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Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Sie spürte seine Nähe und dachte daran, wieviel Trost diese ihr in ihrer Kindheit gebracht hatte.

»Garth«, flüsterte sie verzweifelt und spürte, wie sich seine großen Hände hoben und sich über ihre legten.

Dann stieß sie das lange Messer hinein.

28

Wren flüchtete. Sie rannte von der Lichtung unter die Bäume, taub vor Kummer, halb blind vor Tränen, den Ruhkstab mit beiden Händen fest vor sich haltend wie einen Schild. Sie lief durch die Schatten und das Halblicht des frühen Morgens auf der Insel, beachtete weder das entfernte Rumpeln des Killeshan noch das Erzittern, mit dem Morrowindl antwortete. Sie war verloren für alles. Es gab nichts als die Notwendigkeit, der Zeit und dem Ort von Garths Tod zu entkommen, obwohl sie wußte, daß sie der Erinnerung daran niemals entkommen könnte. Sie zog mit unbesonnener Blindheit an Gestrüpp und Zweigen vorbei, rannte durch hohe Gräser und Dornensträucher und an Erdwällen vorbei, die mit Lavagestein überzogen waren, sie stolperte über totes Holz und verstreute Trümmer. Sie spürte nichts davon. Es war nicht ihr Körper, der flüchtete, es war ihr Geist.

Garth!

Sie rief ihn immer wieder und jagte ihren Erinnerungen an ihn hinterher, als könnte sie ihn wieder zum Leben erwecken, wenn sie nur eine davon eingefangen hätte. Sie sah ihn geisterhaft und trügerisch davoneilen. Bruchstücke von ihm erschienen und verblaßten wieder in der Luft vor ihr, verschwommene und ferne Bilder von vergangenen Zeiten. Sie sah sich selbst hinter ihm herjagen, wie sie es so oft getan hatten, wenn sie Jäger und Beute gespielt hatten, wenn sie die Lektionen des Überlebens erarbeitet hatten. Sie sah sich selbst an jenem letzten Tag im Tirfing, bevor Cogline erschienen war und sich alles für immer verändert hatte. Damals war sie die Ufer des Myrian entlanggegangen und hatte nach Zeichen gesucht. Sie sah, wie er sich aus den Bäumen herabgeschwungen hatte, groß, lautlos und schnell. Sie spürte wieder, wie er sie ergriff, spürte sich davongleiten, spürte ihr langes Messer sich erheben und herabsinken. Sie hörte sich lachen. Du bist tot, Garth.

Und jetzt war er es wirklich.

Irgendwie – sie wußte später nie, wie das geschah – stolperte sie über die anderen Überlebenden des kleinen Trupps, Triss, den letzten der Elfen, den letzten außer ihr, und Stresa und Faun. Sie taumelte in sie hinein, wandte sich ärgerlich ab, als seien sie ein Hindernis, und lief weiter. Sie folgten ihr natürlich, rannten, um sie einzuholen, riefen sie drängend und fragten, was nicht stimmte, was passiert sei, wo Garth bleibe.

Fort, sagte sie und schüttelte den Kopf. Er käme nicht mit.

Aber es sei in Ordnung. Es sei so das beste.

Er sei jetzt in Sicherheit.

Noch im Lauf hörte sie Triss erneut fragen: Was stimmt nicht?

Und Stresa antwortete: Hsssttt, kannst du es nicht sehen? Worte wurden verstohlen geflüstert, Beobachtungen untereinander ausgetauscht, aber sie erfaßte ihre Bedeutung nicht und machte sich gar nicht erst die Mühe. Faun sprang vom Weg auf ihren Arm und hängte sich besitzergreifend an sie, aber sie schüttelte den Baumschreier schroff ab. Sie wollte nicht angefaßt werden. Sie konnte es kaum ertragen, in ihrer eigenen Haut zu stecken.

Sie rannte unter den Bäumen weiter.

»Hoheit!« hörte sie Triss hinter sich rufen.

Später stolperte sie einen Lavahang hinauf, krallte und grub sich in den scharfen Fels und spürte, wie er in ihre Hände und Knie einschnitt. Ihr Atem drang schwer keuchend aus ihrer Kehle, und sie hustete und erstickte fast an Worten, die nicht kommen wollten. Der Ruhkstab fiel ihr aus den Händen, und sie ließ ihn zurück. Sie schloß alles aus und ließ hinter sich, wer und was sie war. Sie empfand nur noch Widerwillen bei dem Gedanken daran, wollte nur noch fliehen, entkommen und laufen, bis sie nirgends mehr hingehen könnte.

