Plötzlich kam Hannibal ein Gedanke.
Ob diese Sophonisbe vielleicht in der Lage ist, den Numidier an Karthago zu binden, ihn ebenso zu zähmen wie Richad seine Elefanten? „Laß den Kopf nicht hängen, Masinissa", sagte er. „Du hast unüberlegt gehandelt, aber ich will zu Sophonisbes Vater gehen und ihm erklären, daß es nicht in deiner Absicht lag, ihn zu beleidigen, und daß du es nur aus Unkenntnis unserer Bräuche getan hast. Wenn er ein kluger Mann ist, wird er es nicht ablehnen, mit einem numidischen König in verwandtschaftliche Beziehungen zu treten!"
„Ich bin kein König!" rief Masinissa.
„Aber du kannst eines Tages ein König werden. - In Karthago gibt es einen Brauch, den man Verlöbnis nennt."
„Verlöbnis?" wiederholte Masinissa.
„Ja, Braut und Bräutigam verloben sich im Tempel, indem sie dort Geschenke austauschen, und heiraten erst mehrere Jahre später. Ich will versuchen, von Sophonisbes Vater die Einwilligung zu einem Verlöbnis zu erhalten unter der Voraussetzung, daß die Hochzeit erst dann stattfindet, wenn du den Thron deines Vaters bestiegen hast."
„Jetzt beginne ich zu begreifen, warum der Alte so böse auf mich war", sagte Masinissa leise. „Als ich ihn um die Hand seiner Tochter bat und er antwortete, ich sei noch zu jung für die Ehe und seiner Tochter nicht würdig, da zog ich den Dolch und forderte ihn zum Zweikampf heraus. Aber er befahl seinen Dienern, mich hinauszuwerfen."
„Du hast deinen künftigen Schwiegervater zum Zweikampf herausgefordert?" Hannibal brach in schallendes Gelächter aus. „Bestimmt hast du ihn zu Tode erschreckt. - Überlaß die Sache mir. Du mußt nur herausfinden, wie Sophonisbes Vater heißt und wo sein Haus steht."
„Dort." Der Numidier zeigte auf Magara, den schönsten Teil der Stadt. „Siehst du die weißen Türme zwischen den blühenden Bäumen rechts vom Teich?"
Hannibal unterdrückte einen Aufschrei. Das war der Besitz Hannos, der Palast, dessen Bau nach Hamilkars Meinung der Republik großes Unheil zugefügt hatte. Denn während Hamilkar in Sizilien gegen die Römer kämpfte, hatte Hanno Karthagos afrikanische Besitzungen verwaltet, durch unerhörte Greueltaten, durch Raub und Mord dort viele Reichtümer zusammengerafft und sie zum Bau dieses Hauses verwendet, das die Paläste orientalischer Herrscher an Pracht noch übertraf. Es war nur verständlich gewesen, daß sich die ausgeplünderten Afrikaner den meuternden Söldnern angeschlossen hatten.
„Du warst bei Hanno!" sagte Hannibal finster. „Wer konnte annehmen, daß dich die Göttin Tanit ausgerechnet zu diesem Menschen führte." „Kennst du Hanno?" forschte Masinissa. Er merkte gar nicht, wie verstört Hannibal war.
„In unserer Stadt kennt jedermann Hannos Namen, obgleich nur wenige die Ehre haben, seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Er kämpfte zusammen mit meinem Vater gegen die meuternden Söldner und übte häufig das Amt eines Suffeten aus, wie die beiden höchsten Beamten unserer Stadt genannt werden. Er ist der einflußreichste, wohlhabendste Mann von Karthago."
„Eure Väter haben zusammen gekämpft!" rief Masinissa erfreut. Alles andere von Hannibals Bericht war ihm gleichgültig. „Dann wird Hanno auf dich hören. Geh nur gleich zu ihm und sage, daß ich ein Königssohn bin und ein Verlöbnis wünsche."
Hannibal wurde unruhig. Er hätte dem jungen Numidier erklären können, daß Hamilkars und Hannos gemeinsamer Kampf gegen die Meuterer sie nicht zu Freunden gemacht, sondern im Gegenteil eine Kluft zwischen ihnen aufgerissen hatte, die noch tiefer war als jene, in die man nach karthagischem Brauch die zum Tode Verurteilten warf. Jeder der beiden Feldherrn schrieb die Siege in diesem Krieg sich selbst und die Niederlagen dem anderen zu. Doch wenn Masinissa begriff, daß er, Hannibal, nicht in der Lage war, ihm zu helfen, würde er dann auch keine Unbesonnenheit begehen?
„Sage ihm", fuhr Masinissa fort, „daß es nicht meine Absicht war, ihn zu kränken, und daß er die Sklaven nicht bestrafen soll, denn sie haben keine Schuld."
