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Hebel lauschte den Geschichten voller Mißtrauen. Allzu schnell, so schien es ihm, hatte Cephelo seine an die Elfen gerichteten Warnungen verächtlich gemacht. Auch konnte er der scheinbaren Interesselosigkeit des Fahrensmannes an der Belohnung, die den jungen Elf erwartete, wenn er die Wurzel fand, nicht glauben. Da stimmte etwas nicht; der Fahrensmann wußte schließlich so gut wie er, daß noch niemand lebend aus der Senke zurückgekehrt war.

Sachte schaukelte er in seinem alten Stuhl hin und her, mit einer Hand leicht Drifters zottigen Kopf kraulend. Wie sonst konnte er den Elf noch warnen, fragte er sich. Was konnte er noch sagen, was nicht schon gesagt worden war, um ihn von seinem törichten Unterfangen abzubringen? Vielleicht nichts; der Junge schien entschlossen.

Er überlegte, ob die beiden jungen Elfen wohl mit Mallenroh zusammentreffen würden, so wie er vor vielen Jahren. Bei der Vorstellung, daß dies der Fall sein könnte, stieg Neid in seiner Seite auf.

Wenig später erhob sich Wil Ohmsford aus dem Kreis der Zecher und ging zu dem Brunnen gleich hinter der Hütte des alten Mannes. Amberle schlief schon in Decken gehüllt am Feuer. Sie war völlig erschöpft von den Anstrengungen des Tages und den vorhergehenden Ereignissen. Auch er selbst fühlte sich ungewöhnlich schläfrig, obwohl er von dem Bier der Fahrensleute kaum etwas getrunken hatte. Vielleicht, dachte er, half da ein Schluck kaltes Wasser und später erholsamer Schlaf.

Er hatte gerade in tiefen Zügen aus dem Metallbecher getrunken, der an der Kette mit dem Eimer festgehakt war, als Eretria aus dem Schatten zu ihm trat.

»Ich verstehe dich nicht, Heiler«, sagte sie sehr direkt.

Er hakte den Becher wieder an die Kette und ließ sich auf dem Steinrand des Brunnens nieder.

»Ich hab’ mich abgestrampelt wie eine Wilde, um dir in Grimpen Ward das Leben zu retten«, fuhr sie fort. »Es war nicht leicht, Cephelo so weit zu bereden, daß er mich dir überhaupt helfen ließ. Wirklich nicht, das kannst du mir glauben. Und jetzt! Die ganze Liebesmüh war wohl vergebens. Ich hätte dich und das Elfenmädchen, das du als deine Schwester ausgibst, genausogut den Banditen in Grimpen Ward überlassen können. Obwohl man dich warnte, bestehst du darauf, dich in die Senke zu wagen. Ich möchte wissen, warum. Hat Cephelo etwas damit zu tun? Ich weiß nicht, was für eine Abmachung du mit ihm getroffen hast, aber nichts, was er dir versprochen hat — selbst wenn er die Absicht hätte, sein Versprechen zu erfüllen, was ich bezweifle —, ist das Risiko wert, das du eingehen willst.«

»Cephelo hat nichts damit zu tun«, erwiderte Wil ruhig.

»Wenn er dir in irgendeiner Weise gedroht hat, dann würde ich dir gegen ihn helfen«, erklärte Eretria fest. »Ich würde dir helfen.«

»Das weiß ich. Aber Cephelo hat mit diesem Entschluß wirklich nichts zu tun.«

»Was hat es dann für einen Grund? Warum mußt du es tun?«

Wil senkte die Lider.

»Die Medizin, die —«

»Lüg mich nicht an!« fiel Eretria ihm zornig ins Wort und setzte sich neben ihn auf den Brunnenrand. »Mag sein, daß Cephelo diesen Unsinn glaubt, aber er hörte nur deine Worte, Heiler. Deine Augen sah er nicht. Deine Rede kannst du vielleicht verstellen, nicht aber deinen Blick. Dieses Mädchen ist nicht deine Schwester; sie ist dein Schützling, und die Verantwortung für sie ist dir offensichtlich teuer. Nicht Wurzeln und Medizin suchst du, sondern etwas weitaus Bedeutsameres. Sag mir, was hoffst du dort in der Senke zu finden?«

Langsam hob Wil den Blick und sah ihr in die Augen. Eine Weile antwortete er ihr nicht. Sie griff impulsiv nach seiner Hand.

