Der stachelige Körper sträubte sich bedeutungsvoll und glättete sich wieder. Wren wollte auch nach den Draculs und den Zurückgekehrten fragen. Statt dessen sah sie Garth an, um seine Meinung zu erfahren. Garth zuckte nur die Achseln, um auszudrücken, daß es ihm egal war. Er war daran gewöhnt, seinen eigenen Weg zu finden.
»Nun, was schlägst du vor? Was sollen wir tun?« fragte sie den Stachelkater.
Die Augen zwinkerten. Das Schnurren drang wieder aus der Kehle des merkwürdigen Wesens. »Ich würde einen Handel vorschlagen. Ich werde dich zur Stadt führen. Und wenn du an den Dämonen vorbei gelangst, deine Botschaft überbringst und wieder herauskommst, werde ich dich zurückführen. Dafür nimmst du mich mit dir, wenn du die Insel verläßt.«
Wren runzelte die Stirn. »Ins Westland? Willst du Morrowindl verlassen?«
Der Stachelkater nickte. »Sppppttt. Es gefällt mir hier nicht mehr sonderlich. Daraus kann mir wirklich niemand einen Vorwurf machen. Ich habe lange Zeit durch Tricks und Erfahrung und Instinkt überlebt, aber hauptsächlich auch durch Glück. Heute hat mein Glück ein Ende gefunden. Wenn ihr nicht zufällig vorbeigekommen wäret, wäre ich jetzt tot. Ich habe dieses Leben satt. Ich möchte wieder so leben wie früher. Vielleicht kann ich das dort, wo ihr lebt.«
Vielleicht, dachte Wren. Vielleicht auch nicht.
Sie sah Garth an. Die Finger des großen Mannes bewegten sich schnell. Wir wissen nichts über dieses Wesen. Sei vorsichtig hei deiner Entscheidung.
Wren nickte. Typisch Garth. Er irrte sich natürlich – denn eines wußten sie, der Stachelkater hatte sie so gewiß vor dem Wisteron gerettet, wie sie ihn gerettet hatten. Und vielleicht würde er sich als nützlich erweisen, wenn er mitreiste, besonders da er die Gefahren von Morrowindl weitaus besser kannte als sie. Daß sie ihn mitnahmen, wenn sie die Insel verließen, war ein ziemlich kleiner Beitrag zu diesem Handel.
Es sei denn, Garths Vorbehalte würden sich als richtig erweisen und der Stachelkater spielte nur sein Spiel mit ihnen.
Vertraue niemandem, hatte die Addershag sie gewarnt. Sie zögerte einen Moment und überdachte die Angelegenheit. Dann tat sie die Warnung mit einem Achselzucken ab. »Ich gehe auf den Handel ein«, verkündete sie abrupt. »Ich denke, es ist eine gute Idee.«
Der Stachelkater spreizte mit Schwung seine Stacheln.
»Grrrrrr. Ich habe mir schon gedacht, daß du darauf eingehen würdest«, sagte er und gähnte. Dann streckte er sich in voller Länge aus und legte seinen Kopf bequem auf seine Pfoten.
»Berühre mich bloß nicht, wenn ich schlafe«, riet er. »Wenn du es tust, wirst du mit einem Gesicht voller Stacheln enden. Es wäre schlimm für mich, Wenn unsere Partnerschaft auf diese Weise enden würde. Phffft.«
Noch bevor Wren diese Warnung an Garth weitergegeben hatte, waren Stresas Augen bereits geschlossen, und der Stachelkater war eingeschlafen.
Wren übernahm die Frühwache und schlief dann tief und fest bis zur Dämmerung. Sie erwachte durch Geräusche, die Stresa verursachte – das Rascheln der Stacheln, das Kratzen von Klauen auf Holz. Sie erhob sich verwirrt und mit trockenen und wunden Augen. Sie fühlte sich schwach und elend, aber sie ignorierte ihr Unwohlsein, während Garth ihr zu trinken gab und etwas Brot anbot. Ihr Nahrungsvorrat nahm rapide ab, wie sie wußte. Vieles davon war einfach schlecht geworden. Sie würden sich bald Nahrung beschaffen müssen. Sie hoffte, daß Stresa trotz seiner eigenartigen Ernährungsgewohnheiten ihnen bei der Auswahl dessen, was genießbar war, vielleicht helfen konnte. Sie kaute auf einem Bissen Brot und spuckte es dann wieder aus. Es schmeckte schimmelig.
