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Niemand sagte etwas. Unsicherheit schimmerte in ihren Augen und verriet ihre Verwirrung. Faun kam zu ihr und zog ängstlich an ihrem Bein.

»Nein, Kleiner«, sagte sie. Sie winkte den anderen. »Geht mit mir.«

Sie gingen über den Carolan – das Mädchen, der Elf, der Flugreiter, sein Rock und die zwei Geschöpfe von Morrowindl – und ihre Schatten folgten ihnen im Staub. Vogelgesang erhob sich aus den Bäumen und dem Felsgestein, als die Dunkelheit herniedersank, und der Gesang des Rill schäumte beständig unter ihnen.

Als sie den Rand der Klippe erreichten, wandte Wren sich um, trat dann mehrere Schritte zur Seite, so daß sie die anderen hinter sich ließ. Sie stand wieder mit Blickrichtung auf den gegenüberliegenden Fels und den Wald und schaute zurück in die Nacht, die sie umschloß. Über den Bäumen kamen Sterne hervor, helle Punkte vor der tiefer werdenden Dunkelheit. Wrens Hände legten sich fester um den Ruhkstab. Sie hatte diesen Moment seit Tagen erwartet, und jetzt, wo es soweit war, stellte sie fest, daß sie weder ängstlich noch aufgeregt, sondern lediglich erschöpft war. Einst hatte sie sich gefragt, ob sie in der Lage sein würde, die Magie des Loden anzurufen, wenn es an der Zeit wäre – wie sie sich entscheiden würde, wie sie sich fühlen würde. Sie hatte sich dies ohne Grund gefragt, dachte sie. Sie verspürte jetzt kein Zögern. Vielleicht hatte sie das schon immer gewußt. Oder vielleicht hatten sich alle Fragen im Laufe der Zeit von selbst gelöst. Es war auf jeden Fall nicht wichtig. Sie war im Frieden mit sich selbst. Sie wußte sogar, wie die Magie wirkte, obwohl ihre Großmutter es ihr nie erklärt hatte. Weil es nicht notwendig gewesen war? Weil es instinktiv geschah? Wren war sich nicht sicher. Es war genug, daß die Magie von ihr angerufen werden konnte und daß sie sich entschieden hatte, dies auch zu tun.

Sie atmete die warme Luft ein, als sauge sie das verblassende Licht auf. Sie lauschte auf den Klang ihres Herzens.

Dann stieß sie den Ruhkstab in die Erde, drehte ihn in ihren Händen und versenkte ihn in den Boden. Erdenmagie, hatte Eowen ihr gesagt. Alle Elfenmagie war Erdenmagie, ihre Macht wurde aus den Elementen in ihr gezogen. Was von dort kam, mußte notwendigerweise auch wieder an sie zurückgegeben werden.

Ihr Blick konzentrierte sich auf die schimmernden Facetten des Loden. Die Welt um sie herum wurde ruhig und still.

Ihre Hände lockerten den Griff um den Stab, ihre Finger lagen federleicht auf dem knorrigen, polierten Holz wie die Liebkosung einer Liebenden. Sie mußte sie nur anrufen, wie sie wußte. Es nur denken, nicht mehr. Es nur wollen. Einfach ihren Geist ihrer Existenz öffnen, ihrem Leben jenseits der Beschränkungen des Steins. Erwäge es nicht, stelle es nicht in Frage. Rufe sie an. Bring sie zurück. Bitte um sie.

Ja.

Ich tue es.

Der Loden flammte hell auf wie eine Quelle weißen Lichts, das aus der Dunkelheit hervorsprang wie Feuer und sich dann mit blendender Helligkeit aufbaute. Wren fühlte den Ruhkstab in ihren Händen erzittern und heiß werden. Sie festigte ihren Griff darum, ihre Augen blinzelten gegen die Helligkeit an und senkten sich dann in die Schatten. Das Licht erhob sich und begann sich auszubreiten. Umrisse und Bewegung waren darin zu sehen. Und plötzlich kam Wind auf, ein Wind, der aus dem Nichts zu kommen schien, der über den Fels peitschte, das Licht mit sich riß und es über die kahle Ebene zu den Bäumen und Felsen trug und wieder zurück und es von einem Ende zum anderen verbreitete. Der Wind brüllte, und doch fehlte es ihm an Kraft und Wirkung, während er vorbeirauschte, ganz Klang und Helligkeit, während er das Licht verschlang.

Wren versuchte zu ihren Begleitern zurückzuschauen, um sich zu versichern, daß sie in Sicherheit waren, daß die Magie ihnen keinen Schaden zugefügt hatte, aber sie konnte ihren Kopf anscheinend nicht drehen. Ihre Hände waren jetzt fest um den Ruhkstab geklammen, und sie wurde damit verbunden, in seine Wirkung verstrickt, ihm allein übergeben.

