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Sie errichteten ihr Lager am Fuße einer uralten Koaakazie am Rande einer kleinen Lichtung. Den Rücken gegen den Baum gelehnt, aßen sie ihr Abendessen und beobachteten, wie sich das Licht von Rauchfarben zu Holzkohlenfarben verdunkelte. Der Regen verringerte sich zu einem zeitweise unterbrochenen Tröpfeln, und der Dunst begann den Berghang in tastenden Ranken hinabzukriechen. Der Wald verwandelte sich hier bereits in Dschungel, die Bäume waren dicht mit Weinranken bewachsen und umwickelt, der Untergrund war feucht und weich und nachgiebig. Schnecken und Käfer krochen durch das Unterholz und über vermoderte Baumstämme. Der Boden unter der Koaakazie war trocken, aber die Feuchtigkeit der Luft schien überall einzudringen. Es gab keine Möglichkeit, ein Feuer zu entfachen. Wren und Garth kauerten sich in ihre Umhänge und drängten sich enger zusammen. Die Nacht senkte sich um sie herum und übergoß die Welt mit Tintenschwärze.

Wren bot an, die erste Wache zu übernehmen, denn sie war zu gereizt, um zu schlafen. Garth stimmte wortlos zu. Er zog die Knie an, legte seinen Kopf auf die gekreuzten Arme und war gleich darauf eingeschlafen.

Wren saß da und starrte in die Finsternis. Die Bäume und der Dunst schlössen alles Licht vom Mond und von den Sternen aus, und selbst nachdem ihre Augen sich angepaßt hatten, war es ihr nicht möglich, weiter als zwölf Fuß zu sehen. Schatten zogen am Rande ihres Gesichtskreises vorbei, kurz, schnell und undeutlich. Geräusche schössen aus dem Dunst hervor, forderten sie heraus und neckten sie – der schrille Schrei von Nachtvögeln, das Zirpen von Insekten, Kratzen und Rascheln, Schnüffeln und Fauchen. Das leise Husten jagender Katzen erklang von irgendwo in weiter Ferne. Sie konnte schwach den Schwefelrauch Killeshans riechen, der durch die Luft zog und sich mit dem dichteren, wohlriechenden Geruch des Dschungels vermischte. Rund um sie herum erwachte eine unsichtbare Welt.

Soll sie doch, dachte sie trotzig. Die Luft wurde still, als auch das Tröpfeln aufhörte und nur der Nebel übrigblieb. Die Zeit verrann. Die Geräusche wurden leiser und weicher und vermittelten das Gefühl, daß alles dort draußen in der Finsternis wartete, daß alles beobachtete. Sie erkannte, daß die Schatten am Rande des herankriechenden Dunstes verblaßt waren. Garth schnarchte leise. Sie bewegte ihren verkrampften Körper, versuchte aber nicht, aufzustehen. Sie mochte das Gefühl des Baumes an ihrem Rücken und die Sicherheit von Garths Nähe. Sie haßte das Gefühl, das die Insel in ihr hervorrief – preisgegeben, verletzlich, ungeschützt zu sein. Es war das Ungewohnte, sagte sie sich. Es war die fehlende Vertrautheit mit dieser Insel, die Isolation von ihrem eigenen Land, die Erinnerung an Tiger Tys Warnung, daß es hier Monster gebe. Es würde dauern, bis sie sich daran gewöhnt hätte... Sie ließ den Gedanken unvollendet, als sie die Silhouette von etwas Großem am Rande des Dunstes auftauchen sah. Es ging kurzzeitig aufrecht auf zwei Beinen, ließ sich dann aber auf alle Viere nieder. Es blieb stehen, und sie wußte, daß es sie ansah. In ihrem Nacken kribbelte es, und sie führte ihre Hand hinab, bis sich ihre Finger um das lange Messer an ihrer Taille schlössen. Sie wartete.

Das Wesen, das sie beobachtete, rührte sich nicht. Es schien mit ihr zu warten.

Dann sah sie einen weiteren Schatten auftauchen, der dem ersten ähnelte. Und einen weiteren. Und einen vierten. Sie versammelten sich in der Dunkelheit und verharrten dort ruhig, während ihre Augen schimmerten. Wren atmete langsam und tief durch. Sie überlegte, ob sie Garth wecken sollte, sagte sich aber immer wieder, daß sie noch eine Minute warten wollte, gerade lange genug, um zu sehen, was geschehen würde. Aber nichts geschah. Die Minuten krochen dahin, und die Schatten blieben, wo sie waren. Wren fragte sich, wie viele wohl dort draußen waren. Dann fragte sie sich, ob sie auch hinter ihr waren, wo sie sie nicht sehen konnte, und heranschlichen, bis sie nahe genug waren, um...

