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Die Jagd ging weiter. Elfen-Jäger und Freikämpfer fochten Seite an Seite in dem verzweifelten Bemühen, den Vormarsch der Dämonen zu bremsen, und sahen, wie ihre Zahl ständig geringer wurde unter den Angriffen der Verfolger. Hätten sie nicht Stee Jans zum Führer gehabt, sie wären bis auf den letzten Mann vernichtet worden. Selbst unter seiner Führung fielen Hunderte, Opfer des schrecklichen und erbitterten Kampfes, der verhindern sollte, daß der lange Rückzug zur vernichtenden Niederlage wurde. Die Taktik des Befehlshabers der Freitruppe blieb dieselbe. Angesichts der Stärke der Dämonen-Horden durfte sich das Elfenheer diesseits von Arborlon keinesfalls in eine reguläre Schlacht verwickeln lassen. Deshalb beschäftigte die Nachhut die Dämonen immer wieder mit ihren Störmanövern, griff an, jagte davon, machte kehrt zu einem neuen Angriff und wieder einem — und jedesmal fielen einige der Reiter.

Am Nachmittag des fünften Tages schließlich erreichte das völlig erschöpfte Heer die Ufer des Singenden Flusses. Mit heiserem Freudengeschrei aus ausgedörrten Kehlen überquerten die Soldaten den Fluß und kehrten nach Arborlon zurück. Da erst wurde offenkundig, welch hohen Preis die Elfen hatten bezahlen müssen. Ein Drittel der Elfen, die mit dem Heer nach Westen ausgezogen waren, waren tot, Hunderte verwundet.

Von den sechshundert Soldaten der Freitruppe der Grenzlegion war nicht einmal ein Drittel mehr am Leben. Und immer noch rückten die Dämonen vor.

Abendliches Zwielicht lag über der Stadt Arborlon. Mit dem Ende des Tages hatte sich die Luft stark abgekühlt, und nun schob sich eine dunkle Wolkenbank ostwärts, verschleierte Sterne und Mond und erfüllte die Nacht mit einem Geruch nach Regen. In den Häusern der Stadt, wo Familien und Freunde sich zum Nachtmahl einfanden, flammten die Lichter auf. Auf den Straßen und in den Baumpfaden nahmen Einheiten der Leibgarde ihre nächtliche Patrouille auf, wanderten lautlos durch die abendlichen Schatten. Auf der Höhe des Carolan, auf dem Elfitch und am Ostufer des Singenden Flusses standen die Soldaten des Elfenheeres zumKampf bereit. Über die Reihen hohler Eisenpfosten hinweg, die mit brennendem Pech gefüllt waren, spähten sie in die Schwärze des Waldes am anderen Ufer. In den Bäumen rührte sich nichts.

Im Saal des Hohen Rates der Elfen stand Andor Elessedil den Ministern des Königs, den Befehlshabern des Heeres und den wenigen Landfremden gegenüber, die eingetroffen waren, um den Elfen in ihrem Kampf gegen die Dämonen Beistand zu leisten. Den silbernen Stab des Ellcrys in der Rechten trat er durch die schwere hölzerne Flügeltür am Ende des Saales. Staub, Schweiß und Blut bedeckten den Elfenprinzen; er hatte sich zwar ein paar kurze Stunden des Schlafes gegönnt, hatte sich aber nicht die Zeit genommen, ein Bad zu nehmen, da er so rasch wie möglich vor den Hohen Rat treten wollte. An seiner Seite gingen Allanon, hochgewachsen und düster dreinblickend, und Stee Jans, die braunen Augen todeskalt.

Die Männer, die sich im Saal eingefunden hatten, standen auf beim Erscheinen des Elfenprinzen. Zischendes Geflüster raunte durch den Saal, schwoll zu Gemurmel an, und dann wurden auch schon die ersten Fragen laut. Am Kopfende des ovalen Tisches hob Emer Chios die Hand und ließ sie krachend auf das polierte Holz niedersausen.

Augenblicklich wurde es still im Saal.

»Nehmt Platz«, befahl der Erste Minister.

Murrend kamen die Versammelten der Aufforderung nach.

Andor wartete einen Augenblick, dann trat er einen Schritt vor. Er kannte die Vorschriften und Regeln des Hohen Rates. War der König außerstande, an einer Sitzung teilzunehmen, dann führte der Erste Minister den Vorsitz. Emer Chios war ein mächtiger und angesehener Mann, um so mehr gerade jetzt, in dieser Situation. Andor war mit einem ganz bestimmten Ziel im Auge vor den Hohen Rat getreten, und er würde der Unterstützung Chios’ bedürfen, wenn er dieses gesteckte Ziel erreichen wollte. Er war müde, und es drängte ihn, doch er mußte sich die Zeit nehmen, die Dinge auf geziemende Art und Weise zu erörtern.

