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Zu ihrer Verstärkung schickte der römische Senat deshalb sofort eine der eigentlich für den Einsatz in Iberien bestimmten Legionen nach Norditalien. Zum Ersatz für diese Legion mußte erst eine neue Legion aufgestellt und ausgebildet werden, und dem Konsul Publius Scipio blieb nichts anderes übrig, als solange in Rom zu warten.

Am Einberufungstag strömten viele junge Männer zum Kapitol, der Burg von Rom. Sie lag auf einem der sieben Hügel, auf denen Rom erbaut ist.

Unter den Rekruten befanden sich Bauern aus Apulien, lebhafte Winzer aus Kampanien und großstädtisch gekleidete junge Römer, die sich selbstbewußten Blickes abseits hielten.

Zu ihnen gehörte auch Publius Cornelius Scipio der Jüngere - der Sohn des Konsuls, der den gleichen Namen wie sein Vater trug. Das gab es bei den Römern häufig.

Erst vor knapp einem Jahr hatte der Patriziersohn Publius die rotgesäumte Kindertoga abgelegt, die von den römischen Knaben bis zum sechzehnten Lebensjahre getragen wurde. Trotzdem wirkte er nicht jünger als die übrigen mit seinem zarten blassen Gesicht und den nachdenklichen braunen Augen. Sein Haar war kurz geschnitten, er trug eine sorgfältig gebügelte, schneeweiße Toga und Sandalen, deren Verschnürung bis zu den Knien hinaufreichte.

Seine Spielgefährten hatten ihm den Spitznamen Grieche gegeben, weil er fließend griechisch sprach und Homers Gedichte mehr liebte als ihre wilden Spiele.

Nun aber hieß es: Leb wohl, Homer, leb wohl, Vaterhaus.

Der Kriegsgott Mars ruft! 

Rekrutenzeit

„Höher die Beine, Jungs!" ruft der Zenturio - der Hundertschaftsführer -, ein Mann mit glattrasiertem wettergegerbtem Gesicht. „Die Reihe gerader! He, du Esel, paß auf, sonst kriegst du die Rute zu kosten!"

Der Schweiß rinnt Publius über das Gesicht, die Tunika ist zum Auswringen naß, aber der Zenturio kennt kein Erbarmen.

„Was, ihr Muttersöhnchen, wollt ihr schon schlappmachen?" grölt er.

„An den Spinnrocken gehört ihr und nicht in eine Legion!"

So geht es bis zum Mittag. Dann setzen sich die jungen Rekruten unter die Ulmen, die auf dem Exerzierplatz wachsen, und nehmen ihr kärgliches Mahl ein. Unwillkürlich denkt Publius an den saftigen Schweinebraten, den die Sklaven daheim auf den Mittagstisch zu stellen pflegen.

„Aufstehen!" ruft der Zenturio. „Einzeln im Laufschritt zu den Pfählen!"

Der meint wohl, ich sei als Affe geboren worden, denkt Publius wütend und bleibt hilflos vor dem glatten, senkrecht in die Erde gerammten Pfahl stehen.

„Was glotzt du?" Der Zenturio schlägt ihn leicht mit der Rute. „Klettre hinauf!"

Die Arme rutschen ab, die Beine zittern bei der ungewohnten Anstrengung.

„Höher!" ruft der Zenturio. „Immer höher! So ist's richtig!"

Als die Sonne sinkt, führt er die erschöpften Rekruten zur Pfahlbrücke des Horatius Codes. Vielleicht will er uns von der Heldentat dieses Mannes berichten, der die Pfahlbrücke einstmals zuerst mit zwei Gefährten und dann allein gegen einen übermächtigen Feind verteidigt hat, überlegt Publius. Nein, der Zenturio befiehlt, sich der Kleider zu entledigen. Erleichtert springen die Rekruten ins Wasser und spülen sich Schweiß, Staub und Erschöpfung ab.

Doch der Zenturio überläßt sie nur kurze Zeit diesem Vergnügen.

„Mir nach!" ruft er. „Zum anderen Ufer!"

Gehorsam schwimmen die Rekruten hinter ihm her. Nur mit Mühe können sie die starke Strömung überwinden.

Eines Tages rollen Fuhrwerke ins Lager.

„Wir erhalten Waffen!" rufen sich die Rekruten zu und laufen ungeduldig zu den Fuhrwerken hin. Endlich werden sie das kurze blitzende Schwert, den Wurfspieß mit der dreikantigen Eisenspitze und den festen Schild erhalten. Aber wie groß ist ihre Enttäuschung, als an Stelle der Schwerter Holzknüppel und an Stelle der Schilde Flechtplatten ausgeladen werden.

