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Dann plötzlich verließ ihn das Gefühl, war so rasch verschwunden, wie es gekommen war. Rundum heulte der Wind, und die ersten dicken Regentropfen schlugen ihm in das verwitterte Gesicht. Er holte tief Atem und hob die Axt vom Boden auf. Drifter an seiner Seite, wich er langsam zurück, bis er spürte, wie seine Beine die Werkbank berührten. Da erst blieb er stehen, eine Hand fest im Nackenhaar des großen Hundes verkrallt, um das Zittern zu beruhigen, das ihn schüttelte. Mit entsetzlicher Gewißheit erkannte er, daß er nie zuvor dem Tod so nahe gewesen war.

Noch keine volle Stunde waren Wil und Amberle marschiert, als das Gewitter sie einholte. Erst waren es nur ein paar dicke Tropfen, die durch das dichte Laubdach des Waldes fielen; doch bald wurde ein heftiger Schauer daraus. In Strömen peitschte der Sturm den Regen über den Weg, und krachende Donnerschläge brachen sich in den Bäumen. Das dämmrige Licht, das über dem Pfad lag, verdunkelte sich noch mehr, undwasserschwere Äste neigten sich herab und versperrten ihnen den Weg. Innerhalb von Minuten waren sie bis auf die Haut durchnäßt, da sie ihre Umhänge genau wie ihre übrigen Sachen im Wagen der Fahrensleute zurückgelassen hatten. Die dünnen Gewänder, die man ihnen statt dessen gegeben hatte, klebten ihnen auf der Haut. Doch da sie gegen all diese Unbilden nichts tun konnten, zogen sie einfach die Köpfe zwischen die Schultern und marschierten weiter.

Mehrere Stunden lang fiel der Regen; nur ab und zu trat eine kurze Pause ein, trügerische Verheißung auf ein baldiges Ende des Gewitters. Wil und Amberle aber wanderten tapfer weiter, während ihnen das Wasser am Körper herunterrann, der Schlamm an ihren Stiefeln klebte.

Unverwandt hielten sie die Augen auf den durchweichten Pfad gerichtet. Als der Regen dann endlich wirklich verebbte und das Gewitter nach Osten abzog, stiegen Nebel aus den Wäldern auf und verdichteten die graue Düsternis. Bäume und Büsche hoben sich schwarz und glänzend aus den Nebenschleiern, und das Tropfen des Wassers klang laut in der Stille. Der Himmel blieb dunkel und wolkenverhangen; im Osten rollte noch immer der Donner. Als der Nebel noch dichter wurde, mußten die beiden Wanderer ihre Schritte verlangsamen.

Nun begann der Pfad sich abwärts zu neigen, in einem leichten Gefalle zunächst, das kaum wahrnehmbar war, mit der Zeit jedoch immer steiler wurde. Wil und Amberle rutschten auf dem glitschigen Schlammboden abwärts, während sie hoffnungsvoll in die Finsternis spähten, die vor ihnen lag, und doch nichts entdeckten, als den dunklen Tunnel des Pfades und die schwarze Mauer der Bäume. Noch stiller war es jetzt geworden, da selbst das Summen der Insekten verstummt war.

Plötzlich dann, so unvermittelt, als hätte jemand einen Schleier gelüftet, teilten sich die Bäume des Waldes, der Hang wurde eben, und vor ihnen dehnte sich die große, dunkle Mulde der Senke. Wil und Amberle blieben mitten auf dem schlammigen Weg stehen und starrten hinunter in das beeindruckende Tal. Sie wußten sogleich, daß sie die Senke gefunden hatten; diese riesige Schlucht schwarzen Waldes konnte nichts anderes sein. Es war, als wären sie auf einen riesigen, stillen See gestoßen, der ruhig und leblos dalag und dessen dunkle Oberfläche von undurchdringlicher Vegetation überwuchert war, so daß man seine Wasser nicht mehr sehen konnte. Aus der schattendunklen Mitte ragte die Hochwarte zum Himmel auf, eine einsame Felsnadel, die kahl und zerklüftet die Finsternis durchbohrte. Die Senke war so trostlos wie ein offenes Grab, das von Tod sprach.

Schweigend standen Wil und Amberle am Rande der Senke und kämpften gegen das aufsteigende Gefühl der Abwehr, das mit jedem Augenblick wuchs, während sie in die lautlose Schwärze hinabblickten.

»Da müssen wir hinunter«, flüsterte Wil schließlich.