»Herr Minister«, richtete er das Wort an Emer Chios. »Ich möchte zum Hohen Rat sprechen.«

Emer Chios nickte. »Dann tut es, Prinz.«

Langsam und stockend, denn er war nicht der Redner, der sein Vater war und der sein Bruder gewesen war, berichtete Andor von den Geschehnissen, die dem Elfenheer seit seinem Aufbruch zum Sarandanon widerfahren waren. Er schilderte die Verwundung des Königs und den Tod Arions. Er berichtete von den Schlachten und Niederlagen im Grimmzacken-Gebirge, vom Rückzug und von dem heldenhaften Kampf bei Baen Draw, vom Rückmarsch schließlich durch das Sarandanon und die Wälder des Westlands nach Arborlon. Er pries den Mut der Freitruppen der Grenzlegion und die Führerschaft von Stee Jans, nachdem Pindanon gefallen war. Bis ins kleinste Detail beschrieb er den Feind, dem sie sich gegenübergesehen hatten — die Größe seines Heeres, seinen tollwütigen Haß, seine übermächtigen Kräfte. Die Dämonen, warnte er, näherten sich jetzt Arborlon, um hier die letzten Elfen zu vernichten, die Stadt in Staub und Asche zu legen, das Land zurückzuerobern, das sie vor Jahrhunderten verloren hatten. Vor ihnen lag eine Schlacht, die nur mit der totalen Vernichtung des einen oder des anderen — Elfen oder Dämonen — ihr Ende finden würde.

Während er sprach, musterte er die Gesichter seiner Zuhörer, suchte in ihren Augen und Mienen einen Hinweis darauf, wie sie seine Handlungen seit dem Verlust des Königs und seines Thronfolgers beurteilten. Er war jetzt bereit, die Möglichkeit anzunehmen, daß sein Vater sterben und er dann König werden könnte; er wußte, daß auch der Hohe Rat und das Elfenvolk sich mit dem Gedanken an diese Möglichkeit vertraut machen mußten. Andor war es schwergefallen, sie ins Auge zu fassen, vor der Schlacht am Halys-Joch war sie ihm stets als reine Spekulation erschienen, und im übrigen hatte er nie glauben wollen, daß er eines Tages sowohl seinen Vater als auch seinen Bruder verlieren würde. Doch jetzt lag sein Vater im Herrenhaus auf dem Krankenlager, und nichts hatte sich an seinem Zustand seit dem Sturz verändert. Während der erbitterten Kämpfe am Baen Draw und auf dem langen Marsch nach Hause hatte Andor Elessedil unablässig darauf gewartet, daß sein Vater erwachen würde. Daß er vielleicht nie wieder erwachen würde, hatte er einfach nicht glauben wollen. Doch der König hatte bisher das Bewußtsein nicht wiedererlangt, und jetzt schien es, als würde er sich vielleicht nie mehr von seinem Krankenlager erheben. Der Elfenprinz begriff das und akzeptierte es und richtete deshalb seinen Blick über diese Tatsachen hinaus in die Zukunft zu dem, was dann sein mußte.

»Ihr Herren«, schloß er, und seine Stimme war müde und leer, »ich bin der Sohn meines Vaters, und ich weiß, was von einem Prinzen der Elfen erwartet wird. Das Elfenheer hat sich aus dem Sarandanon zurückgezogen und muß sich jetzt hier dem Kampf stellen. Ich habe die Absicht, mit ihm zu kämpfen. Ich habe die Absicht, es zu führen. Ich würde es nicht tun, wenn es einen Weg gäbe, diesen Augenblick ungeschehen zu machen, wenn alles, was sich innerhalb der letzten Wochen zugetragen hat, einfach ausgelöscht werden könnte. Aber das ist nicht möglich. Stünde jetzt mein Vater hier, so würdet Ihr Euch einmütig um ihn scharen — das weiß ich. So stehe ich denn an meines Vaters Stelle hier und bitte Euch, daß Ihr Euch auf meine Seite stellt, denn ich bin der Letzte seines Blutes. Diese Männer, die hier mit mir stehen, haben mir ihren Beistand bewiesen. Ich ersuche nun auch um den Euren. Gebt mir diesen Beistand, Edle der Elfen.«