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»Ich muß es«, antwortete sie ruhig.

»Aber Ihr seid einfach... Ihr seid nur...« sprudelte er los, anscheinend unfähig, den Gedanken zu Ende zu bringen. Sie wußte, was er sagen wollte, und es gefiel ihr nicht. »Ich bin stärker, als Ihr denkt«, sagte sie zu ihm. Ihre Stimme hatte jetzt einen harten Unterton. »Ich habe keine Angst.«

Tiger Ty sah sie lange und streng an, sah dann kurz zu Garth hinüber und warf die Hände in die Luft. »Also gut!« Er warf ihr einen wütenden Blick zu. »Ich werde Euch hinbringen! Nur bis zum Strand, versteht Ihr, denn im Gegensatz zu Euch habe ich Angst und bin dagegen, meinen oder Spirits Hals zu riskieren, nur um Eure Neugier zu befriedigen!«

Sie begegnete seinem Blick gelassen. »Dies hat nichts damit zu tun, daß ich meine Neugier befriedigen will, Tiger Ty. Das wißt Ihr.«

Er kauerte sich vor sie hin, sein sonnengebräuntes Gesicht nur Zentimeter von ihrem eigenen entfernt. »Vielleicht. Aber hört zu. Versprecht mir, daß Ihr das Ganze noch einmal überdenkt, sobald Ihr seht, womit Ihr es zu tun habt. Denn trotz der Tatsache, daß Euch ein wenig gesunder Menschenverstand fehlt, mag ich Euch, und ich würde nicht gerne zusehen, wenn Euch etwas Schreckliches passiert. Es wird nicht so kommen, wie Ihr denkt. Das werdet Ihr bald genug merken. Also versprecht mir das. Einverstanden?«

Wren nickte bedächtig. »Einverstanden.«

Tiger Ty erhob sich, die Hände auf den Hüften, unverändert herausfordernd. »Dann kommt«, murrte er. »Wir wollen es hinter uns bringen.«

5

Tiger Ty wollte rasch fortkommen, aber er mußte fast eine Stunde warten, während Wren und Garth ins Tal zurückgingen, um ihre Ausrüstung und die Waffen einzusammeln, die sie auf ihrer Reise mit sich nehmen wollten, und ihre Pferde zu versorgen. Die Pferde waren angepflockt, aber Garth ließ sie jetzt frei, so daß sie ungehindert grasen und trinken konnten. Das Tal bot genug Gras und Wasser zum Überleben, und die Pferde waren darauf abgerichtet, nicht fortzulaufen. Wren sah ihre Vorräte durch und wählte aus, was sie brauchen würden und tragen konnten. Die meisten der Vorräte waren zu unhandlich, und sie versteckte sie für ihre Rückkehr.

Wenn sie überhaupt zurückkehren würden, dachte sie düster.

Was hatte sie getan? Ihre Gedanken drehten sich wirbelnd, so ungeheuer war die Verpflichtung, die sie da gerade einging, und das veranlaßte sie, sich zu fragen, wenn auch nur in ihren geheimsten Gedanken, ob sie wohl Grund dazu haben würde, ihr Ungestüm zu bedauern.

Als sie wieder oben auf den Klippen anlangten, wartete Tiger Ty bereits ungeduldig. Er befahl Spirit, sich aufzustellen, und half Wren und Garth, auf den Riesenvogel zu klettern und sich mit den Riemen des Harnischs auf ihren Plätzen festzubinden. Es gab Fußschlaufen, verknotete Handgriffe und einen Taillengurt. Das alles diente dazu, sie auf ihrem Platz zu halten. Der Flugreiter verbrachte einige Zeit damit, ihnen zu erklären, wie der Rock beim Flug reagieren würde und wie sie sich beim Fliegen fühlen würden. Er gab jedem von ihnen ein Stück einer bitteren Wurzel zum Kauen und erklärte ihnen, daß sie dadurch keine Übelkeit verspüren würden.

»Nicht, daß zwei so erfahrene, mit dem Leben der Fahrenden vertraute Veteranen durch derlei Dinge zu beunruhigen wären«, spottete er und brachte ein Grinsen zustande, das noch schlimmer war als sein Stirnrunzeln.

Er kletterte auch auf den Rock und machte es sich vor ihnen bequem, zog seine schweren Handschuhe an, stieß ohne Vorwarnung einen Schrei aus und schlug Spirit auf den Hals. Der Riesenvogel kreischte zur Erwiderung, breitete seine Flügel aus und erhob sich in die Lüfte. Sie überflogen den Rand der Klippen, tauchten scharf abwärts, nutzten eine Luftströmung und erhoben sich himmelwärts. Wren spürte ihren Magen schlingern. Sie schloß die Augen, als er ihr zu schaffen machte, öffnete sie aber bald wieder und wurde sich bewußt, daß Tiger Ty sie über seine Schulter hinweg ansah und kicherte. Sie lächelte tapfer zurück. Spirit schwebte im Gleitflug über die Blaue Spalte, seine Flügel bewegten sich kaum und er überließ alles dem Wind. Die Küstenlinie hinter ihnen wurde klein und verlor schnell ihre Konturen. Bald war sie nicht mehr als eine dünne, dunkle Linie vor dem Horizont.