Als sie schließlich zusammenbrach und erschöpft flach auf dem Hang liegen blieb, war es Triss, der als erster bei ihr war, der sie in die Arme nahm, als sei sie ein Kind, der sie mit Worten und kleinen Berührungen beruhigte und ihr den Trost gab, den sie brauchte. Er half ihr auf die Füße, wandte sie um und brachte sie den Hang wieder hinunter zum Wald. Den Ruhkstab hielt er in einem Arm und mit dem anderen stützte er sie, und so führte er sie durch die Morgenstunden wie ein Schäfer ein verirrtes Lamm. Er forderte nichts von ihr, außer, daß sie einen Fuß vor den anderen setzte und mit ihm weiterging. Stresa übernahm die Führung, an seine wuchtige Gestalt konnte sie sich halten. Sie wußte, daß sie sich auf ihn konzentrieren sollte, auf dies sich ständig verändernde Objekt, auf das sie sich jetzt zubewegte. Erst einen Fuß, dann den anderen, immer wieder. Faun machte einen weiteren Versuch, ihr Bein hinauf und auf ihren Arm zu klettern, und dieses Mal hieß sie ihn willkommen, drückte den Baumschreier an sich und genoß die Wärme und Weichheit der kleinen Kreatur.

So wanderten sie den ganzen Tag, Gefährten auf einer Reise, die Worte überflüssig machte. Bei den wenigen Malen, wo sie anhielten, um sich auszuruhen, nahm Wren das Wasser, das Triss ihr zu trinken gab, und die Früchte, die er ihr in die Hand legte, an, ohne zu fragen, woher sie kamen oder ob es sicher sei, sie zu essen. Das Tageslicht verdunkelte sich, als sich Wolken von Horizont zu Horizont zusammenballten, als der Vog sich darunter verdichtete. Der Killeshan wütete hinter ihnen. Feuer und Asche und Rauch wurden in langen Geysiren himmelwärts gespien, ohne daß sie noch auf Hindernisse gestoßen wären. Der Geruch von Schwefel lag schwer in der Luft, und die Insel schüttelte und wiegte sich. Als die Dunkelheit schließlich herabsank, war der Rand der Berge in einen blutroten Kranz gehüllt, der bei jedem Ausbruch erneut aufflammte und Feuerranken bis auf die fernen Hänge hinabsandte, von wo die Lava zum Meer floß. Geröll knirschte und wurde zerrieben, während es von dem geschmolzenen Felsgestein fortgetragen wurde, und Bäume loderten mit jäh prasselnder Verzweiflung auf. Der Wind erstarb vollständig, Dunst setzte sich über allem fest, und die Insel wurde zu einem Käfig, den Feuer umschloß und dessen Bewohner in erschreckter, ängstlicher Verwirrung gegeneinander prallten.

Stresa brachte sie in dieser Nacht inmitten eines Hains aus zähen, fast unbelaubten Eisenbäumen in einer Felsspalte unter, die von drei Seiten geschützt war. Sie kauerten sich in der Dunkelheit mit den Rücken an die Wand und beobachteten, wie der Feuersturm immer heftiger wurde. Sie waren noch immer einen Tag vom Strand entfernt, einen Tag von einem möglichen Treffen mit Tiger Ty entfernt, und der Untergang der Insel stand unmittelbar bevor. Wren fand soweit zu sich selbst zurück, daß sie die Gefahr erkannte, in der sie sich befanden. Während sie an einem Becher Wasser nippte, den Triss ihr gegeben hatte, und auf den Klang seiner Stimme lauschte, während er leise weitersprach, um ihr Sicherheit zu vermitteln, erinnerte sie sich an das, was sie zu tun hatte, und daran, daß nur Tiger Ty allein ihr dabei helfen konnte.

»Triss«, sagte sie schließlich überraschend und sah ihn zum ersten Mal wieder an und nannte seinen Namen. Daß sie ihn erkannte, ließ ihn erleichtert lächeln.

Kurz danach erschienen die Dämonen, die Schattenwesen von Morrowindl. Es waren die ersten, die dem Feuerfluß des Killeshan entkommen waren, die von den Hügeln hinab zum Strand geflüchtet, verloren und verwirrt waren und alles töten wollten, was ihnen in den Weg kam. Sie stolperten aus der feurigen Dämmerung, ein Trupp abgerissener mißgebildeter Horrorgestalten, und griffen ohne jedes Zögern an, ihrem Instinkt und ihrem eigenen, seltsamen Wahnsinn folgend. Stresa hörte sie kommen, denn seine scharfen Ohren nahmen das Geräusch ihrer Gegenwart wahr, und er warnte die anderen Sekunden vor dem Angriff. Triss begegnete dem Ansturm mit gezogenem Schwert, widerstand ihm und schlug sie beinahe zurück. Er war den Wesen fast ebenbürtig, auch mit nur einem intakten Arm. Aber die Dämonen waren jenseits von Angst und Vernunft, aus ihrem Hochland vertrieben von etwas, das sie nicht verstanden. Diese Menschen waren für sie keine große Bedrohung. Sie sammelten sich daher und griffen erneut an. Sie waren entschlossen, sich an allem zu rächen, was erreichbar war.