»Ich würde dich nie verraten. Niemals!«

Er lächelte schwach. »Das ist vielleicht das einzige an dir, dessen ich sicher bin, Eretria. Ich will dir soviel sagen: Großes Unheil bedroht dieses Land — bedroht alle Länder. Das Mittel, das vor diesem Unheil schützen kann, ist nur in Sichermal zu finden. Amberle und ich sind ausgesandt worden, es zu suchen.«

Die Augen Eretrias blitzten feurig.

»Dann laß mich mit euch ziehen. Nimm mich mit, so wie du mich schon längst hättest mitnehmen sollen.«

Wil seufzte. »Wie kann ich das? Eben hast du mir gesagt, was für ein Narr ich bin, daß ich nicht ablasse von meinem Entschluß, in die Senke hinunterzugehen. Und jetzt soll ich auch dich zur Närrin machen. Nein. Dein Platz ist bei deinen Leuten — wenigstens vorläufig. Es ist besser für dich, wenn du weiter nach Osten ziehst, so weit wie möglich fort vom Westland.«

»Heiler, ich soll von diesem Teufel verschachert werden, der sich als mein Vater ausgibt! Und zwar sobald wir die größeren Städte des Südlandes erreichen.« Ihre Stimme war hart und schneidend. »Glaubst du vielleicht, daß ein solches Schicksal erträglicher ist als das, was ich vielleicht an deiner Seite erleben werde? Nein. Nimm mich mit!«

»Eretria —!«

»Hör mich an. Ich kenne mich aus in diesem Gebiet, denn die Fahrensleute haben es unzählige Male durchquert. Ich weiß vielleicht etwas, was euch weiterhelfen wird. Und wenn nicht, so werde ich euch doch auf jeden Fall kein Hemmschuh sein. Ich kann auf mich selbst achtgeben — besser als dem Elfenmädchen. Ich verlange nichts von dir, Heiler, was nicht auch du von mir verlangen würdest, wäre unsere Situation umgekehrt. Du mußt mich mitnehmen.«

»Eretria, selbst wenn ich damit einverstanden wäre, würde Cephelo dich niemals ziehen lassen.«

»Cephelo würde es erst erfahren, wenn es zu spät ist, etwas daran zu ändern.« Ihre Stimme war hell und erregt. »Nimm mich mit, Heiler. Sag ja.«

Er hätte beinahe zugestimmt. Sie war von solch einer wunderbaren Schönheit, daß es selbst unter normalen Umständen schwer gewesen wäre, ihr irgend etwas abzuschlagen. In diesem Augenblick aber, da sie neben ihm saß mit erwartungsvoll blitzenden Augen, lag eine Verzweiflung in ihrem Ton, die ihn rührte. Sie hatte Angst vor Cephelo und vor dem was er mit ihr anstellen würde. Sie würde nicht betteln, das wußte Wil, aber sie würde weit gehen, um ihn zu bewegen, ihr in die Freiheit zu helfen.

Doch in der Senke wartete der Tod, hatte der alte Mann gesagt. Keiner wagte sich hinein. Es würde schwierig genug werden, Amberle zu beschützen; wenn auch Eretria ihm versichert hatte, daß sie auf sich selbst achtgeben konnte, so würde ihn, das wußte er, das doch nicht daran hindern, sich um sie zu sorgen.

Langsam schüttelte er den Kopf.

»Ich kann nicht, Eretria. Ich kann nicht.«

Lange blieb es still, während sie ihn nur stumm anstarrte. In ihren Augen standen Ungläubigkeit und Zorn; Aufregung und freudige Erwartung darin waren erloschen. Langsam erhob sie sich.

