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Er spürte, wie Amberles Hand sich entspannte. Er wagte nicht, ihr ins Gesicht zu blicken.

Cephelo blieb eine Weile schweigsam und nachdenklich.

»Wißt Ihr«, fragte er dann, »wo im Wildewald diese Wurzel zu finden ist?«

Wil nickte. »Es gibt Bücher, uralte Bücher über die Heilkunst, die noch aus der alten Welt stammen. In ihnen ist von dieser Wurzel die Rede, und sie nennen auch den Namen des Ortes, wo sie gedeiht. Aber der Name ist längst vergessen, aus den Landkarten ausgelöscht, die heute den Rassen dienen. Ich bezweifle, daß der Name Euch etwas sagen würde.«

Der Fahrensmann beugte sich vor.

»Nennt ihn mir trotzdem.«

»Sichermal«, erwiderte Wil und beobachtete dabei die Züge des anderen. »Der Name lautet Sichermal.«

Cephelo überlegte, dann schüttelte er den Kopf.

»Ihr habt recht — der Name sagt mir nichts. Dennoch…« Er hielt inne und wippte leicht hin und her, so als sei er tief in Gedanken. »Es gibt jemanden, dem der Name bekannt sein könnte. Er ist vertraut mit den alten Bezeichnungen dieses Tals. Ich könnte Euch zu ihm führen. Hm, ja — aber Heiler, der Wildewald ist ein äußerst gefährliches Gebiet — das wißt Ihr selbst, da Ihr ja einen Teil der Wildnis durchqueren mußtet, um nach Grimpen Ward zu gelangen. Für meine Leute und für mich wäre es ein großes Wagnis, Euch bei dieser gefahrvollen Suche Beistand zu leisten.« Er breitete entschuldigend die Hände aus. »Außerdem haben wir andere Verpflichtungen, andere Geschäfte, um die wir uns kümmern müssen, und die uns an anderen Orten erwarten. Die Zeit ist ein kostbares Gut für Leute wie uns. Das werdet Ihr gewiß verstehen können.«

»Was wollt Ihr mit alledem sagen?« fragte Wil ruhig.

»Daß Euch ohne mich der Erfolg Eures Bemühens versagt bleiben wird. Daß Ihr mich braucht. Daß ich bereit bin, Euch meine Hilfe anzubieten. Aber solche Hilfe kann nicht ohne — äh —angemessene Entschädigung gegeben werden.«

Wil nickte. »Und welcher Art soll die Entlohnung sein, Cephelo?«

Die Augen des Fahrensmannes funkelten begierig auf.

»Gebt mir die Steine, die Ihr bei Euch tragt. Die Steine mit der Zauberkraft.«

Wil schüttelte ablehnend den Kopf.

»Sie würden Euch nichts nützen.«

»In der Tat? Ist ihr Geheimnis so unergründlich?« Cephelo kniff die Augen zusammen. »Haltet mich nicht für einen Narren. Ihr seid kein schlichter Heiler. Das war mir praktisch vom ersten Augenblick unseres Zusammentreffens an klar. Aber was Ihr seid, zählt nicht für mich — nur was Ihr habt. Ihr habt die Zauberkraft der Steine, und ich wünsche sie für mich.«

»Ihre Zauberkraft ist elfischen Ursprungs.« Wil zwang sich, ruhig zu bleiben. »Nur einer, in dessen Adern Elfenblut fließt, kann sich dieser Kraft bedienen.«

»Ihr lügt schlecht, Heiler.« Die Stimme des Fahrensmannes klang drohend. »Er sagt die Wahrheit«, warf Amberle hastig ein. Ihr Gesicht zeigte Angst. »Hätte er nicht die Steine gehabt, so hätte er diese Suche niemals unternommen. Ihr habt kein Recht, von ihm zu verlangen, daß er sie Euch gibt.«

»Ich kann verlangen, was ich will«, gab Cephelo gereizt zurück und fegte ihren Einwurf mit einer wegwerfenden Geste beiseite. »Außerdem glaube ich Euch beiden ohnehin kein Wort mehr.«

»Glaubt, was Ihr wollt.« Wils Stimme blieb bestimmt und fest.»Ich werde Euch die Steine nicht geben.«

Eine Zeitlang starrten die beiden Männer einander wortlos an. Das Gesicht des Fahrensmannes war hart und drohend. Und doch spiegelte sich darin auch Furcht — ausgelöst durch die Erinnerungen Cephelos an die gewaltige Kraft, die den Steinen innewohnte, und die Wil Ohmsford gebändigt hatte. Mit einer Anstrengung zwang er sich zu einem Lächeln.

