Выбрать главу

Der junge Mann neigte sich vor.

»Wo ist die Senke?«

»Im Süden von hier. Eine Tagesreise«, antwortete der Alte. Es war an der Zeit, dieser Torheit ein Ende zu machen. »Tief und finster ist sie, Elf- eine schwarze Grube, wo alles, was hineinfällt, auf immer verschwindet. Der Tod, Elf. Wer sich in die Senke hineinwagt, kommt nicht wieder heraus. Jene, die dort leben, sorgen dafür.«

Der junge Mann schüttelte den Kopf.

»Das verstehe ich nicht.«

Eretria murmelte leise etwas vor sich hin, während ihr Blick hastig über das Gesicht des jungen Mannes flog. Sie wußte Bescheid, das sah Hebel. Er senkte die Stimme zu einem Flüstern.

»Dort leben die Hexenschwestern, Elf. Morag und Mallenroh. Ihnen gehört die Senke, ihnen und den Wesen, die sie schaffen, um ihnen zu dienen — Wesen, die aus Hexenkunst geboren sind.«

»Aber wo in der Senke liegt Sichermal?« beharrte der junge Mann. »Ihr spracht von einem Berg —«

»Die Hochwarte — ein seltsamer Gipfel, der aus der Senke emporragt wie ein Arm aus dem Grabe. Dort liegt Sichermal.« Der Alte hielt inne und breitete die Hände aus. »So war es jedenfalls einmal. Ich war schon seit vielen, vielen Jahren nicht mehr in der Senke. Keiner wagt sich da mehr hinein.«

Der junge Mann nickte nachdenklich.

»Erzählst du mir mehr über diese Hexenschwestern?«

Hebels Augen verengten sich.

»Morag und Mallenroh — die letzten ihrer Sippe. Einstmals, Elf, gab es viele ihrer Art — jetzt gibt es nur noch zwei. Manche behaupten, sie seien Gehilfinnen des Dämonen-Lords gewesen. Andere meinen, sie seien lange vor ihm dagewesen. Ihre Macht, heißt es, sei so groß wie die der Druiden. Wer weiß? Die Wahrheit wissen nur sie selbst. Sucht sie, wenn Ihr wollt. Ein Elf mehr oder weniger — für mich spielt das keine Rolle.«

Er lachte schneidend, verschluckte sich, hob seinen Becher und trank etwas von seinem Bier. Sein klappriger Körper neigte sich vor, als seine Augen die des jungen Mannes suchten.

»Schwestern sind sie, Morag und Mallenroh. Blutsschwestern. Doch großer Haß lodert zwischen ihnen — ein Haß, der einem alten Unrecht entsprungen ist, ob echt oder eingebildet, das kann ich nicht sagen. Doch sie befehden einander in der Senke, Elf. Morag lebt im Osten und Mallenroh im Westen, und jede versucht, die andere zu vernichten und das Land und die Macht der Schwester an sich zu reißen. Und in der Mitte, genau zwischen den beiden, steht die Hochwarte — und dort liegt Sichermal.«

»Habt Ihr es gesehen?«

»Ich? Nein, ich nicht. Die Senke gehört den Schwestern; das Tal ist weit genug für mich.« Hebel schaukelte sachte hin und her, während er sich seinen Erinnerungen hingab. »Einmal, vor vielen, vielen Jahren, ich kann sie nicht einmal mehr zählen, war ich am Rand der Senke auf der Jagd. Töricht war es, aber damals war ich noch entschlossen, das ganze Land kennenzulernen, das ich mir zur Heimat erwählt hatte, und die Geschichten waren ja nur Geschichten. Tagelang jagte ich im Schatten der Senke und sah nichts. Aber eines Nachts dann, als ich schlief, ganz allein an der Glut meines Lagerfeuers, da kam sie zu mir — Mallenroh, ein Geschöpf wie aus einem Traum mit langem grauen Haar, das aus Nachtschatten gesponnen war, und ihr Gesicht war das Gesicht der Frau Tod. Sie kam zu mir und sagte, sie habe das Bedürfnis, mit einem von menschlichem Geblüt zu sprechen, mit einem wie mir. Die ganze Nacht sprach sie mit mir, erzählte mir von sich und von ihrer Schwester Morag und von der Fehde, die sie um die Vorherrschaft über die Senke miteinander führten.«

Er hatte sich ganz seinen Erinnerungen ergeben, und seine Stimme klang fern und leise.

»Am Morgen war sie fort, beinahe so, als sei sie nie gewesen. Ich habe sie nie wiedergesehen, bis heute nicht. Ich hätte glauben können, es sei alles nur Einbildung gewesen — keine Wirklichkeit —, aber sie hat etwas von mir mit sich fortgenommen — ein Stück Leben könnte man sagen.«

Langsam schüttelte er den Kopf.