»Obwohl ich dir das Leben gerettet habe, bist du nicht bereit, das meine zu retten. Nun gut.« Sie trat von ihm zurück, während ihr die Tränen über das Gesicht rannen. »Zweimal hast du mich abgewiesen, Wil Ohmsford. Du wirst keine Gelegenheit bekommen, es noch einmal zu tun.«

Sie wirbelte herum und eilte davon. Doch schon nach ein paar Schritten blieb sie stehen.

»Es wird der Tag kommen, Heiler, das sage ich dir voraus, an dem du wünschen wirst, du hättest meine Hilfe nicht so unüberlegt abgelehnt.«

Dann war sie fort, in den Schatten der Nacht verschwunden.

Wil blieb noch eine Weile am Brunnen sitzen und wünschte verzweifelt, daß alles anders wäre, daß es einen vernünftigen Weg gäbe, ihr zu helfen. Dann stand er auf, von Schläfrigkeit überwältigt, und ging wankend davon, um sich zur Ruhe zu legen.

38

Grau und trüb brach der Tag über dem Wildewald an und hüllte die Wälder in Schatten, die sich wie Blutflecken auf der dunklen Erde ausbreiteten. Wolken verschleierten den Morgenhimmel, hingen bleiern und tief über dem Tal, und eine drückende Stille lag in der Luft, wie eine Warnung vor dem Nahen eines sommerlichen Gewitters. Schon waren die Fahrensleute wieder unterwegs, glitten, so schattenhaft wie sie gekommen waren, wieder aus der Lichtung hinaus, auf der Hebels Hütte stand; voran die Reiter, dann der Wagen, auf dem Wil und Amberle saßen, die Hände erhoben, um dem alten Mann flüchtig zuzuwinken, der schweigend vor seiner Hütte stand und ihnen nachblickte. Gemächlich rollte der Wagen in die Düsternis der Wälder hinein. Die massigen, alten Bäume schlossen sich immer enger um sie, bis schließlich nur noch dünne Lichtfäden durch das Blätterdach sickerten und nichts weiter zu sehen war als der schmale, von tiefen Furchen durchzogene Pfad, der in die Tiefen des Tals hineinführte. Gegen Mitte des Vormittags hatten sie die Hauptstraße wieder erreicht und wandten sich nach Osten. Als der Tag sich langsam wärmte und die Kühle der Nacht verdampfte, sammelten sich Nebel auf dem Grund des Tales, die wie weiße Schleier zwischen den Bäumen hingen. Wil und Amberle saßen schweigend neben der alten Frau und dachten an das, was vor ihnen lag. Zu einem Gespräch mit Hebel war es nicht mehr gekommen, denn sie hatten die ganze Nacht hindurch fest geschlafen, und bei ihrem Erwachen hatte Cephelo dafür gesorgt, daß der alte Mann nicht in ihre Nähe kam. Jetzt fragten sie sich beide, was er ihnen vielleicht noch hätte sagen können, wenn sich eine Gelegenheit dazu geboten hätte. Ab und zu trabte Cephelo auf seinem Pferd nach hinten zu ihnen, um ein paar Worte mit ihnen zu wechseln, doch das Lächeln und das Gespräch wirkten gezwungen und künstlich. Es War beinahe so, als suche er etwas, doch weder Wil noch Amberle hatten die geringste Ahnung, was es sein könnte. Eretria hielt sich ganz von ihnen fern, und Amberle war verwundert über diese plötzliche Veränderung im Verhalten des Mädchens. Wil jedoch verstand sie nur allzu gut. Gegen Mittag gab Cephelo an einer Weggabelung tief im Wald das Zeichen zum Anhalten. Aus der Ferne grollte bedrohliches Donnergrollen, und der Wind stürmte in heftigen Böen, die zornig an denBäumen rüttelten und Blätter, Staub und Äste durch die Luft wirbelten. Cephelo ritt zum Wagen zurück und hielt neben Wil an. »Hier trennen sich unsere Wege, Heiler«, verkündete er und wies auf die Kreuzstraße. »Euer Weg führt nach links, die kleinere Straße hinunter. Er ist nicht zu verfehlen — Ihr braucht ihm nur zu folgen. Noch vor Einbruch der Nacht müßtet Ihr die Senke erreichen.«