Das ging einem Zuhörer nun doch zu weit. „Du willst uns wohl für dumm verkaufen!" schimpfte er. „Gib acht, daß dir keiner den Hals umdreht!"
Erschrocken tauchte der Elefantenfachmann in der Menge unter.
Nachmittags leerte sich der Platz vor den Ställen. Die Gaffer verzogen sich. Die Nußschalen und Kürbiskernhülsen, die sie zurückgelassen hatten, wurden von den Sklaven weggefegt.
Die Inder fütterten die Elefanten und streckten sich dann im Schatten eines Feigenbaums aus, ermüdet von den neuen Eindrücken der fremden Stadt.
Es dämmerte schon, als zwei Karthager und ein neunjähriger Knabe auf die Ställe zugingen. Es waren Hamilkar, der sich in einen langen schwarzen Umhang gehüllt hatte und Hannibal an der Hand führte, und sein Neffe Hasdrubal, ein fünfundzwanzigjähriger Jüngling, der den kurzen roten Überwurf eines Kavalleristen trug und wegen einer grauen Haarsträhne an der linken Schläfe von seinen Verwandten Greis genannt wurde.
„Vater, Vater!" Hannibal zupfte Hamilkar am Ärmel. „Guck mal, was für eine komische lange Nase der Elefant hat."
Hamilkar lächelte traurig.
„Siehst du, Greis", sagte er zu seinem Gefährten, „wie tief die Republik gesunken ist. Meine Söhne haben noch niemals einen Elefanten zu Gesicht bekommen! Dabei waren vor fünf Jahren in unserer Stadt die Elefanten zahlreicher als heutzutage die Maultiere.
Aber wir haben mehr verloren als nur unsere Elefanten!" fuhr er bedrückt fort. „Die Römer nahmen uns die Flotte, sie leerten unsere Staatskasse, raubten die uns gehörenden Inseln. Eines Tages werden sie uns noch zwingen, ihnen die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, den Wein, den wir den Göttern und Ahnen opfern, zu bezahlen."
„Du hast recht, Hamilkar", pflichtete ihm Hasdrubal bei. „Wir leben in schweren Zeiten. Aber beim Sonnengott Melkart! Deine Kinder werden bessere Tage sehen! Ich glaube an die Wiedergeburt der Republik Karthago! Heute hieß sie schon wieder einige Elefanten willkommen, und jeder Karthager weiß, wer sie kaufte. Viele riefen deinen Namen."
„Und du meinst, das sei ein Lohn für meine Wunden, meine Qualen?" Hamilkar lächelte bitter. „Wärst du im Großen Rat gewesen, dann würdest du anders reden, dann hättest du gehört, wie unsere Ratsherren meinem alten Widersacher Hanno Beifall spendeten. Er warf mir vor, daß ich Karthago in eine Monarchie verwandeln und mir die Königskrone aufs Haupt setzen wolle, und verlangte, daß ich das Heer entlasse und mich vor dem Großen Rat verantworte." Hamilkar ballte die Fäuste. „Die Armee soll ich entlassen, die Retterin Karthagos? Und wer ersetzt mir das Silber, mit dem ich die Söldner bezahlte? Wer erstattet mir die Ausgaben für die Elefanten, die ich vom anderen Ende der Welt geholt habe? Etwa Hanno, der für unsere Republik nur schöne Reden übrig hat?"
„Vater!" Der Junge zupfte ihn am Rock.
„Was willst du, Hannibal?" fragte der Feldherr gereizt.
„Was sind das für Leute? Warum sind sie so seltsam gekleidet?"
„Das sind Inder", erwiderte Hamilkar. „Am Rande der Welt, wo der Sonnengott Melkart dem Meer entsteigt, liegt das Land Indien. In seinen Urwäldern gibt es viele Elefanten, die so ähnlich aussehen wie unsere afrikanischen. Die Inder zähmen die Elefanten, machen sie ihrem Willen untertan. Solche Elefanten habe ich den Indern abgekauft."
„Hast du die Treiber auch gekauft?" erkundigte sich der Junge.
„Nein, das sind freie Männer, die ich für ihre Arbeit bezahle."
„Dann befiehl ihnen, daß sie diesen großen Elefanten dazu bringen, sich vor uns zu verneigen."
„Du verlangst viel, mein Sohn." Hamilkar lächelte. „Das sind Kampfelefanten, die brauchen sich nicht zu verneigen. Sie sind darauf abgerichtet, den Feind mit den Hauern zu töten, ihn mit dem Rüssel zu packen, zu Boden zu schleudern und zu zertrampeln."