»Was wollt Ihr mir dann geben, Heiler? Erwartet Ihr, daß ich Euch diesen Dienst umsonst leiste? Soll ich Menschenleben und Besitz aufs Spiel setzen, ohne dafür entschädigt zu werden? Ihr müßt doch etwas von Wert haben, das Ihr mir geben könnt —etwas von ähnlichem Wert wie die Steine, die herzugeben Ihr Euch so hartnäckig weigert. Was dann? Was wollt Ihr mir geben?«

Wil überlegte angestrengt, doch er trug nichts bei sich, das auch nur den geringsten Wert besaß. Doch gerade als er zu dem Schluß gekommen war, daß die Situation aussichtslos war, schnalzte Cephelo plötzlich mit den Fingern.

»Ich will ein Geschäft mit Euch machen, Heiler. Ihr sagt, daß der Elfenkönig Euch hoch belohnen wird, wenn Ihr ihm die Medizin bringt, die seine Enkelin heilen wird. Gut. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um Euch bei der Suche nach diesem Ort namens Sichermal zu helfen. Ich werde Euch zu einem Manne führen, der den Namen vielleicht kennt. Aber mehr werde ich nicht tun. Als Gegenleistung müßt Ihr mir die Hälfte der Belohnung geben, die Ihr von dem Elfenkönig erhaltet. Seid Ihr damit einverstanden?«

Wil wog den Vorschlag nachdenklich ab. Ein seltsames Geschäft, sagte er sich. Selten, wenn überhaupt jemals, gaben die Fahrensleute etwas her, wenn sie nicht sofort die Gegenleistung erhielten. Was führte Cephelo im Schilde?

»Soll das heißen, daß Ihr mir helfen wollt, den Ort Sichermal zu finden—«

»Wenn ich kann.«

»-daß Ihr mich aber dann nicht dorthin begleiten werdet?«

Cephelo zuckte die Schultern.

»Mich verlangt nicht danach, unnötig mein Leben aufs Spiel zu setzen. Wie Ihr die Medizin findet und sie dem Elfenkönig überbringt, ist Eure Sache. Meine Verpflichtung bei diesem Geschäft besteht lediglich darin, Euch den Weg zu weisen.« Er machte eine kurze Pause. »Glaubt aber ja nicht, daß Ihr mich um das, was Ihr mir schuldet, betrügen könnt, nur weil ich Euch nicht begleite. Das nähme ein schlimmes Ende für Euch.«

Wil runzelte die Stirn.

»Woher wollt Ihr denn wissen, ob ich gefunden habe, was ich suche, wenn Ihr mich nicht begleitet?«

Cephelo lachte. »Heiler, ich bin ein Fahrensmann — ich werde es schon erfahren. Ich werde alles erfahren, was mit Euch geschieht, glaubt mir das.«

Sein Grinsen war so wölfisch, daß Wil sicher war, daß die Worte noch eine andere Bedeutung hatten. Etwas braute sich zusammen; er witterte es förmlich. Doch sie brauchten Hilfe, um ihren Weg durch den Wildewald zu finden, wenn er nicht die Elfensteine einsetzen wollte.

»Abgemacht?« fragte Cephelo.

Wil schüttelte den Kopf. Er wollte den Fahrensmann auf die Probe stellen.

»Die Hälfte ist mir zuviel. Ich bin bereit, Euch ein Drittel zu geben.«

»Ein Drittel!« Cephelos Gesicht verfinsterte sich, wurde aber sogleich wieder freundlich. »Also gut. Ich bin ein Mann, der mit sich reden läßt. Ein Drittel.«

Viel zu leicht war das gegangen, dachte Wil. Er warf einen Blick auf Amberle und sah in ihren Augen das Mißtrauen, das auch er empfand. Doch das Elfenmädchen sagte nichts. Amberle überließ ihm die Entscheidung.

