstämmen besiedelt, hochgewachsenen schönen Menschen, in deren Herzen der Haß auf Rom lebte. Sie wären bereit, das karthagische Heer mit Menschen und Lebensmitteln zu unterstützen.

Die Boten brachten auch einen Dolmetscher mit, den Gallier Dukarion, einen ehemaligen römischen Sklaven. Er war fünfundzwanzig Jahre, also ebensoalt wie Hannibal, hatte blondes Haar und ein regelmäßig geschnittenes Gesicht. Sein Haß auf Rom verband ihn mit Hannibal. Zudem konnte er ihm vieles von Rom erzählen.

„Wie wurdest du Sklave?" fragte Hannibal.

Dukarion starrte finster vor sich hin. „Nachdem die Römer unser Heer in der Schlacht an der Adda besiegt hatten, drangen sie in unser Dorf ein und steckten es in Brand. Meine Mutter und meine kleine Schwester kamen in den Flammen um. Die jungen Männer des Dorfes, darunter auch ich, wurden an die Bäume gebunden und ausgepeitscht. Gaius Flaminius lachte, als er unsere Qualen sah."

„Gaius Flaminius?" wiederholte Hannibal. Dieser Mann war der erste Regent Siziliens gewesen, nachdem die Römer es den Karthagern weggenommen hatten.

„Ja, er befehligte die römische Legion, die unser Dorf besetzte."

„Wie sieht er aus?"

Dukarion zuckte erstaunt die Schultern; er begriff nicht, weshalb sich der mächtige karthagische Feldherr für einen Römer interessierte, der zur Zeit kein öffentliches Amt mehr bekleidete. „Er ist etwas größer als du, wohl auch älter, hat ein glattrasiertes Gesicht wie alle Römer, einen schnellen Gang, graue Augen, und wenn er lacht, reißt er den Mund auf."

„Ich fürchte, daß ich nach deiner Beschreibung Flaminius nicht erkennen würde, wenn ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstünde. Die meisten Römer haben graue Augen, und jedermann lacht mit offenem Mund. Ist er Patrizier, ich meine, gehört er einem der alten römischen Adelsgeschlechter an?"

„Ich hörte, daß er seine Karriere nicht einer edlen Geburt, sondern der Verehrung der Plebejer verdankt, zumal er auch den Kreisen dieser niedriggestellten römischen Bürger entstammt. Er schenkte ihnen das Land, das er meinem Volke geraubt hatte, und sie setzten es auch durch, daß die Straße, die das Tyrrhenische und Adriatische Meer verbindet und teilweise durch gallisches Gebiet führt, auf seinen Namen getauft wurde und seitdem Flaminische Straße heißt. Anschließend baute er in Rom für seine plebejischen Mitbürger einen Zirkus, der ebenfalls seinen Namen trägt."

Hannibal nickte schweigend. Er verglich den Plebejer Gaius Flaminius in Gedanken mit dem Patrizier Quintus Fabius. Zwar begannen ihre Nachnamen mit dem gleichen Buchstaben, aber sonst ähnelten sie sich wenig. Quintus Fabius war ein vorsichtiger, besonnener Mann, im Gegensatz zu dem temperamentvollen, unbesonnenen Flaminius, dem der Erfolg zu Kopf gestiegen war.

Hannibal fuhr aus seinen Gedanken auf.

„Verzeih, daß ich deinen Bericht unterbrach", sagte er. „Und was geschah dann mit dir?"

„Wir wurden in Ketten nach Rom gebracht, und dort trennte man mich von meinen Freunden. Die Römer vermeiden es, Angehörige desselben Volkes zusammen zu halten. Uns kauften verschiedene Leute. Ich kam in eine Mühle. Mit mir wurden ein Syrer, ein Thrakier, ein Skythe und ein Grieche an den Mühlstein geschmiedet. Unser Besitzer war überzeugt, daß wir uns untereinander nicht verständigen konnten. Freilich lautet das Wort Freiheit in den verschiedenen Sprachen anders, aber es ist dem Herzen eines jeden Menschen gleichermaßen teuer. Während der Saturnalien, dieser römischen Feiertage, an denen die Sklaven vorübergehend freigelassen werden, ergriffen wir die Flucht. Die Römer verfolgten uns mit Hunden, die auf die Menschenjagd abgerichtet waren. Aber wir entkamen ihnen und ihren Herren, weil wir auf einer Tiberinsel Zuflucht suchten und das Wasser unsere Spuren verwischte. Die Römer haben diese Insel auf den Namen Äskulaps, des Gottes der Heilkunst, getauft und bringen die alten und hoffnungslos kranken Sklaven zum Sterben dorthin. Viele kleine und größere Schiffe fahren täglich an der Insel vorüber, aber keines legt dort an, um den Sterbenden wenigstens etwas trockenes Brot hinzuwerfen. Vielleicht war es jedoch gerade diese Unmenschlichkeit, die uns das Leben rettete. Drei Tage hielten wir uns im Dickicht verborgen, und jeder flehte seine Götter in seiner Sprache um Schutz und Hilfe an. Und sie erhörten unsere Gebete.

In der vierten Nacht gelang es uns, unbemerkt auf ein Getreideschiff zu klettern und uns im Laderaum zu verstecken. Wir wußten nicht, wohin das Schiff fuhr, und wagten auch nicht, uns bemerkbar zu machen. Nach einigen Tagen quälte uns der Durst so sehr, daß wir uns fast verraten hätten. Doch unser Durst nach Freiheit war noch größer. Ich weiß nicht, wie viele Tage wir unterwegs waren, denn mein Bewußtsein hatte sich getrübt, und ich glaubte zu träumen, als ich die Ankerkette rasseln hörte. Kurz darauf wurde das Korn ausgeladen, und die Sklaven, die als Lastträger arbeiteten, sagten mir, daß ich mich in Marseille befand. Sie brachten mir auch zu trinken. - Meine Fluchtgefährten brauchten kein Wasser mehr. Sie waren verdurstet.

Aus Marseille wanderte ich in Richtung der Alpen, und nach einer Woche war ich wieder in der Heimat. Als ich berichtete, wie mich die Römer behandelt hatten, die Narben auf meinem Rücken zeigte, gelobten alle, an den Römern Rache zu nehmen. Als deine Boten zu uns kamen, sagten Freunde zu mir: ,Geh mit den Fremdlingen und führe ihr Heer in unser Land. Allein werden wir mit den Römern nicht fertig."'