Sie wandte sich schnell um und schaute. Dort war nichts. Zumindest nicht innerhalb ihres begrenzten Sichtkreises. Sie wandte sich wieder um. Sie wußte plötzlich, daß die Wesen warteten, um zu sehen, was sie tun würde, daß sie auskundschaften wollten, wie gefährlich sie sein könnte. Wenn sie lange genug sitzen bliebe, würden sie ungeduldig werden und beschließen, sie zu testen. Sie fragte sich, wieviel Zeit sie hatte. Sie fragte sich, was nötig wäre, um sie zu entmutigen. Wenn die Monster hier schon bei ihnen waren, nur drei Nächte vom Strand entfernt, dann würden sie von jetzt ab jede Nacht auf ihrem Weg landeinwärts da sein, sie beobachten und warten. Und es würden weitere kommen. Es mußte so sein.

Wrens Blut pulste genauso schnell durch sie hindurch wie ihre Gedanken. Gemeinsam waren Garth und sie den meisten Wesen gewachsen. Aber sie konnten es sich nicht leisten, gegen alles zu kämpfen, was ihnen begegnete.

Die Schatten hatten begonnen, sich wieder zu bewegen. Sie waren ruhelos. Sie hörte Murmeln, nicht eigentlich Worte, aber etwas Ahnliches. Sie konnte rund um sich herum Bewegung spüren, etwas anderes als die Schatten, Wesen, die sie nicht sehen konnte. Die Bewohner des Dschungels hatten sie entdeckt und versammelten sich. Sie hörte ein Grollen, leise und drohend. Neben ihr bewegte sich Garth im Schlaf und wandte sich ab. Wrens Gesicht fühlte sich heiß an.

Tu etwas, flüsterte sie sich selbst zu. Du mußt etwas tun.

Sie wußte, ohne hinzusehen, daß die Schatten jetzt auch hinter ihr waren.

Sie fühlte ein Brennen an ihrer Brust.

Fast ohne es zu wissen, griff sie in ihre Tunika und nahm den Lederbeutel mit den Elfensteinen heraus. Schnell, ohne wirklich darüber nachzudenken, was sie tat, schüttete sie die Steine in ihre Hand und schloß schnell die Finger darüber. Sie konnte spüren, daß die Schatten sie beobachteten.

Nur eine Andeutung dessen, was sie vermögen, sagte sie sich.

Das sollte genügen.

Sie streckte ihre Hand vor und öffnete leicht die Finger. Das blaue Licht der Elfensteine glänzte. Es sammelte sich und sein kaltes Feuer strebte in dünnen Streifen vorwärts, um die Dunkelheit zu durchdringen.

Sofort waren die Schatten verschwunden. Sie verschwanden so schnell und so vollständig, als wären sie nie dagewesen. Die Geräusche verstummten im Gebüsch. Die Welt um sie wurde leer, und sie und Garth waren alles, was darin zurückgeblieben war.

Sie schloß ihre Finger wieder und zog die Hand zurück. Die Schatten, was auch immer sie waren, wußten etwas von Elfenmagie.

Ihr Instinkt hatte ihr gesagt, daß es so sein würde. Sie wurde von einer plötzlichen Bitterkeit erfüllt. Die Elfensteine waren kein Teil ihres Lebens. Darauf hatte sie bestanden. O nein – sie gehörten nicht zu ihrem Leben. Sie gehörten jemand anders, nicht ihr. Wie schnell sie sich das gesagt hatte. Und wie schnell sie auf sie zurückgriff, wenn sie sich bedroht fühlte! Sie ließ die Steine in ihren Behälter zurückgleiten und schob ihn wieder in ihre Tunika. Die Nacht war friedlich und still, der Dunst war bar jeder Bewegung. Die Wesen, die auf Morrowindl lebten, waren jetzt auf der Suche nach leichterer Beute. Es war nach Mitternacht, als sie Garth weckte. Es war nichts mehr erschienen, um sie zu bedrohen. Sie erzählte Garth nicht, was geschehen war. Sie wickelte sich in ihren Umhang und lehnte sich an ihn.

Das war lange, bevor sie einschlief.

In der Morgendämmerung machten sie sich erneut auf den Weg. Der Vog lag dicht über den Hängen des Killeshan, und das Licht war dünn und grau. Feuchtigkeit erfüllte die Luft. Sie sickerte durch den Boden, auf dem sie gingen, durchdrang die Kleidung, die sie trugen, und ließ sie erschauern. Nach einiger Zeit begann die Sonne durch den Dunst zu scheinen, und ein Teil der Kälte wurde vertrieben. Ihre Reise ging langsam und mühevoll voran, das Land war uneben und zerklüftet, eine Reihe von Senken und Graten war unter dem wuchernden Dschungel verschwunden. Die Stille der letzten Nacht blieb bestehen, eine düstere Stille, die das Paar aussonderte und Fäden des Unbehagens um sie herum spann.