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»Geh zurück zu der Sitzung im Hohen Rat, Andor. Tu, was getan werden muß.« Er mußte innehalten, weil ihm die Stimme brach. »Geh. Ich komme schon zurecht.«

Andor sah ihn unsicher an.

»Ich kann Gael bitten, zu dir zu kommen.«

Der König schüttelte den Kopf.

»Nein. Jetzt nicht. Ich möchte nur —« Er brach ab, schluckte die Worte hinunter, die er hatte sagen wollen. Mit einer Hand umspannte er fest den Arm seines Sohnes. »Ich bin — sehr stolz auf dich, Andor. Ich weiß, wie schwierig…«

Andor nickte stumm. Er umschloß die Hände seines Vaters mit seinen eigenen.

»Gael ist draußen im Flur, falls du ihn brauchst.«

Dann stand er auf und ging zur Tür. Seine Hand lag schon auf der Klinke, als Eventine mit seltsam dringlicher Stimme noch einmal nach ihm rief.

»Nimm Manx mit dir hinaus.«

Andor blieb stehen, warf dem alten Wolfshund einen Blick zu, pfiff ihn an seine Seite und führte ihn hinaus. Leise schloß er die Tür hinter sich.

Wieder allein, wahrhaftig allein diesmal, streckte sich der König der Elfen auf seinen Kissen aus und ließ sich von der Ungeheuerlichkeit all dessen, was geschehen war, überfluten. In wenig mehr als sieben Tagen war das beste Heer in den Vier Ländern wie eine Viehherde, die von Wölfen gejagt wird, durch ihr eigenes Heimatland getrieben worden — vom Grimmzacken-Gebirge, durch das Sarandanon zurück in die Hauptstadt, um dort dem Feind in einer letzten, alles entscheidenden Schlacht gegenüberzutreten. Irgendwo in seinem Inneren quälte ihn ein schreckliches Gefühl des Versagens. Er hatte dies alles geschehen lassen. Er war dafür verantwortlich.

»Arion«, flüsterte er plötzlich, und die Tränen traten ihm wieder in die Augen. Er ließ den Tränen freien Lauf.

36

Eretria!« rief Wil leise, Überraschung und Mißtrauen in der Stimme. Ohne auf den Schmerz seiner Verletzung zu achten, richtete er sich auf einem Ellenbogen auf, um das Mädchen näher zu betrachten. »Was tust du denn hier?« »Dich retten, scheint mir.« Sie lachte mit schalkhaften Augen. Plötzliche Bewegung zog sein Augenmerk auf sich, und er spähte an ihr vorbei in die Schatten. Zwei Frauen machten sich an einer Stellage im hinteren Teil des Wagens zu schaffen. Sie waren dabei, seine blutdurchtränkten Kleider in einer Schüssel mit Wasser zu waschen. Automatisch hob er die Hand zum Kopf und stellte fest, daß ein Verband um die Wunde lag. Er betastete ihn vorsichtig und verzog das Gesicht. »Das würde ich lieber nicht tun.« Eretria zog seine Hand weg. »Das ist das einzige an dir, was sauber ist.« Wil sah sich hastig um. »Was habt ihr mit Amberle gemacht?« »Mit deiner Schwester?« fragte sie spöttisch. »Der passiert schon nichts.« »Du mußt schon entschuldigen, wenn ich da ein bißchen skeptisch bin.« Er machte Anstalten, sich von seinem Bett zu erheben. »Bleib liegen, Heiler.« Sie drückte ihn wieder hinunter. Dann senkte sie die Stimme, so daß die Frauen hinter ihr sie nicht hören konnten. »Fürchtest du, ich könnte mich an dir rächen, weil du mich im Tirfing einfach zurückgelassen hast? Hältst du so wenig von mir?« Sie lachte und warf den Kopf in den Nacken. »Aber vielleicht würdest du es jetzt anders machen, wenn du eine Chance hättest. Ja?« »Keinesfalls. Also, was ist mit Amberle?« »Hätte ich die Absicht gehabt, dir, Wil Ohmsford — oder ihr — Böses zu tun, dann hätte ich euch beide den Banditen überlassen, die euch durch Grimpen Ward gejagt haben. Dem Elfenmädchen geht es gut. Ich lasse sie holen, wenn wir miteinander gesprochen haben.« Sie wandte sich an die beiden Frauen. »Geht hinaus. Laßt uns allein.«

Die Frauen unterbrachen augenblicklich ihre Arbeit und verschwanden durch eine Klappe am anderen Ende des Wagens. Als sie weg waren, wandte sich Eretria wieder dem Talbewohner zu und neigte den Kopf auf eine Seite.

