Sie beobachtete, wie sich seine Schnauze öffnete und lange Reihen gekrümmter Zähne sichtbar wurden. Die glitzernden Augen schienen sich zu erhellen. Es gab keinen Laut von sich, als es vor ihnen stand.
Es zeigt sich jetzt, weil es beschlossen hat, uns zu töten, erkannte Wren und hatte plötzlich Angst.
Garth warf ihr einen schnellen Blick zu, einen Blick, der alles sagte. Er machte sich keine Illusionen darüber, was jetzt geschehen würde. Er machte einen Schritt auf die Bestie zu. Die griff ihn sofort mit einem Sprung an, der sie mit dem großen Fahrenden zusammenprallen ließ, bevor er sich sammeln konnte. Garth warf den Kopf gerade rechtzeitig genug zurück, damit er ihm nicht von den Schultern gerissen wurde, wirbelte den Knüppel herum und schleuderte seinen Angreifer zur Seite. Das Wolfswesen landete mit einem Grunzen, gewann in einem Gewirr von Klauenfüßen wieder Halt und wirbelte mit gefletschten Zähnen herum. Es griff Garth ein zweites Mal an, ignorierte Wren jedoch vollständig. Dieses Mal war Garth vorbereitet und stieß das Ende des schweren, viereckigen Knüppels in den gekrümmten Körper. Wren hörte das Geräusch brechender Knochen. Das Wolfswesen taumelte davon, kam wieder auf die Füße und begann sich zu drehen. Es schenkte Wren weiterhin keine Beachtung, abgesehen davon, daß es sich vergewisserte, was sie tat. Es hatte offensichtlich beschlossen, daß Garth die größere Bedrohung war und zuerst beseitigt werden müßte.
Was bist du? wollte Wren rufen. Welche Art Wesen?
Die Bestie prallte erneut auf Garth gegen den wartenden Knüppel. Schmerz schien sie nicht zu stören. Garth schleuderte sie von sich, doch sie griff mit gebleckten Zähnen sofort wieder an. Und wieder griff sie an, eines um das andere Mal, und nichts, was Garth tat, schien sie zu bremsen. Wren duckte sich und beobachtete das Geschehen hilflos, weil sie nicht eingreifen konnte, ohne ihren Freund zu gefährden. Das Wolfswesen bot ihr keine Angriffsfläche und ließ ihr keine Gelegenheit, ebenfalls anzugreifen. Und es war so flink, daß es nie länger als einen Augenblick am Boden war, und es bewegte sich mit einer geschmeidigen Anmut, die sowohl an die Behendigkeit eines Menschen als auch an die eines Tieres erinnerte. Noch nie hatte sich ein Wolf auf diese Weise bewegt, dessen war sich Wren gewiß. Der Kampf ging weiter. Beide Gegner waren verwundet. Aber während bei Garth Blut aus den Schnitten strömte, die er erlitten hatte, schienen die Verletzungen des Wolfswesens fast sofort zu verheilen. Seine gebrochenen Rippen hätten es behindern und seine Bewegungen hemmen müssen, aber sie taten es nicht. Das Blut in seinen Wunden verschwand in Sekunden. Seine Verletzungen schienen es nicht zu beunruhigen, fast als ob... Und plötzlich erinnerte sich Wren an die Geschichte, die Par ihr von den Schattenwesen erzählt hatte, denen er und Coll und Morgan Leah während ihrer Reise nach Culhaven begegnet waren – jenem fürchterlichen Menschending, das seine abgetrennten Arme wieder befestigt hatte, als habe es keinen Schmerz empfunden.
Dieses Wolfswesen war ein Schattenwesen!
Diese Erkenntnis trieb sie, fast ohne zu denken, vorwärts. Sie griff das Wesen mit ihrem gezogenen, langen Messer an, wütend und entschlossen, während sie auf es zusprang. Es wandte sich um, und ein Flackern der Überraschung spiegelte sich in seinen harten Augen und lenkte es vorübergehend von dem Mann ab. Sie erreichte es zur gleichen Zeit wie Garth, so daß sie die Bestie zwischen sich gefangen hatten. Garths Knüppel hämmerte auf deren Schädel ein, und er zersplitterte bei der Macht des Aufpralls. Wrens Klinge bohrte sich in die behaarte Brust und glitt leicht hinein. Das Wesen sprang auf und zurück und gab zum ersten Mal einen Laut von sich. Es schrie, den Schmerzensschrei einer Frau. Dann wirbelte es abrupt herum, warf sich auf Wren und drückte sie zu Boden. Es war unglaublich kräftig. Sie taumelte zurück und stieß mit den Füßen aufwärts, während sie die gefletschten Zähne daran zu hindern versuchte, ihr das Gesicht zu zerfleischen. Die Wucht des Wolfswesens rettete sie, denn sie beförderte es kopfüber in die Dunkelheit. Wren rappelte sich hoch. Das lange Messer war fort, noch immer im Körper der Bestie versenkt. Garths Knüppel war zerschmettert. Er packte bereits sein kurzes Schwert.