Das Licht füllte die Felsenebene jetzt vollständig aus, baute sich auf sich selbst auf, erhob sich, bis die Bäume und die Klippen, die sie umgeben hatten, gänzlich verschwunden waren, bis der Himmel sich darunter gemischt hatte und alles silbern angehaucht war. Es gab ein Geräusch, wie ein Aufreißen der Erde und der Felsen, und dann ließ sich etwas Schweres nieder. Durch ihre Lider konnte sie die Umrisse im Licht groß werden und Gestalt als Gebäude und Bäume, Straßen und Wege annehmen sehen. Wiesen und Parks erschienen. Arborlon entstand erneut. Sie beobachtete, wie es sich materialisierte, als sehe sie es verschwommen und unbestimmt von einem regennassen Fenster aus. In seiner Mitte stand der Ellcrys, wie ein silbern und scharlachrot glühender Bogen im Nebel. Sie spürte, wie ihre Kraft nachließ, wie die Macht der Magie sie zu ihrem eigenen Gebrauch von ihr nahm, und sie bemerkte, daß es sie Mühe kostete, aufrecht stehen zu bleiben. Weißes Licht wirbelte umher und drehte sich wie Wolken vor einem Sturm. Es nahm an Kraft zu, bis es schien, als müsse es mit brüllendem Donner über allem explodieren.

Dann begann es zu verblassen und in die Dunkelheit zurückzusickern wie Wasser in den Sand.

Es war vorbei. Wren wußte es. Sie konnte Arborlon im Dunst erkennen, konnte die Leute ausmachen, die in Gruppen am Rande der Helligkeit standen und zu erkennen versuchten, was außerhalb lag. Sie hatte getan, um was ihre Großmutter sie gebeten hatte, um was Allanon sie gebeten hatte, und hatte all das ausgeführt, womit sie von anderen beauftragt worden war – aber noch nicht das, was sie sich selbst aufgetragen hatte. Denn es würde niemals genug sein, die Elfen und ihre Stadt einfach dem Westland zurückzugeben. Es würde niemals genug sein, sie den Vier Ländern zurückzugeben, ein Volk, das aus dem selbstauferlegten Exil zurückgekehrt war. Nicht nach der Zeit auf Morrowindl. Nicht, solange sie die Wahrheit über die Schattenwesen kannte. Nicht, solange sie mit dem Entsetzen der Möglichkeit lebte, daß die Magie erneut mißbraucht werden könnte. Die Leben der Elfen waren ihr unter anderen Bedingungen anvertraut worden, doch sie würde sie ihnen zu ihren eigenen Bedingungen zurückgeben.

Sie legte ihre Hände fest um den Ruhkstab und sandte, was von seiner Magie geblieben war, hoch hinauf in das Licht, so daß sie sich in die Erde brannte, alles, was davon übriggeblieben war, alles, was jemals sein konnte. Sie leitete die Magie in einen letzten Zornesausbruch, der ein Feuerprasseln explodierend durch die schimmernde Luft sandte. Sie schoß hinaus wie ein Blitz. Es hörte nicht auf. Wren gab alles, leerte den Stab und den Stein, leitete die Macht fort wie totes Holz in einem Feuer, bis die Reste davon schließlich ein letztes Mal aufflackerten und erstarben.

Die Dunkelheit kehrte zurück. Dunst hing kurze Zeit in der Nachtluft, verteilte sich zu Staubteilchen und begann sich niederzulassen. Sie folgte den Wirbeln mit dem Blick, sah jetzt Gras unter ihren Füßen, wo vorher kein Gras gewesen war, roch die Düfte der Bäume und Blumen, von Essen auf dem Feuer, von Holz und Eisen und von Leben. Sie schaute an der dunklen Linie des Ruhkstabes vorbei zur Stadt, zu Arborlon, das zurückgekehrt war, zu erleuchteten Gebäuden, Straßen und Alleen, die sich in der Länge und der Breite ausstreckten wie dunkle Bänder.

Und ihr Volk, die Elfen, stand vor ihr, Tausende von ihnen waren am Rande der Stadt versammelt und schauten mit großen Augen und wunderten sich. Elfenjäger standen mit gezogenen Waffen in vorderster Front. Sie stand ihnen gegenüber, sah ihre Augen, die auf sie gerichtet waren, sah auf den Stab in ihrer Hand. Sie war sich des ungläubigen Gemurmels von Tiger Ty bewußt, war sich bewußt, daß Triss herankam und sich neben sie stellte, war sich der Gegenwart von Stresa und Faun bewußt. Sie konnte ihre Hitze an ihrem Rücken spüren, kleine Berührungen, die auf ihrer Haut züngelten.