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»Herr!« stieß er keuchend hervor, das Gesicht hochrot vor Erregung. »Herr, der König ist erwacht!«

Andor starrte ihn fassungslos an.

»Er ist wach?«

Dann war er schon auf den Beinen und stürzte aus dem Saal.

In seinem Schlaf war es Eventine Elessedil, als triebe er durch eine Schwärze aus hauchdünnen Fäden, die seinen Körper in einer nahtlosen Decke einhüllten. Er spürte, wie die Fäden ihn einer nach dem anderen umspannten, wie sie sich um ihn legten und eins mit ihm wurden. Zeit und Raum waren nichts; nur die Schwärze war da und das Weben der Fäden. Zu Beginn war es ein warmes, angenehmes Gefühl, voll von Trost und Liebe wie die Umarmung einer Mutter. Dann aber schien die Umarmung enger zu werden, und er bekam keine Luft mehr. Verzweifelt wehrte er sich gegen die Umklammerung, versuchte, sich zu befreien, aber es gelang nicht. Abwärts sank er durch die Schwärze in langsamen Wirbeln, und seine Decke war ein Totenschleier, und er war nicht mehr ein Geschöpf des Lebens, sondern eines des Todes. Voller Entsetzen schlug er in diesem seidenen Gefängnis um sich, riß und zerrte an dem Stoff, aus dem es gewirkt war, bis es plötzlich mit einem Ruck nachgab und verschwunden war.

Grelles, flackerndes Licht blendete ihn flüchtig. Verwirrt, orientierungslos blinzelte er in den blendenden Schein, während er sich mühte, herauszufinden, wo er war. Allmählich begannen die Umrisse eines Zimmers Formen anzunehmen, und er erkannte den Geruch von Öllampen, fühlte die Leintücher und die wollenen Decken, die eng um seinen Körper geschlungen waren. Alles, was in den Augenblicken geschehen war, bevor er das Bewußtsein verloren hatte, wurde in einer Serie von Bildern lebendig, die völlig außer Rand und Band und ohne Zusammenhang vor seinem inneren Auge abliefen — das Grimmzacken-Gebirge; das Halys-Joch und der Angriff der Dämonen aus den Tiefen wogenden Nebels; Reihen von Bogenschützen, Lanzern und Pikenieren, die zu seinen Füßen warteten; Schmerzens- und Todesschreie; dunkle Leiber, die sich ihm durch eine Mauer blauen Feuers entgegenwarfen; Allanon, Andor, das Blitzen von Waffen, dann ein plötzlicher Schlag.

Er zuckte heftig zusammen, und der Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus. Unerwartet erkannte er das Zimmer, in dem er sich befand, mit einer plötzlichen Schärfe — es war sein Schlafgemach im Herrenhaus in Arborlon —, und er gewahrte eine Gestalt, die sich ihm näherte.

»Herr?« Gaels besorgte Stimme drang an sein Ohr, und das junge Gesicht neigte sich tief zu ihm hinunter. »Herr, seid Ihr wach?«

»Was ist geschehen?« murmelte der König, und seine Stimme war so heiser, daß er sie kaum wiedererkannte.

»Ihr wurdet verwundet, Herr — am Halys-Joch. Durch einen Schlag, der Euch hier getroffen hat.« Der Elf wies auf die linke Schläfe des Königs. »Seitdem seid Ihr bewußtlos gewesen. Herr, wir haben uns solche Sorgen gemacht…«

»Wie lange — habe ich geschlafen?« fragte er. Er hob die Hand, um seinen Kopf zu berühren, und der Schmerz fuhr ihm wie eine Stichflamme durch den Hals.

»Sieben Tage, Herr!«

»Sieben Tage!«

Gael trat vom Lager zurück.

»Ich hole Euren Sohn, Herr.«

Sein Kopf dröhnte. »Meinen Sohn?«

»Prinz Andor, Herr.« Der junge Elf war schon auf dem Weg zur Tür. »Er ist im Hohen Rat. Legt Euch wieder nieder — ich bringe ihn sogleich her.«

Eventine sah, wie der junge Elf die Tür aufriß, und hörte, wie er kurz mit jemandem im Flur sprach, und dann schloß sich die Tür schon wieder, und er hörte und sah nichts mehr. Er versuchte, sich aufzurichten, aber die Anstrengung war zu groß. Schwach fiel er wieder zurück in die Kissen. Andor? Hatte Gael gesagt, daß Andor im Hohen Rat war? Wo war Arion? Dunkle Vorahnungen trübten seinen Sinn, und eine Flut von Fragen stürzte auf ihn ein. Was tat er hier in Arborlon? Was war dem Heer der Elfen widerfahren? Was war aus ihrer Verteidigung des Sarandanon geworden?