„Aber weshalb holst du die Elefanten vom Rande der Welt, wenn es bei uns in Afrika auch welche gibt?" forschte der Junge weiter.
Hasdrubal hatte sich bisher nicht in die Unterhaltung zwischen Vater und Sohn gemischt. „Bei den afrikanischen Elefanten ist nur das Elfenbein ihrer Stoßzähne zu verwerten", sagte er jetzt lachend. „Eher schließt der Löwe Freundschaft mit dem Lamm, als daß es gelingt, einen afrikanischen Elefanten zu zähmen."
„Meinst du?" Hamilkar lächelte geheimnisvoll. „Siehst du den alten Treiber dort unter dem Feigenbaum sitzen? Er ist ebensoviel wert wie ein ganzes Heer. Richad heißt er. Sprich einmal mit ihm, er kann sich ganz gut in unserer Sprache verständigen. Richad wird dir sagen, daß es keinen Elefanten gibt, den man nicht zähmen könnte."
Hamilkar verstummte nachdenklich. „Es kommt eine Zeit", fuhr er nach einer Weile fort, „da wirst du einsehen, daß ich recht habe. Karthago wird nicht ohne Bundesgenossen in den Kampf gegen Rom ziehen. Wir haben Afrika mit seinen mächtigen Elefanten, seinen windschnellen Pferden, seinen dunkelhäutigen Reitern und seinen treffsicheren Bogenschützen auf unserer Seite. Doch vorher muß ich Iberien erobern. Elefanten und Pferde können nicht über das Wasser gehen."
Der Schwur
Hannibal wartete von früh bis spät. Schon am Morgen lief er hinaus zur Straße nach Karthago, an der das Landgut seines Vaters lag, und stellte sich an den Straßenrand. An ihm vorüber rollten Fuhrwerke, gezogen von wohlgenährten Maultieren, beladen mit Früchten, mit goldenem Getreide oder mit Tongefäßen, die man Amphoren nannte und die Wein oder Öl enthielten. Auf der Straße liefen paarweise oder zu vieren aneinandergeschmiedet dunkel- oder hellhäutige Sklaven, die von den Besitzern der umliegenden Landgüter auf dem Markt am Hafen gekauft worden waren. Sie wurden bewacht von berittenen Posten, die kurze dunkelblaue Umhänge und schwarze Filzhüte trugen.
Aber der Vater ließ sich nicht sehen.
Ob er sein Versprechen vergessen hat, mich nach Iberien mitzunehmen? dachte Hannibal unglücklich. Iberien! Welch aufregendes Wort! Es klingt nach dem Silber, das es dort in großen Mengen gibt, und nach den Wellen, die gegen die felsige Küste branden. Iberien! Das klingt nach Drachen und Riesen, die sonst nur in Märchen vorkommen.
Der bevorstehende Feldzug nach Iberien beschäftigte nicht nur Hannibals Gedanken. Auch sein Vater Hamilkar dachte ständig an dieses Land, obgleich sein Schicksal eher mit Sizilien verbunden war. Damals, als die karthagische Flotte eine demütigende Niederlage nach der anderen erlitt, war Hamilkar über Nacht berühmt geworden, weil er von den Höhen des sizilianischen Berges Eryx kühne Überfälle auf die feindlichen Truppen unternommen und die angeblich unbesiegbaren römischen Legionen in die Flucht gejagt hatte. Daß Karthago Sizilien dann trotzdem verlor, war nicht die Schuld Hamilkars, sondern der karthagischen Flotte gewesen, denn sie hatte die Schlacht bei den Aegatischen Inseln verloren. Aus all diesen Gründen glaubten viele Karthager, daß Hamilkar nichts anderes im Sinne hätte, als die fruchtbare Insel Sizilien zurückzuerobern.
Doch statt dessen rüstete er zu einem Feldzug nach Iberien. Das begriff keiner. War das etwa Feigheit oder gar Verrat?
Nach vielen Tagen, als Hannibal schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, holte der Vater ihn doch noch ab. Atemlos vor Freude und Eile nahm Hannibal Abschied von den Brüdern und kletterte auf den Wagen. Dumpf ratterten die Räder: „Auf in den Kampf! Auf in den Kampf!" Die Fußgänger sprangen zur Seite, um nicht von dem dahinrasenden Wagen überfahren zu werden.
Aber als Hannibal den Vater näher betrachtete, schwand seine freudige Erregung. Hamilkar machte ein ebenso finsteres Gesicht wie damals, als Hannibal mit seinen Brüdern Römer und Karthager gespielt hatte. Und auch diesmal begriff der Junge ihn nicht. Zog der Vater denn nicht gern in den iberischen Feldzug?