„Ich fürchte, daß ich nichts für dich tun kann, Masinissa", stieß Hannibal nach langer Pause hervor. „Es ist durchaus möglich, daß Hanno mich ebenfalls hinauswirft. Er verabscheut jeden Rat und will seine Tochter nach seinem eigenen Willen verheiraten. Überdies paßt Sophonisbe wirklich nicht zu dir. Gibt es in deinem Stamm keine schönen Mädchen?"
Der Numidier starrte Hannibal wortlos an. Er konnte nicht begreifen, was mit seinem neuen Freund geschehen war. Eben erst hatte er ihm angeboten, zu Sophonisbes Vater zu gehen, und nun versagte er ihm die Hilfe. Also war das, was seine Stammesgenossen über die Karthager sagten, keine Lüge, keine Verleumdung. Gewissenlos betrogen sie ihren Gast, ließen ihn in seinem Unglück allein! Und Hannibal machte keine Ausnahme!
Masinissa drehte sich um und rannte auf den Hof, wo sein Pferd stand und sich nach der weiten Steppe sehnte.
Was habe ich getan! dachte Hannibal verzweifelt. Masinissa ist eigensinnig, er wird seinen Willen durchsetzen und Hannos Schwiegersohn werden. Wie zornig wird der Vater sein! Schlecht habe ich seinen Auftrag erfüllt.
In Hannos Palast
Sophonisbe saß im Innenhof des Hauses, um dessen Marmorsäulen sich Weinreben und Efeu rankten. Die Luft war erfüllt vom Duft blühender Mandel- und Apfelbäume.
Als sie schnelle Schritte hörte, blickte sie auf. Auf dem mit rosigen und weißen Blütenblättern bestreuten Weg näherte sich der Vater. An seinem ungeduldigen Gesichtsausdruck erkannte sie, daß er eine Neuigkeit hatte.
„Weißt du, Töchterchen, wer der freche Bengel war, den ich zum Tor hinauswerfen ließ?" fragte er atemlos.
Sophonisbe ließ ihre Handarbeit sinken. Sie war dabei, auf den dicken grünen Stoff einen Leoparden zu sticken, der durch das Röhricht schleicht.
„Es war der Sohn des numidischen Königs Gula!" fuhr Hanno fort.
„Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich sanfter mit ihm umgegangen.
Aber schließlich stand es ihm nicht im Gesicht geschrieben, daß er ein Königssohn ist. Und was für eine Frechheit, mit dem Dolch vor meiner Nase herumzufuchteln!"
Sophonisbe stieg das Blut in das weiße Gesicht. Sie senkte den Kopf, die langen Wimpern beschatteten ihre Augen.
Als Hanno ihre Verwirrung sah, brach er in so fröhliches Gelächter aus, daß sein Spitzbart wackelte. „Einen hübschen Anblick würdest du als numidische Königin bieten!" spottete er. „Umringt von barfüßigen Hofdamen, die mit bemalten Straußeneiern geschmückt sind, und in einer Hauptstadt, die aus zwanzig Nomadenzelten besteht!"
Sophonisbe senkte den Kopf noch tiefer.
„Du brauchst keine Angst zu haben, Liebling", sagte ihr Vater zärtlich.
„Ich bin nicht Hamilkar, der seine einzige Tochter mit Gulas Bruder verheiratete und sie am Tage der Hochzeit verlor. Du wirst niemals einen Ungebildeten zum Manne nehmen und das Haus verlassen müssen, in dem du zur Welt kamst und aufgewachsen bist. Zeige mir deine Stickerei, Mädchen. Was soll das werden? Ein Leopard?"
„Ja, Vater. Aber ich habe noch niemals einen lebendigen Leoparden und das Röhricht gesehen. Ich war noch niemals dort, wo Masinissa zur Welt kam. Wie schön er von seiner Heimat spricht."
„Du hast noch keinen lebendigen Leoparden gesehen?" fiel ihr Hanno ins Wort. „Ich werde sofort den schönsten Leoparden in einem festen Käfig aus dem Tierzwinger holen lassen. Den Käfig stellen wir dann hier im Innenhof auf."
„Ich will keinen Leoparden im Käfig!" Sophonisbe warf ihre Stickerei zu Boden. „Ich werde nur noch Schwäne sticken, schwarze Schwäne. Erinnerst du dich, daß du mir zum Zeitvertreib einen Käfig mit einem Löwen herbringen ließest, als ich krank war. In der Nacht erwachte ich von entsetzlichen Schreien. Du hattest in deinem Zorn die Negersklavin Gela in den Löwenkäfig werfen lassen. Wessen sie sich schuldig gemacht hatte, weiß ich noch immer nicht. Aber ich will niemals mehr einen Raubtierkäfig im Hause haben."