Das Wolfswesen kam zurück ins Licht. Es bewegte sich ohne Schmerzen, ohne Anstrengung, die Zähne in einem furchterregenden Grinsen entblößt.
Das Wolfswesen.
Das Schattenwesen.
Wren wußte plötzlich, daß sie nicht fähig sein würden, es zu töten – sondern daß sie getötet werden würden.
Sie trat schnell zurück neben Garth. Sie war jetzt wahnsinnig vor Angst und hatte Mühe, ihren Verstand beisammen zu halten. Er zog sein langes Messer und gab es ihr. Sie konnte das abgerissene Geräusch seines Atems hören. Sie konnte sich nicht dazu überwinden, ihn anzusehen.
Das Schattenwesen griff sie erneut an und prallte mit einem Sprung auf sie. Im letzten Moment drehte es zu Garth ab. Der große Fahrende begegnete seinem Stoß und erwiderte ihn, aber die Wucht des Angriffs riß ihn von den Füßen. Sofort war das Schattenwesen über ihm und knurrte. Garth drängte mit seinem Schwert die Wolfsschnauze zurück. Er war stärker als jeder andere Mann, den Wren je gekannt hatte. Aber nicht stärker als dieses Monster. Sie konnte bereits sehen, daß seine Kraft nachließ.
Garth!
Sie warf sich auf das Wolfswesen und stieß das lange Messer in seinen Körper. Es schien nichts davon zu bemerken. Sie klammerte sich an die Bestie und bemühte sich, sie wegzuziehen. Darunter konnte sie Garths dunkles Gesicht erkennen, schweißgetränkt und hart. Sie schrie vor Wut.
Dann schüttelte sich das Schattenwesen, und sie wurde abgeworfen. Sie blieb verrenkt liegen, ohne Waffe und hilflos. Sie zog sich auf die Knie und merkte plötzlich, daß sie von der Hitze des Feuers brannte. Das Brennen – wie lange war es schon da? – hatte sich auf ihrer Brust verstärkt. Sie untersuchte ihren Körper, denn sie glaubte, irgendwie Feuer gefangen zu haben. Nein, da waren keine Flammen, wie sie feststellte, nichts außer... Ihre Finger zuckten zurück, als sie auf den kleinen Lederbeutel mit den bemalten Steinen stießen. Das Brennen war dort! Sie riß den Beutel los und schüttete die Steine, fast ohne darüber nachzudenken, in ihre Handfläche.
Sofort explodierten sie in einem erschreckenden Licht, das sie benommen machte. Sie bemerkte, daß sie sie nicht loslassen konnte. Die Farbe, die die Steine bedeckt hatte, verschwand, und die Steine wurden... Sie konnte es nicht über sich bringen, das Wort zu denken, und es war auch keine Zeit, überhaupt zu denken. Das Licht flackerte und sammelte sich zu einer Art Lebewesen. Jenseits der Lichtung sah sie den wolfsähnlichen Kopf des Schattenwesens hochschrecken. Sie sah das Glitzern in seinen Augen. Sie und Garth hatten vielleicht noch eine Chance zu überleben, wenn...
Sie handelte instinktiv, als sie das Licht mit einem einzigen Gedanken vorwärts schießen ließ. Es warf sich mit erschreckender Schnelligkeit nach vorne und prallte in das Schattenwesen. Es wurde von Garth fortgeschleudert, drehte sich und schrie. Das Licht wickelte sich um das Wolfswesen herum. Feuer war überall, es versengte und verbrannte es schließlich. Wren streckte ihre Hand aus und dirigierte das Feuer. Die Magie erschreckte sie, aber sie bezwang ihre Panik. Macht durchpulste sie, düster und heiter, beides zugleich. Das Schattenwesen wehrte sich, rang mit dem Licht und kämpfte darum, wieder freizukommen. Es gelang ihm nicht. Wren schrie triumphierend auf, als das Schattenwesen starb. Sie beobachtete, wie es explodierte, sich zu Staub verwandelte und verschwand.
Dann verschwand auch das Licht, und sie war mit Garth allein.
4
Wren arbeitete flink, als sie Garths Wunden versorgte. Er hatte keine Knochenbrüche erlitten, aber eine Reihe tiefer Fleischwunden an den Unterarmen und der Brust und war von Kopf bis Fuß zerschnitten und mit blauen Flecken übersät. Er hatte sich auf den Boden zurückgelegt, während sie über ihm kniete und die Heilsalben und Kräuter auftrug, die die Fahrenden überallhin mitnahmen. Sein dunkles Gesicht war ruhig: Eisen-Garth. Der riesige, muskulöse Körper zuckte ein- oder zweimal zusammen, als sie die Wunden säuberte und verband, nähte und umwickelte, aber das war alles. Sein Gesicht und seine Augen zeigten nichts von der Erschütterung und dem Schmerz, die er auszuhalten hatte.