Wieder wollte er sich aufrichten, wieder sank er in die Kissen zurück. Eine Welle der Übelkeit schüttelte ihn. Er fühlte sich plötzlich alt, so als wäre die Zahl seiner Jahre eine Krankheit, die ihn ausgezehrt hatte. Er biß die Zähne zusammen. Ach, daß er nur fünf Minuten seiner Jugend zurückhaben könnte, um ihm Kraft genug zu geben, von diesem Lager aufzustehen! Zorn und eiserne Willenskraft verliehen ihm Kraft, und er schob sich aus seinen Kissen hoch, bis er halb aufgerichtet lag. Sein Atem kam in angestrengten Stößen.

Auf der anderen Seite des Zimmers hob Manx den zottigen grauen Kopf. Der König öffnete den Mund, um den alten Wolfshund zu sich zu rufen. Doch plötzlich trafen die Augen des Hundes die seinen, und die Worte erstarben ihm auf den Lippen. Haß brannte in diesen Augen — ein Haß, so kalt, daß er Eventine frösteln machte wie der Hauch des Winters. Ungläubig starrte er den Hund an, während er gegen das Gefühl des Abscheus kämpfte, das in ihm aufwallte. Manx? Was glaubt er denn!

Er zwang sich, den Blick abzuwenden, in eine andere Richtung zu blicken, auf die Wände und ihre Behänge, auf die Möbelstücke, auf die Vorhänge, die die Fenster verbargen. Mit klopfendem Herzen versuchte er, Ruhe und Fassung wiederzufinden, und vermochte es nicht. Ich bin allein, dachte er plötzlich, und Angst überfiel ihn. Allein! Wieder wanderte sein Blick zu Manx. Die Augen des Wolfshundes fixierten ihn, verbargen, verschleiert jetzt, was kurz zuvor so offenkundig gewesen war. Oder hatte er es sich eingebildet? Er beobachtete den alten Hund, als dieser aufstand, sich einmal umdrehte und wieder niederlegte. Warum kommt er nicht zu mir, fragte sich der König. Warum kommt er nicht ?

Er ließ sich wieder tief in die Kissen gleiten. Was sage ich da? Flüsternd gingen ihm die Worte durch den Sinn, und er sah den Wahnsinn, der ihn zu übermannen drohte. Wie konnte er Haß in den Augen eines Tieres sehen, das ihm jahrelang treu ergeben war? Wie konnte er in Manx einen Feind sehen, vor dem er sich fürchten mußte ? Was war nur mit ihm los ?

Vom Korridor her drangen Stimmen in das Zimmer. Dann öffnete sich die Tür, schloß sich wieder, und Andor eilte an sein Lager, neigte sich zu ihm hinunter und drückte ihn an sich. Der König umfing seinen Sohn mit beiden Armen, dann aber löste er sich von ihm und blickte Andor forschend ins Gesicht, als dieser sich auf dem Rand des Bettes niederließ.

»Erzähl mir, was geschehen ist«, befahl Eventine mit leiser Stimme. Er bemerkte ein Flackern in den Augen seines Sohnes, und eine plötzliche eisige Angst durchzuckte ihn. Er mußte sich zwingen, die Frage über die Lippen zu bringen. »Wo ist Arion? «

Andor wollte sprechen, brachte aber kein Wort hervor. Stumm starrte er seinen Vater an. Eventines Gesicht erstarrte.

»Ist er tot?«

Andors Stimme war ein Flüstern.

»Am Spindelpaß.«

Er schien mehr sagen zu wollen, doch es gelang ihm nicht, und er begnügte sich mit einem stummen Kopfschütteln. Eventines Augen füllten sich mit Tränen, und seine Hände zitterten, als er den Arm seines Sohnes umfaßte.

»Arion ist tot?« Er sprach die Worte aus, als seien sie eine Lüge.

Andor nickte und wandte den Blick ab.

»Und Kael Pindanon auch.«

Bestürztes Schweigen folgte auf diese Worte. Die Hände des Königs sanken herab.

»Und das Sarandanon?«

»Verloren.«

Wortlos starrten sie einander an, so als hätten sie ein beängstigendes Geheimnis miteinander geteilt, das niemals hätte verraten werden sollen. Dann beugte sich Andor nochmals über seinen Vater und zog ihn an sich. Lange Zeit hielten sie einander schweigend umschlungen. Als der König schließlich sprach, war seine Stimme tonlos und ohne Gefühl.

»Berichte mir von Arion. Alles. Laß nichts aus.«

Andor erzählte. Leise berichtete er, wie sein Bruder gestorben war, wie sie ihn aus dem Grimmzacken-Gebirge ins Sarandanon-Tal hinuntergetragen hatten, um ihn am Baen Draw nach dem Brauch zu bestatten. Dann sprach er von allem, was den Elfen seit jenem ersten Tag der Schlacht am Halys-Joch widerfahren war. Eventine lauschte und schwieg. Als Andor geendet hatte, starrte er leeren Blicks in das flackernde Licht der Öllampe. Dann richtete er den Blick auf seinen Sohn.