Stresa watschelte nach draußen, und die Fahrenden folgten ihm, indem sie aus dem hohlen Baumstamm krochen und mit verkrampften und schmerzenden Muskeln langsam auf die Füße kamen. Der Tag begann mit verschwommen grauem Nebel, der durch die Baumwipfel sickerte und kaum imstande war, die darunter liegende Dunkelheit zu durchdringen. Vog wirbelte durch den Dschungel wie Suppe, die in einem Kochtopf umgerührt wird, aber die Luft am Boden war still und leblos. Unbekannte Wesen bewegten sich durch das übelriechende Wasser des Sumpfes und der Senkgruben und auf dem toten Holz entlang, das darüber führte, ein träger Wechsel von Umrissen und Formen vor der Dunkelheit. Geräusche erklangen gedämpft aus den Schatten und hingen herausfordernd wartend in der Luft.
Sie begannen ihren Weg durch das Halbdunkel, Stresa voran, eine watschelnde, rollende Masse von Stacheln. Sie kamen in den Morgenstunden langsam, aber stetig voran, wobei der Vog sie bei jeder Bewegung einhüllte. Er war wie ein farbloser, feuchter Überzug und roch nach Tod. Das Licht erhellte sich von Grau zu Silber, blieb aber schwach und unbestimmt, während es über die Umrisse der Bäume waberte. Fäden des Netzes des Wisteron waren um Zweige und Weinranken gewunden, und überall warteten Fallen darauf, zuzuschnappen. Das Monster selbst erschien nicht, aber man konnte seine Gegenwart in der Stille fühlen, die über allem lag.
Wrens Unbehagen steigerte sich, während der Tag voranschritt. Sie fühlte sich jetzt sehr unwohl und begann zu schwitzen. Manchmal konnte sie nicht mehr klar sehen. Sie wußte, daß ein Fieber sie quälte, aber sie sagte sich, es werde wohl vergehen. Sie ging weiter und sagte nichts.
Der Dschungel lichtete sich erst kurz nach Mittag. Der Boden wurde wieder fest, der Sumpf versank in der Erde, und das Gewölbe der Bäume öffnete sich. Licht drang tapfer hier und dort durch plötzliche Risse in der Vogwand. Die Stille wich einem unergründlichen Summen und Knacken. Stresa murmelte etwas, aber Wren konnte nicht verstehen, was es war. Sie konnte ihre Gedanken schon seit einiger Zeit nicht mehr auf irgend etwas konzentrieren, und ihr Blick war so umwölkt, daß sogar der Stachelkater und Garth für sie nur noch Schatten waren. In dem Bewußtsein, daß jemand zu ihr sprach, blieb sie stehen und wandte sich um, um herauszufinden, wer es war. Und dann brach sie zusammen.
Sie erinnerte sich später kaum an das, was danach geschah. Sie wurde kurze Zeit getragen und war sich dieser Bewegung kaum bewußt, denn sie war von einer Fühllosigkeit befallen, die sie zu ersticken drohte. Das Fieber brannte durch ihren Körper, und sie wußte noch, daß sie es nicht einfach so abschütteln konnte. Sie schlief ein, wachte wieder auf, um zu erkennen, daß sie in Decken eingehüllt dalag, und schlief sofort wieder ein. Sie wachte davon auf, daß sie um sich schlug. Garth hielt sie fest und flößte ihr etwas Bitteres und Dickflüssiges ein. Sie würgte es heraus und mußte erneut davon trinken. Sie hörte Stresa etwas von Wasser sagen, spürte ein kühles Tuch auf ihrer Stirn und schlief erneut ein.
Dieses Mal träumte sie. Tiger Ty war da, stand neben Stresa, und beide schauten gemeinsam auf sie herab, der rauhe und schroffe Flugreiter und der scharfäugige Stachelkater. Sie sprachen mit ähnlichen Stimmen, beide rauh und kehlig, und kommentierten, was sie sahen. Sie sprachen von Dingen, die sie zunächst nicht verstand, und dann schließlich von ihr. Sie besaß die Magie, sagten sie zueinander. Es war klar, daß sie sie besaß. Dennoch weigerte sie sich, das anzuerkennen, und verbarg diese Gabe wie einen Makel, wobei sie vorgab, es gebe sie nicht und sie brauche sie nicht. Närrisch, sagten sie. Die Magie sei alles, was sie habe. Die Magie sei das einzige, dem sie vertrauen könne. Sie erwachte widerwillig. Ihr Körper war wieder kühl, und das Fieber war gewichen. Sie war schwach und so durstig, als sei alle Flüssigkeit aus ihrem Körper fortgeschwemmt worden. Sie schob die Decken zur Seite, in die sie eingewickelt gewesen war, und versuchte aufzustehen. Aber Garth war sofort da und drückte sie wieder hinunter. Er hielt ihr einen Becher an die Lippen. Sie trank ein paar Schlucke – das war alles, was sie zustande bringen konnte – und legte sich zurück. Ihre Augen fielen wieder zu.