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Er sah sie an. »So eine Bemerkung hast du schon einmal gemacht. Nach der Geschichte im Tirfing, als wir am Mermidon rasteten. Du machtest dir Sorgen um mich. Du sagtest, ich solle die Steine nicht mehr gebrauchen, selbst wenn ich dich nur dadurch retten könnte.«

»Ja, das weiß ich noch.«

»Und später, als wir vom Pykon flohen, erzählte ich dir, daß ich keine Macht mehr über die Steine habe, daß mir ihre Kräfte nicht mehr zugänglich sind, daß mein Elfenblut nicht stark genug ist. Da sagtest du, ich solle in meinem Urteil über mich nicht so vorschnell sein — du hättest Vertrauen zu mir.«

»Ja, das weiß ich auch noch.«

»Dann sieh dir doch mal an, was du gesagt hast. Ich glaube, ich sollte die Steine gebrauchen, glaube aber nicht, daß ich dazu fähig bin. Du glaubst, daß ich es vermag, findest aber, ich sollte sie lieber nicht gebrauchen. Merkwürdig, nicht?« Er schüttelte den Kopf. »Und wir wissen immer noch nicht, wer von uns beiden recht hat. Da sind wir nun beinahe am Ziel, und ich weiß immer noch nicht —«

Er brach ab, als ihm bewußt wurde, was er da sagte.

»Es ist ja auch nicht wichtig«, schloß er und wandte sich von ihr ab. »Am besten ist es, wir erfahren es nie. Am besten ist es, sie werden meinem Großvater zurückgegeben.«

Danach schwiegen sie eine Weile. Beinahe gedankenlos griff Wil unter den Kittel und nahm den Beutel mit den Elfensteinen heraus. Er wog ihn sinnend in der Hand und wollte ihn eben wieder einstecken, als ihm auffiel, daß die Steine sich irgendwie merkwürdig anfühlten. Stirnrunzelnd öffnete er die Zugschnur und ließ die Steine in seine geöffnete Hand gleiten. Es waren drei gewöhnliche Kieselsteine.

»Wil!« rief Amberle entsetzt.

Wil starrte auf die Kieselsteine wie gelähmt. Er sprach kein Wort, doch seine Gedanken rasten.

»Cephelo«, flüsterte er schließlich. »Cephelo. Irgendwie hat er es geschafft, die Steine zu vertauschen. Heute nacht wahrscheinlich, während ich schlief. Ja, nur da kann es geschehen sein. Am Morgen in Grimpen Ward waren sie noch im Beutel. Da hab’ ich nachgesehen.« Langsam stand er auf, während er immer noch sprach. »Aber heute morgen hab’ ich es vergessen. Ich war so hundemüde gestern abend — und du bist ja praktisch augenblicklich eingeschlafen. Er muß etwas ins Bier gemischt haben, um ganz sicherzugehen, daß ich nicht erwachen würde. Kein Wunder, daß er es so eilig hatte, uns loszuwerden. Kein Wunder, daß er Hebels Warnungen so herunterspielte. Er wäre glückselig, wenn wir nie wieder auftauchen würden. Die Belohnung bedeutete ihm gar nichts. Die Elfensteine wollte er haben. Von Anfang an.«

Leichenblaß im Gesicht, schickte er sich an, den Pfad hinaufzusteigen. Dann fiel ihm plötzlich Amberle ein. Hastig machte er kehrt und hob sie in seine Arme. Das Mädchen fest an sich gedrückt, rannte er stolpernd zum Rand der Senke hinauf. Dort sah er sich kurz um, dann ging er zu einer Gruppe hoher Büsche und Sträucher, die ein paar Schritte abseits vom Pfad stand. Im Schutz der dichtbelaubten Zweige ließ er das Elfenmädchen zur Erde hinunter.

»Ich muß zurück und die Elfensteine holen«, erklärte Wil ruhig. »Kann ich dich hier zurücklassen?«

»Wil, du brauchst die Steine nicht.«

Er hob abwehrend die Hand.

»Wenn wir das nachprüfen wollen, dann möchte ich auf jeden Fall die Steine in meiner Hand halten. Du hast gehört, was der alte Mann über die Senke erzählt hat. Die Steine sind unser einziger Schutz.«

Amberles Gesicht war leichenblaß geworden.

»Cephelo bringt dich um.«

»Vielleicht. Vielleicht ist er inzwischen so weit, daß ich ihn gar nicht mehr einholen kann. Aber ich muß es versuchen, Amberle. Wenn ich ihn bis zum Morgengrauen nicht gefunden habe, dann kehre ich um, das verspreche ich dir. Mit oder ohne die Steine, ich gehe mit dir zusammen in die Senke hinunter.«

Sie wollte noch etwas erwidern, aber dann brach sie ab. Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie hob die Hände, um sein Gesicht zu berühren.