Die Zeit verrann. Sie sahen nichts unter sich außer verstreute, felsige Eilande und gelegentlich das Aufplatschen eines großen Fisches. Seevögel wirbelten umher und tauchten als kleine weiße Blitze durch die Luft, und Wolken zogen wie Streifen Gaze über den westlichen Horizont. Der Ozean erstreckte sich endlos, eine weite blaue Oberfläche, die mit Streifen schäumender, ewig in Richtung entfernter Strande rollender Wellenkämme besetzt war. Nach einiger Zeit verlor Wren ihr anfängliches Unbehagen und entspannte sich. Garth hatte größere Anpassungsschwierigkeiten. Er saß dicht hinter ihr, und wann immer sie zu ihm zurückschaute, sah sie sein dunkles Gesicht angespannt und seine Hände um die Halteriemen geklammert. Wren hörte auf, ihn anzusehen, und konzentrierte sich auf den Ozean, der unter ihnen vorbeiflog.

Wenig später begann sie auch über Morrowindl und die Elfen nachzudenken. Tiger Ty schien niemand zu sein, der die Gefahren übertrieb, die sie erwarten würden, wenn sie tatsächlich herausfinden wollte, was mit den Elfen geschehen war. Er hatte auch recht, daß ihre Entdeckung wenig Sinn haben würde, wenn sie nicht überlebte. Wer sollte sie dann nutzen? Was genau hatte sie eigentlich vor? Angenommen, die Elfen waren noch immer dort auf Morrowindl? Angenommen, sie lebten? Wenn zehn Jahre lang niemand hinein oder hinaus gekommen war, wie sollte es dann etwas ändern, wenn sie dort auftauchte? Warum sollten die Elfen, wie auch immer ihre gegenwärtigen Lebensumstände sein mochten, über den Vorschlag nachdenken, mit dem Allanon sie geschickt hatte – den Vorschlag, ihr Leben außerhalb der Vier Länder aufzugeben und zurückzukehren?

Sie hatte natürlich keine Antworten auf diese Fragen. Und es war sinnlos, Antworten suchen zu wollen. Sie hatte ihre Entscheidung bisher allein nach ihrem Instinkt getroffen – vorrangig nach den Elfen zu forschen, die Addershag in Grimpen Ward aufzusuchen, ihren Anweisungen zu folgen und Tiger Ty davon zu überzeugen, daß er sie nach Morrowindl brachte. Jetzt mußte sie sich fragen, ob ihr Instinkt sie irregeleitet hatte. Garth war bei ihr geblieben, eigentlich ohne Diskussion, aber Garth tat dies vielleicht aus Loyalität oder aus Freundschaft. Er mochte fest entschlossen sein, sich dieser Sache anzunehmen, aber das bedeutete nicht, daß er sich bei dem, was sie taten, auch nur einen Deut besser fühlte als sie selbst. Sie überschaute die leere Weite der Blauen Spalte und fühlte sich klein und verletzlich. Morrowindl war eine Insel inmitten des Ozeans, ein kleiner Fleck Erde inmitten all des Wassers. Wenn sie und Garth erst einmal dort waren, würden sie von allem abgeschnitten sein, was ihnen vertraut war. Ohne die Hilfe des Rock oder eines Bootes gab es sicher keine Möglichkeit, die Insel wieder zu verlassen, und es war auch ungewiß, ob jemand dort sein würde, der ihnen helfen konnte. Vielleicht waren dort keine Elfen mehr. Vielleicht waren dort nur die Monster.

Monster. Sie dachte kurz über die Frage nach, welche Art Monster dort wohl sein würden. Tiger Ty hatte versäumt, sie ihnen zu beschreiben. Waren sie so gefährlich wie die Schattenwesen? Wenn das so war, würde das erklären, warum die Elfen verschwunden waren. Eine größere Anzahl dieser Monster hätte sie fangen oder sogar zerstören können, vermutete sie. Aber wie hatten die Elfen so etwas geschehen lassen können? Und wenn die Monster sie nicht gefangen hatten, warum blieben die Elfen dann noch immer auf Morrowindl? Warum war nicht zumindest einer von ihnen von dort aufgebrochen, um Hilfe zu holen? Wieder gab es so viele Fragen. Sie schloß die Augen und verbannte sie aus ihren Gedanken.

Es war fast Mittag, als sie über eine Gruppe kleiner Inseln hinwegflogen, die wie im Meere schwimmende Smaragde wirkten, strahlend grün vor dem Blau. Spirit kreiste unter Tiger Tys Führung einen Moment und stieß dann zu der größten der Inseln hinab, wobei er eine schmale, mit Gras bewachsene Klippe als Landeplatz auswählte. Als der große Vogel gelandet war, lösten seine Reiter ihre Sicherheitsgurte und kletterten hinab. Wren und Garth waren bereits steif und wund, und es dauerte einige Augenblicke, bis ihre Beine ihnen wieder gehorchten. Wren rieb sich die schmerzenden Gelenke und sah sich um. Die Insel schien aus einem dunklen, porösen Gestein zu bestehen, auf dem eine Vegetation wuchs, wie sie auch auf fruchtbarer Erde zu finden war. Das Gestein lag überall und knirschte, als sie darüber gingen. Wren beugte sich hinab, hob ein Stück auf und bemerkte, daß es erstaunlich leicht war.