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Kaum hat der Wind die schwarze Rauchsäule verweht, da beginnt Hannibal mit dem Übergang über die Rhone. Die Fußsoldaten steigen zu dritt oder zu viert in die am Ufer festgemachten Einbäume. Die Reiter setzen auf Flößen über und halten ihre nebenher schwimmenden Pferde am Zügel fest. Ein Teil der Pferde steht auf den Flößen.

Als die Gallier sehen, daß die Karthager mit dem Übersetzen beginnen, stürzen sie ans Ufer, schütteln die Schilde über dem Kopf und stimmen einen Schlachtgesang an. Ihr Gebrüll verschmilzt mit dem Rauschen des Wassers, das unter den Ruderschlägen aufschäumt, den Rufen der karthagischen Krieger, die vom Ufer aus ihre Kameraden anfeuern, und dem Wiehern der Pferde.

Magons Abteilung schleicht sich von hinten in die feindlichen Stellungen. Die Gallier sehen sich plötzlich zwischen zwei Fronten, sie werden von vorn und von hinten angegriffen. Sie rennen am Ufer entlang bis dorthin, wo Magons Reiter sie nicht mehr verfolgen, und kehren auf dem schnellsten Wege in ihre Dörfer zurück.

Nun können auch die Elefanten übergesetzt werden. Hannibal hat Holzfähren zimmern und sie mit Sand und Rasenstücken bedecken lassen. Diese Fähren sind an Seile gebunden, die ans andere Ufer hinüberreichen.

Mit angehaltenem Atem sehen die Krieger an beiden Ufern zu, wie die Elefanten von den Indern auf die Fähren geführt werden. Sur macht den Anfang. Am Wasser bleibt er stehen und beschnüffelt mit dem Rüssel mißtrauisch den Rand des Floßes.

Als Sur die Fähre betritt, tun die andern Elefanten das gleiche. Die Seile, mit denen die Fähren am Ufer vertäut sind, werden gekappt, die am anderen Ufer stehenden Krieger beginnen am quergespannten Seil zu ziehen, und bald befinden sich die Fähren schon mitten auf dem Fluß.

Einige Elefanten springen vor Angst ins Wasser. Die auf ihrem Rücken sitzenden Treiber ertrinken, aber zu Hannibals größtem Erstaunen schwimmen die Elefanten durch den reißenden Fluß und erreichen unverletzt das andere Ufer.

Während die Elefanten übergeholt werden, hat Hannibal eine aus fünfhundert numidischen Reitern bestehende Abteilung als Spähtrupp stromabwärts geschickt. Schon nach kurzer Zeit stoßen die Numidier auf römische Kavalleristen, die von Konsul Scipio auf Erkundung geschickt worden waren. Nach einem erbitterten Gefecht werden die Numidier in die Flucht geschlagen, und die römischen Kavalleristen nähern sich dem karthagischen Lager auf Sichtweite. Ohne zu ahnen, daß sich der größte Teil des karthagischen Heeres schon auf dem jenseitigen Ufer befindet, machen sie kehrt, um dem Konsul vom Standort des Feindes zu berichten.

Brennend vor Verlangen, den Feind zu stellen, bricht der Konsul mit seinem gesamten Heer auf. Aber wie groß ist sein Erstaunen, als er nach drei Tagen das karthagische Lager erreicht und es verlassen findet. Von den Galliern erfährt er, daß sämtliche Karthager die Rhone überquert haben und in östlicher Richtung weitermarschieren. Erst jetzt wird dem Konsul klar, was Hannibal im Schilde führt. Und er begibt sich auf dem schnellsten Wege nach Marseille zu den Schiffen. 

In den Alpen

Eine Woche zuvor hatten Hannibals Krieger noch im Tal der majestätischen Rhone den Sommer erlebt - das in der Sonne flimmernde Wasser, die grünen Uferwiesen, die sanflblaue Silhouette der Hügel, den warmen Wind, der zärtlich mit den gezackten Ahornblättern spielte.

Doch nun blies der ewige Winter ihnen seinen Eishauch ins Gesicht. Die schneebedeckten Gipfel der Berge verschmolzen mit tiefhängenden, aschgrauen Wolken und wirkten dadurch noch höher und furchteinflößender. Seltsam geformte Felsbrocken sahen wie Märchengestalten aus, die von Hexenmeistern zu Stein verzaubert worden waren. Neben dem Saumpfad gähnten fürchterliche Abgründe, in denen dröhnend die Fluten rauschten. Auf die Menschen der Tiefebene, der Steppe machten die Berge einen unheimlichen Eindruck.

Wenn es böse Geister auf der Erde gibt, dann hausen sie hier! dachten die abergläubischen Krieger und griffen hilfesuchend nach ihren Delphinzähnen, die sie als Amulett an einer Schnur um den Hals trugen.