»Also, was soll ich jetzt mit dir tun, Wil Ohmsford?«

Er holte tief Atem.

»Wie hast mich überhaupt gefunden, Eretria?«

Sie lächelte. »Das war einfach. Die Mär von deinen unerhörten heilerischen Kräften verbreitete sich innerhalb von Minuten, nachdem du diese fette Wirtin verarztet hast, wie ein Lauffeuer in ganz Grimpen Ward. Dachtest du denn, eine so aufsehenerregende Vorstellung würde unbemerkt bleiben? Was denkst du wohl, wie es kam, daß diese Banditen euch fanden?«

»Du wußtest also auch davon?«

»Heiler, du bist ein Narr.« Sie sagte es voller Freundlichkeit, während sie mit einer Hand seine Wange tätschelte. »Die Fahrensleute wissen immer als erstes alles, was an den Orten geschieht, wo ihre Reisen hinführen. Wenn dem nicht so wäre, würden sie nicht lange überleben — das scheint mir eine Lektion zu sein, die du noch lernen mußt. Als die Geschichte von der wunderbaren Heilung der dicken Wirtin bekannt wurde, mußte jedem mit dem kleinsten Funken Verstand klar sein, daß gewisse Leute unweigerlich früher oder später zu dem Schluß gelangen würden, einer mit deiner Begabung müsse ein reicher Mann sein. Du hast Glück, daß du noch am Leben bist.«

»Ja, wahrscheinlich«, bekannte er bekümmert. »Ich hätte ein bißchen vorsichtiger sein sollen.«

»Stimmt genau. Zum Glück für dich wußte ich gleich, daß nur du es sein konntest, und setzte Cephelo so lange zu, bis er mir erlaubte, dich zu suchen. Sonst hätten dich die freundlichen Leute hier wahrscheinlich ihren Hunden zum Fraß vorgeworfen.«

»Eine reizende Vorstellung.« Wil zog ein Gesicht. Dann sah er sie an.» Cephelo weiß, daß ich hier bin?«

»Natürlich.« Sie lächelte, und der Schalk blitzte wieder in ihren Augen. »Macht dir das Angst?«

»Sagen wir, es macht mir Sorge«, gab Wil zurück. »Wie kommt er dazu, mir nach den Vorfällen damals im Tirfing überhaupt zu helfen?«

Eretria neigte sich nahe zu ihm und legte ihm ihre schlanken dunklen Arme um den Hals.

»Weil seine Tochter sehr beredsam ist, Heiler — so beredsam, daß sie manchmal sogar einen schwierigen Mann wie Cephelo beeinflussen kann.« Sie zuckte die Schultern. »Außerdem hat er Zeit gehabt, sich die Geschehnisse im Tirfing noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich glaube, ich habe ihn davon überzeugt, daß das alles nicht deine Schuld war — sondern daß du im Gegenteil der Familie das Leben gerettet hast.«

Wil schüttelte skeptisch den Kopf.

»Ich trau’ dem Burschen nicht.«

»Daran tust du auch ganz recht«, meinte sie zustimmend. »Aber heute nacht wenigstens brauchst du dir seinetwegen keine Sorgen zu machen. Er wartet sicher bis zum Morgen, ehe er von dir Rede und Antwort verlangt. Und bis dahin werden eure Verfolger von der wilden Jagd nach euch genug haben und schon wieder in der Schenke sitzen.«

Sie stand auf und eilte in einer raschelnden Wolke blauer Seide davon. Einen Augenblick später kam sie mit einem feuchten Tuch und einer Schüssel voll Wasser zurück, die sie neben dem Lager auf den Boden stellte.

»Zunächst müssen wir dich säubern, Heiler. Du riechst ganz fürchterlich nach Schweiß und Schmutz, und deine Kleider sind ruiniert. «Sie hielt inne. »Zieh dich aus, dann wasche ich dich.«

Wil schüttelte den Kopf.

»Ich wasche mich selbst. Kannst du mir ein paar Sachen zum Anziehen leihen ?«

Sie nickte, machte aber keine Anstalten zu gehen. Wil errötete.

»Ich möchte das gern allein machen, wenn du nichts dagegen hast.«

Das strahlende Lächeln leuchtete in ihrem Gesicht auf.

»Ich hab’ aber was dagegen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Du bist wirklich unverbesserlich.«

»Du bist mir bestimmt, Wil Ohmsford. Das habe ich dir schon einmal gesagt.«

Das Lächeln erlosch, wich einem so sinnlichen und verführerischen Blick, daß Wil alles andere um sich herum vergaß. Als sie sich zu ihm neigen wollte, setzte er sich hastig im Bett auf. Heftiger Schwindel erfaßte ihn, doch er hielt sich gewaltsam aufrecht.