„Na, das gefällt euch wohl nicht?" fragt der Zenturio spöttisch. „Die Herren tragen ja schon die Männertoga und schämen sich, Stöcke in der Hand zu halten. Aber ihr müßt zuerst lernen, mit den Knüppeln umzugehen. Hebt sie auf! Merkt ihr, daß sie doppelt so schwer sind wie Schwerter? Nun nehmt die Flechtplatten und dann im Laufschritt zu den Puppen. - Zustechen!"

Der an einem Querbalken hängende Holzklotz tanzt unter den Stößen, als sei er lebendig. Aber der Zenturio runzelt unzufrieden die Stirn, nimmt Publius den Stock aus der Hand und führt einen kurzen schnellen Stoß in Bauchhöhe gegen den Holzklotz, springt zurück und schlägt dann von oben zu.

„Gib die Flechtplatte her!" ruft er. „Während du zustößt, darf kein Teil deines Körpers ungeschützt sein. - So!"

Er schützt sich links mit dem Schild und macht mit der rechten Hand einen neuen Ausfall.

Es ist nicht leicht, ein Krieger zu werden. Was muß man nicht alles können - rennen, über Gräben springen, auf Bäume klettern, Flüsse durchschwimmen, Schwert und Pfeil und Bogen handhaben und vor allem - gehorchen.

Disziplin ist die wichtigste Tugend des römischen Kriegers. Ohne Erlaubnis darf er höchstens atmen, aber auch das ist fraglich, denn er kann jeden Augenblick in den Tod geschickt werden und dabei Atem und Leben verlieren. Ungehorsam wird mit dem Tod bestraft. Jeder Römer kennt die Geschichte des Manlius Torquatus, der seinen siegreichen Sohn wegen eines nichtausgeführten Befehls hinrichten ließ. Und das ist kein Märchen, zur Einschüchterung der Legionäre ersonnen. Jeder höhere römische Beamte wird von mehreren Liktoren begleitet. Das sind Staatsdiener, die ständig ihr Wahrzeichen - die Rutenbündel mit den darin steckenden Beilen - bei sich tragen und an den schuldig Befundenen die Strafen vollziehen. Und wer noch nie der Hinrichtung eines Feiglings oder Disziplinverletzers beigewohnt hat, kennt auf jeden Fall das Pfeifen der Ruten oder trägt die Narben ihrer Schläge auf dem Körper. 

Zu Schiff nach Marseille

Leb wohl, Rom! dachte Publius, als er auf der Landstraße nach der Hafenstadt Ostia davonmarschierte. Wie gern hätte er sich umgesehen und einen Abschiedsblick auf das Kapitol und auf den flachen Palatinischen Hügel geworfen, wo sein Vaterhaus stand! Aber das durfte er nicht, denn es galt als schlechtes Vorzeichen. „Wer sich umblickt, kehrt nicht zurück!" sagten die Alten. Zwar verlachten die griechischen Philosophen, deren Werke Publius gelesen hatte, diesen Aberglauben. Doch was würden die neben ihm marschierenden Legionäre denken, wenn sie sahen, daß er, der Konsulssohn, nach der Stadt zurückblickte? Von ihnen kannte niemand den berühmten griechischen Philosophen Epikur, der jeden Aberglauben in seinen Schriften verspottete, und alle würden nur annehmen, daß er, Publius, die alten Bräuche mißachte. Da war es schon besser, nur in Gedanken von Rom Abschied zu nehmen.

Mittags traf die Truppeneinheit in Ostia ein, einem kleinen Ort, der durch seine Salzsiedereien reich geworden war. Die Straße, die über Rom zu den italischen Provinzen führte, wurde Salzstraße genannt. Zur Zeit konnte man sie auch als Getreidestraße bezeichnen, denn über Ostia rollten die Fuhrwerke mit dem Getreide aus der fruchtbaren Provinz Kampanien nach Rom. Überdies war Ostia Roms Tor zum Meer. Deshalb war Hamilkar auch seinerzeit mit der karthagischen Flotte in Ostia gelandet. Doch Publius glaubte, daß das, was dem Vater gelang, seinem Sohn Hannibal nie gelingen würde. Die Punier, wie die Römer die Karthager nannten, besaßen nur noch wenige Kriegsschiffe, und Hannibal verließ sich ausschließlich auf seine Reiterei und die Elefanten. Das war auch die Meinung des römischen Senats, der die Legion auf dem Seeweg nach Iberien schickte. Sie sollte Hannibals Aufmerksamkeit ablenken, während zur gleichen Zeit die Hauptstreitkräfte der Römer in Afrika, vor den Mauern Karthagos, landen sollten.