Amberle nickte. »Ich weiß.«

Suchend blickte er sich nach einem Weg um, dem sie folgen konnten. Ihr Pfad schien ein Stück weiter vorn ganz aufzuhören. Doch als Wil ein paar Schritte ging, sah er, daß er doch nicht versiegte, sondern sich teilte, um sich in zwei neuen Pfaden abwärts zu winden. Wil zögerte, während er die beiden Wege musterte und überlegte, auf welchem man wohl leichter in die Senke hinuntergelangen könnte. Schließlich entschied er sich für den Pfad, der nach links führte. Er hielt Amberle seine Hand entgegen, und sie umschloß sie fest. Dann gingen sie los, Wil voraus. Immer wieder geriet er ins Rutschen, als unter ihm Steinbrocken und durchweichte Erde nachgaben. Amberle blieb dicht hinter ihm, und so tasteten sie sich vorsichtig vorwärts.

Da verlor Wil plötzlich den Halt und stürzte, Amberle mit sich reißend. Sie stolperte abwärts über seine Beine und fiel kopfüber vom schlammigen Pfad, um mit einem Angstschrei im Waldesdunkel zu verschwinden. Angstvoll kroch Wil ihr nach, kämpfte sich durch dichtes Gestrüpp, das sich in seine Kleider verhakte und ihm das Gesicht zerkratzte. Er hätte Amberle vielleicht nie gefunden, hätte sie nicht die leuchtenden Kleider der Fahrensleute getragen. Plötzlich gewahrte er etwas Rotes in der Dunkelheit.

Sie lag eingeklemmt zwischen zwei Büschen, atemlos, das Gesicht von Schlamm verschmiert. Ihre Augen flackerten unsicher, als er sie berührte.

»Wil?«

Er half ihr, sich aufzusetzen, und hielt sie in seinen Armen.

»Alles in Ordnung? Hast du dir weh getan?«

»Nein, ich glaube nicht.« Sie lächelte. »Du bist ziemlich tolpatschig, weißt du das?«

Er nickte, lachend vor Erleichterung.

»Komm, jetzt steh erst einmal auf.«

Er legte seinen Arm um ihre Taille und hob sie hoch. Ihr zierlicher Körper war so leicht wie eine Feder. Sacht ließ er sie zu Boden gleiten, doch da schrie sie auf und sank wieder zu Boden, während ihre Hand an ihren Knöchel griff.

»Ich hab’ mir den Fuß verstaucht.«

Wil betastete den Knöchel.

»Gebrochen ist nichts«, stellte er fest. Er ließ sich neben ihr nieder. »Wir können ja eine Weile rasten und dann weitergehen. Ich kann dir den Hang runterhelfen; ich kann dich auch tragen, wenn es anders nicht geht.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ach, Wil, es tut mir so leid. Ich hätte vorsichtiger sein sollen.«

»Du? Ich bin doch gestürzt!« Er lachte, in dem Bemühen sie aufzumuntern. »Na, vielleicht kommt eine von den Hexenschwestern vorbei und hilft uns.«

»Das ist gar nicht komisch.« Amberle machte ein unwilliges Gesicht und sah sich ängstlich um. »Vielleicht sollten wir bis zum Morgen warten, bevor wir weiter hinuntersteigen. Vielleicht schmerzt mein Knöchel bis dahin nicht mehr so. Außerdem mußten wir die Nacht da unten verbringen, wenn wir jetzt noch hinunterklettern, und das verlockt mich wirklich nicht.«

Wil nickte. »Mich auch nicht. Warten wir ruhig bis morgen. Es wird früh genug wieder hell.«

»Vielleicht sollten wir bis zum oberen Rand zurücksteigen.« Hoffnungsvoll sah sie ihn an.

Wil lächelte. »Glaubst du wirklich die Geschichten, die der Alte erzählt hat? Glaubst du wirklich, daß da unten Hexen hausen?«

»Du nicht?« fragte sie leise.

Er zögerte, dann zuckte er die Schultern.

»Ich weiß nicht. Vielleicht. Ja, doch, ich glaube schon. Es gibt kaum noch etwas, was ich nicht glaube.« Er beugte sich ein wenig vor und umschlang die angezogenen Beine mit den Armen. »Wenn es da unten Hexen gibt, dann kann ich nur hoffen, daß sie vor Elfensteinen Angst haben. Das ist nämlich so ziemlich der einzige Schutz, den wir noch haben. Aber wenn ich die Steine gebrauchen muß, um den Hexen Angst zu machen, kann’s natürlich passieren, daß wir erst richtig in Schwierigkeiten geraten.«

»Ich glaube nicht«, versetzte sie ruhig.

»Du bist immer noch überzeugt, daß ich ihre Kräfte beherrschen kann, nicht wahr — sogar nach dem, was auf dem Pykon passiert ist?«

»Ja. Aber du solltest die Steine besser nicht einsetzen.«