Als die gallischen Krieger unterwegs ein Dorf durchsuchten, rollten sie mit so lautem Freudengeschrei ein reifenbeschlagenes Faß herbei, als enthielte es reines Gold. Eifrig schlugen sie den Deckel ein, Dukarion tauchte als erster eine Metallkelle hinein und hielt sie Hannibal hin. Sie war mit einer trüben, schäumenden Flüssigkeit gefüllt.

„Trink!" sagte er. „Das ist der Wein des Nordens. Er wird aus Gerste gemacht und Bier genannt."

Hannibal kostete. Die Flüssigkeit hatte einen bitteren Geschmack.

Unglückliche Menschen! dachte er. Die Götter haben ihnen die wundervollen Weinreben vorenthalten, deshalb müssen sie dieses scheußliche Zeug trinken.

„Schau, sie bringen noch etwas!" Magon zeigte auf mehrere Krieger, die einen länglichen weißen Gegenstand herbeischleppten. Es war ein gewaltiger Tierschädel. In den Augenhöhlen hätte ein Menschenfuß Platz gehabt.

„Das ist ja ein Elefant!" rief Magon. „Sieh dir den Stoßzahn an. Ein Elefant in den Alpen. Wie mag der hierhergekommen sein?"

„Das ist nicht der Schädel eines Elefanten, sondern eines Mammuts", erklärte Dukarion lächelnd. „Auch in unserer Gegend gab es einstmals Riesentiere!"

Hannibal stand schweigend daneben. Es grauste ihm vor dem gewaltigen Kopf mit den leeren Augenhöhlen. Was für Überraschungen würden ihm diese wilden Berge noch bringen?

Am selben Tage erreichte das Heer den Fuß eines Steilhanges. Hannibal blickte hinauf. Gewaltige schwarze Felsbrocken hingen über dem Pfad. Mit jedem einzelnen hätte man hundert Krieger zermalmen können. Hinter den Felsbrocken spähten die bärtigen Bergbewohner hervor. Sie wirkten wie starke, gefährliche Raubtiere. Möglicherweise waren es die Einwohner eines ausgeraubten Dorfes oder ihre Nachbarn, die von dem Auftauchen der Fremdlinge aufgescheucht worden waren. Sie saßen in einer unangreifbaren Stellung und konnten dem ganzen Heer den Weg versperren.

Hannibal mußte unbedingt erfahren, was sie im Schilde führten und wie lange sie sich in ihrem Adlerhorst aufhalten würden.

Dukarion meldete sich als Kundschafter. Er schlug einen weiten Bogen um den Berg und schlich in das Lager der Bergbewohner. In der Dunkelheit hielt man ihn für einen Krieger aus dem Nachbardorf, zumal er gallisch sprach. Er erfuhr, daß die Bergbewohner ihre Stellungen über Nacht verließen, sie aber bei Tagesanbruch wieder besetzten.

Das meldete er Hannibal, der in der folgenden Nacht viele Lagerfeuer anzünden ließ, um die Feinde zu täuschen, und gleichzeitig mit seinen besten Kriegern die Stellungen am Steilhang besetzte. Am nächsten Morgen zog das Heer dann ungehindert am Steilhang vorüber. 

Unerwartete Rettung am Paß

In der neunten Nacht erreichte Hannibal, der mit Dukarion und zwei Leibwächtern an der Spitze seines Heeres ritt, endlich den Paß. Finster ragten die Berge empor, vom Mondlicht beschienen. Ihre eisbedeckten Gipfel reckten sich in den Himmel. Hannibal hatte den Eindruck, als wollten sie bis zu den Sternen vorstoßen, wären aber auf halbem Wege erstarrt - stolz, majestätisch, gleichgültig gegenüber allem, was rings um sie geschah.

Wie ein dunkler Strom zog das Heer langsam an den Felsenhängen vorüber und füllte die Schluchten mit Rufen, klatschenden Peitschenhieben, Pferdegewieher. Der scharfe Wind riß erbarmungslos an den Umhängen der Krieger und ließ ihre Gesichter, Hände, Rücken zu Eis erstarren. Die Pferde trotteten trübselig, mit gesenktem Kopf ihres Weges, aus ihren Nüstern drangen weiße Atemwolken.

Hannibal sah dem Aufstieg seines Heeres zu, bis es die verschneite Fläche des Passes erreicht hatte.

Als die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages auf die Straße fielen, die das Heer hinter sich gelassen hatte, sah Hannibal, daß sie von krepierten Pferden und zerbrochenen Fuhrwerken umsäumt war - wie von tönernen Spielsachen, die ein launenhaftes Kind fortgeworfen hat.