»Das meiste von dem, was sie mir erzählte, stob auseinander wie die losen Fetzen eines Traums. Aber ich erinnere mich ihrer Worte über Sichermal, Elf. Unterirdische Gänge im Schoß der Hochwarte, sagte sie. Ein Ort aus einem anderen Zeitalter, wo einst ein seltsamer Zauber verhängt worden war. So alt, daß nicht einmal die Schwestern seine Bedeutung kennen. Ja, das hat Mallenroh mir erzählt. Daran erinnere ich mich — daran zumindest.«

Danach schwieg er, in Gedanken bei den Geschehnissen jener Nacht. Selbst nach allen diesen Jahren war die Erinnerung so klar wie die Gesichter jener, die hier um ihn herumsaßen. Mallenroh! Eigenartig, schoß es ihm durch den Kopf, daß er sich ihrer so lebhaft erinnerte.

Der junge Mann legte seine Hand auf die Armlehne des Schaukelstuhls, und seine Stimme war verhalten, als er sprach.

»Ihr erinnert genug, Hebel.«

Der Alte blickte den Elf verwundert an. Er verstand nicht. Dann sah er in den Augen des anderen, was dieser beabsichtigte. Er war entschlossen, dorthin zu gehen. Er war entschlossen, sich in die Senke zu wagen. Impulsiv beugte Hebel sich zu ihm hinunter.

»Geht nicht«, flüsterte er eindringlich. »Geht nicht!«

Der junge Mann lächelte schwach.

»Ich muß, wenn Cephelo seine Belohnung haben soll.«

Der Fahrensmann schwieg. Sein dunkelhäutiges Gesicht war unergründlich. Eretria warf ihm einen scharfen Blick zu, dann blickte sie wieder den jungen Elf an.

»Tu es nicht, Heiler«, bat sie. »Hör auf das, was der Alte sagt. Die Senke ist gefährlich. Such deine Medizin anderswo.«

Der Elf schüttelte den Kopf.

»Es gibt kein Woanders. Laß es ruhen, Eretria.«

Einen Moment lang spannte sich der Körper des Mädchens zum Zerreißen, und das dunkelhäutige Gesicht lief rot an unter dem Druck von Emotionen, die hinausdrängten. Doch es gelang ihr, sie zu unterdrücken. Beherrscht stand sie auf und blickte kalt zu ihm hinunter.

»Du bist ein Narr«, sagte sie und ging davon in die Finsternis.

Hebel beobachtete den jungen Mann, sah, wie sein Blick dem Mädchen folgte, als es sich entfernte. Das Elfenmädchen blickte nicht einmal auf. Ihre seltsamen grünen Augen schienen nach innen gerichtet zu sein, und ihre feinen Züge waren verborgen im Schatten des langen Haares, das ihr tief ins Gesicht fiel.

»Ist diese Wurzel denn so wichtig?« fragte der alte Mann verwundert. Seine Frage war nicht nur an den jungen Mann gerichtet, sondern auch an das Mädchen. »Ist sie denn nirgends sonst zu finden?«

»Laßt sie doch!« mischte sich Cephelo unvermittelt ein, und seine schwarzen Augen huschten von einem Gesicht zum anderen. »Es ist ihre Entscheidung, und sie haben sie getroffen.«

Hebel runzelte die Stirn.

»So mir nichts, dir nichts wollt Ihr sie in den Tod schicken, Cephelo? Was ist denn das für eine Belohnung, von der der Elf spricht?«

Der Fahrensmann lachte. »Ob man eine Belohnung bekommt oder nicht, hängt von den Launen des Schicksals ab, Alter. Verliert man dort eine, gewinnt man da eine andere. Der Elf und seine Schwester müssen tun, wozu es sie drängt. Wir haben kein Recht, ein Urteil zu fällen, oder sie daran zu hindern.«

»Wir müssen es tun.« Das Elfenmädchen sprach leise aber bestimmt, das erste Mal überhaupt, seit sie sich gesetzt hatten. Tief sah sie dabei dem alten Mann in die Augen.

»Gut.« Cephelo sprang auf. »Der Worte sind genug gesagt in dieser Sache. Der Abend ist noch lange nicht um, und es ist noch viel gutes Bier da, das darauf wartet, getrunken zu werden. Teilt es mit mir, meine Freunde. Wir wollen von den Zeiten sprechen, die gewesen sind, nicht Mutmaßungen über die Zeiten anstellen, die erst kommen werden. Hebel, Ihr sollt hören, was diese Narren in Grimpen Ward jetzt wieder angestellt haben — hirnverbrannt, weiß Gott!«

In scharfem Ton rief er nach der alten Frau, die sogleich mit einem großen Krug Bier herbeieilte. Einige der anderen Fahrensleute gesellten sich jetzt zu ihnen, und Cephelo füllte allen die Becher. Lachend und voller Übermut schickte er sich dann an, eine ganze Sammlung toller Geschichten zum besten zu geben — über Orte, die er wahrscheinlich nie besucht hatte, über Menschen, denen er wahrscheinlich nie begegnet war. Keck und ausgelassen war die Rede des Fahrensmannes, und seine Leute lachten mit ihm über sein wildes Geflunker, während sie immer von neuem ihre Becher füllten.