»Du liegst mir am Herzen«, flüsterte sie. »Wirklich.«

Er sah sie erstaunt an. »Amberle!«

»Geh«, drängte sie ihn mit brüchiger Stimme. »Cephelo hat sicher schon sein Nachtlager aufgeschlagen. Du kannst ihn vielleicht noch einholen, wenn du dich sputest. Aber sei vorsichtig, Wil Ohmsford — gib dein Leben nicht töricht hin. Komm zu mir zurück.«

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn.

»Geh jetzt. Schnell!«

Noch einen Lidschlag lang blickte er sie wortlos an, dann sprang er durch die Büsche auf den Pfad hinaus. Ohne noch einmal zurückzublicken, lief er los und war nach Sekunden in der Finsternis des Waldes verschwunden.

39

Am frühen Morgen jenes Tages, an dem Wil und Amberle den Verlust der Elfensteine bemerkten, griffen die Dämonen Arborlon an. Mit ohrenbetäubendem Geheul, das die morgendliche Stille zerfetzte und in den Wäldern des Tieflands widerhallte, stürzten sie aus dem Schutz der Bäume hervor, eine gewaltige Flutwelle verkrüppelter, buckliger Leiber, die den Carolan seiner ganzen Länge nach bedrohte. In tollwütigem Haß, der weder Vorsicht noch Vernunft kannte, strömten die Geschöpfe der Finsternis aus der Dunkelheit der Wälder und warfen sich in die Wasser des Singenden Flusses. Wie ein riesiger Fleck, der sich auf den blauen Wellen ausbreitete, füllten sie den Fluß, große und kleine, flinke und schwerfällige, springende, kriechende, sich windende Wesen, die durch die rasch dahinfließende Strömung wogten. Viele suchten den Fluß schwimmend zu durchqueren, schlugen wie rasend um sich, um das andere Ufer zu erreichen. Jene, die leicht und wendig waren, schwebten über den Wellen dahin, sprangen auf dem Wasser oder glitten auf der Fläche des Wassers vorwärts. Andere, von solch gewaltiger Größe, daß sie den Fluß durchwaten konnten, schlurften und stampften schwerfällig durch das Wasser, Schnauzen und Mäuler weit emporgereckt. Viele fuhren auf Flößen oder in roh zusammengezimmerten Booten, stakten blind und ziellos und grapschten nach allem, was ihnen in den Weg kam, um sich entweder an Land ziehen oder auf den Grund des Flusses hinunterreißen zu lassen. Wahnsinn, der aus Ohnmacht und Haß geboren war, packte die Dämonenhorden. Diesmal würden sie den Feind, der sie am anderen Ufer erwartete, mit Sicherheit vernichten.

Doch die Elfen blieben besonnen und verloren nicht den Kopf.

Ein weniger entschlossenes Heer hätte sich vielleicht von der riesigen Zahl und der wilden Raserei der Horden, die da heranstürmten, entmutigen lassen; nicht so die Elfen. Dies sollte die entscheidende Schlacht werden. Hier verteidigten sie ihre Hauptstadt, das Herz des Landes, das seit Bestehen der Rassen das ihre war. Alles, was westlich des Singenden Flusses lag, war verloren. Doch Arborlon würden sie nicht preisgeben. Lieber wollten sie kämpfen und bis auf den letzten Mann untergehen, als sich aus ihrem Heimatland vertreiben lassen und als Ausgestoßene in fremden Landen zu leben, von ihren Verfolgern gehetzt wie Tiere.

Auf der Höhe der Befestigungsanlagen des Elfitch stand Andor Elessedil und beobachtete das wogende Meer von Dämonen, das sich heranwälzte. An seiner Seite stand Allanon. Beide Männer schwiegen. Nach einer Weile hob Andor den Blick. Hoch oben tauchte aus dem klaren Blau des frühen Morgens ein dunkler Punkt, wurde größer, als er sich in weiten Kreisen abwärts senkte, und nahm schließlich Gestalt an. Es waren Dayn und sein Rock Dancer. Abwärts schwebten sie, glitten über die Felsklippen des Carolan, um schließlich auf der Rampe oberhalb von Andor und dem Druiden zu landen. Dayn sprang hastig vom Rücken des Riesenvogels und eilte zu dem Elfenprinzen.

»Wie viele?« fragte Andor sogleich.

Dayn schüttelte den Kopf.

»Nicht einmal die Wälder und der Nebel können sie alle verbergen. Die, die wir hier vor uns sehen, sind im Vergleich dazu nur eine Handvoll.«

Andor nickte. So viele, ging es ihm bedrückend durch den Kopf. Er versagte es sich, den Druiden anzusehen.

»Haben sie die Absicht, uns über die Flügel anzugreifen, Dayn?«

Der Himmelsreiter schüttelte wieder den Kopf.