»Kommt, kommt, Heiler«, drängte Cephelo. »Ihr braucht ja noch den ganzen Tag.«

Wil nickte. »Also gut, es ist abgemacht.«

»Schön.« Der Fahrensmann stand augenblicklich auf. »Wir brechen sofort auf, da wir unsere Geschäfte hier abgeschlossen haben. Es ist das beste, wenn Ihr in Grimpen Ward nicht wieder gesehen werdet. Darum bleibt vorläufig im Wagen. Wenn wir den Wald erreicht haben, könnt Ihr herauskommen.«

Er grinste breit, schwang elegant den breitkrempigen Hut zum Abschied und ging hinaus. Leise fiel die Tür hinter ihm ins Schloß. Wil und Amberle sahen einander an.

»Ich trau’ ihm nicht«, flüsterte Amberle.

»Ich auch nicht«, gab Wil zurück.

Wenig später setzte sich der Wagen mit einem Ruck in Bewegung. Die Reise in den Wildewald ging weiter.

37

Der alte Mann im Schaukelstuhl summte leise vor sich hin, während er in den in der Dämmerung liegenden Wald hinausblickte. Weit im Westen, jenseits der grünen Mauer der Bäume, die undurchdringlich die Lichtung umschloß, auf der seine Hütte stand, sank die Sonne unter den Horizont, und das Tageslicht wurde fahl und grau. Diese Tageszeit war dem alten Mann die liebste — wenn die Mittagshitze im Schatten des Abends abkühlte und die untergehende Sonne den fernen Himmel in leuchtendes Scharlachrot tauchte, dann in sanftes Lavendelblau, das allmählich ins tiefe Blau der Nacht überging. Dann roch die Luft sauber und frisch, befreit von dem muffigen Geruch nach Feuchtigkeit und Moder, der ihr in der Hitze des Tages anhaftete. Dann wisperten die Blätter des Waldes geheimnisvoll im milden Abendwind. In diesen wenigen Augenblicken schien es, als sei der Wildewald ein Stück Land wie jedes andere, und man konnte ihn als einen alten und vertrauten Freund annehmen. Oft sah der alte Mann das Tal so — als einen alten, vertrauten Freund, dem er eine tiefe, unerschütterliche Treue entgegenbrachte. Wenige konnten so empfinden wie er, aber es waren ja auch nur wenige, die das Tal so gut kannten wie er. Oh, es war trügerisch — erbarmungslos und voller Gefahren, die einen Mann vernichten konnten. Es gab Geschöpfe im Wildewald, die nirgends ihresgleichen hatten und gespenstisch durch die Schauermärchen geisterten, die man sich am mitternächtlichen Lagerfeuer erzählte. Im Wildewald lauerte der Tod, zu jeder Stunde, hart, grausam, unerbittlich. Dies war ein Land der Jäger und der Gejagten, und der alte Mann hatte es in den langen Jahren, seit er sich in diesem Tal niedergelassen hatte, von seiner besten und seiner schlimmsten Seite erlebt. Er trommelte mit den Fingern auf die Armlehnen des Schaukelstuhls und dachte zurück. Sechzig Jahre waren vergangen, seit er hierher gekommen war — eine lange Zeit und doch schien ihm, als sei es erst gestern gewesen. Dies war all die Jahre sein Zuhause gewesen, und es war ein Zuhause, das man achten konnte — nicht einfach irgendein Ort voller Häuser und Menschen, wo man sicher und behütet und in grenzenloser Langeweile dahinlebte; ein Ort der Einsamkeit und Tiefe, wo die Herausforderung wartete und wo man Mut brauchte; ein Ort, an dem nur wenige sich niederließen, weil nur diese wenigen an diesen Ort gehörten. Einige wenige wie er selbst, dachte er, und jetzt war nur noch er übrig von denen, die einst ins Tal gekommen waren. Alle anderen waren tot, in die Wildnis heimgegangen, in der sie gelebt hatten. Es waren nur noch diese Narren da, die sich wie verängstigte Hunde in den windschiefen Hütten von Grimpen Ward zusammendrängten, die einander gegenseitig — und jeden Dummen, der sich in ihre Mitte wagte — betrogen und beraubten. Doch das Tal gehörte nicht ihnen und würde nie ihnen gehören, denn sie begriffen nicht das Wesen dieses Tals und hatten auch kein Bedürfnis, es zu erkennen.