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Das Licht wurde stetig fahler. Wil blickte sich ängstlich um.

»Kann es sein, daß Cephelo angehalten hat, um das Gewitter abzuwarten?«

»Vielleicht.« Sie schien es zu bezweifeln. »Am besten reiten wir mal ein Stück zurück. Komm, steig auf.«

Sie ritten nach Westen und blickten immer wieder prüfend auf die schlammige Erde hinunter. Doch es zeigten sich keine Spuren. Eretria ließ das Pferd in leichten Trab verfallen. Vor ihnen woben Nebelfäden durch die Luft, die sich wie lange Spinnenfinger aus dem dunklen Wald stahlen. Gedämpfte Geräusche drangen aus der Tiefe der Bäume, als die Nachttiere erwachten, die in diesem Tal hausten.

Dann erscholl ein neuer Laut aus der Düsternis, schwach und dünn zuerst wie ein nachklingendes Echo, dann allmählich stärker und eindringlicher. Er steigerte sich zu einem Heulen, so schrill und gespenstisch, als würden da einer gemarterten Seele Schmerzen zugefügt, die über jedes Maß des Erträglichen hinausgingen.

Erschreckt faßte Wil Eretria bei der Schulter.

»Was ist das?«

Sie drehte sich um.

»Der Heulekamm — direkt vor uns.« Sie lachte nervös. »Der Wind bringt manchmal dieses schreckliche Geräusch hervor.«

Es wurde immer schriller und unheimlicher, dieses Heulen, und das Gelände stieg langsam an, führte sie auf felsigem Hang aus dem Nebel heraus. Die Bäume öffneten sich, und über ihnen zeigten sich Fetzen blauen Nachthimmels. Das Pferd reagierte ängstlich auf das schreckliche Heulen des Windes, schnaubte nervös und tänzelte unruhig. Eretria hatte alle Mühe, es zu beruhigen. Sie ritten jetzt langsamer, stiegen aufwärts durch den Abend, bis sie den Kamm erreicht hatten. Jenseits wurde die Straße wieder eben und gerade und verschwand in der Finsternis.

Da sah Wil plötzlich etwas, einen Schatten, der, aus dem Heulen des Windes und der Düsternis der Nacht aufgetaucht, auf sie zukam. Auch Eretria sah es und zugehe mit einem Ruck das Pferd. Der Schatten kam näher. Es war ein Pferd, ein großer Fuchs, reiterlos. Die Zügel hingen schlaff herab. Langsam trottete es ihnen entgegen und rieb leise wiehernd seine Nase an der ihres Pferdes. Wil und Eretria erkannten den Fuchs augenblicklich. Er gehörte Cephelo.

Eretria sprang aus dem Sattel und reichte Wil die Zügel ihres Pferdes. Schweigend ging sie einmal um den Fuchs herum, um ihn zu begutachten. Das Pferd hatte keine Verletzungen, doch es war schweißnaß. Als Eretria wieder zu Wil aufblickte, stand Unsicherheit in ihrem Gesicht.

»Da ist etwas passiert. Sein Pferd würde ihn nicht im Stich lassen«

Wil nickte. Die Sache war ihm gleichfalls nicht geheuer.

Eretria schwang sich auf Cephelos Pferd.

»Reiten wir ein Stück weiter«, sagte sie, doch in ihrem Ton schwangen Zweifel mit.

Seite an Seite ritten sie den Hügelkamm entlang, begleitet von demgespenstischen Heulen des Windes, der durch Fels und Bäume pfiff. Über ihnen blitzten die Sterne und sandten ein mattes weißes Licht in die Finsternis des Wildewaldes.

Dann tauchte ein neuer Schatten aus der Düsternis auf, schwarz und kantig. Reglos stand er auf dem Pfad. Wil und Eretria zügelten ihre Pferde, ließen sie nur langsam und vorsichtig vorangehen. Allmählich nahm der Schatten Gestalt an. Es war Cephelos Wagen. Seine grellen Farben leuchteten fahl im Sternenlicht auf. Voller Unbehagen ritten Wil und Eretria näher, und da schlug ihr Unbehagen in Entsetzen um.

Das Pferdegespann, das den Wagen gezogen hatte, war tot, die Körper der Tiere, die noch in ihrem mit Silber beschlagenen Geschirr steckten, waren zerfetzt und verstümmelt. Andere Pferde lagen in der Nähe, und bei ihnen ihre Reiter, auf dem Pfad verstreut wie Strohpuppen, denen man sämtliche Glieder verrenkt hat. Die bunten Kleider waren getränkt von Blut, das durch den feinen Stoff sickerte und sich mit der schlammigen Erde vermischte.

Hastig sah Wil sich um, spähte in die finsteren Schatten des Waldes, suchte eine Spur des Wesens zu entdecken, das all dies angerichtet hatte. Nichts regte sich. Er sah Eretria an. Sie saß wie versteinert auf ihrem Pferd, und ihr Gesicht war bleich, während sie starr auf die Leichen auf dem Pfad blickte. Die Hände waren ihr schlaff in den Schoß gesunken, und die Zügel waren ihren Fingern entglitten.

Wil sprang vom Pferd, hob die herabgefallenen Zügel auf und wollte sie Eretria wieder in die Hand geben. Als diese keine Anstalten machte, sie zu ergreifen, umfaßte er ihre Hand und schob ihr die Zügel beider Pferde zwischen die Finger. Stumm blickte sie zu ihm hinunter.

»Warte hier«, befahl er.

Dann ging er zum Wagen, vorbei an den Toten, die grausam entstellt am Wege lagen. Alle waren sie tot, auch die alte Frau, die den Wagen gefahren hatte. Ihre Körper waren zerfetzt wie Lumpenbündel. Eisige Schauer schüttelten Wil. Er wußte, wer das getan hatte. Stumm hastete er von einer Leiche zur anderen, bis er Cephelo gefunden hatte. Auch er war tot, der waldgrüne Umhang zerrissen, das dunkle Gesicht zu einer Maske irren Entsetzens erstarrt.

Wil beugte sich zu ihm nieder. Langsam betastete er die Kleidung des Fahrensmannes. Er fand nichts. Furcht packte ihn. Er mußte die Steine finden! Da fiel sein Blick plötzlich auf die Hände Cephelos. Die Rechte war in einem Ausdruck unerträglichen Schmerzes in die Erde gekrallt. Die Linke war zur Faust geballt. Wil holte tief Atem und neigte sich über die linke Hand des Fahrensmannes. Einen um den anderen brach er die starren Finger auf Blaues Licht schimmerte, und eine tiefe Erleichterung durchflutete den Talbewohner. Eingeschlossen in Cephelos Hand lagen die Elfensteine. Der Fahrensmann hatte sie gebrauchen wollen, wie er es im Tirfing bei Wil gesehen hatte; aber die Steine hatten auf ihn nicht angesprochen, und so war er gestorben.

Wil nahm die Steine aus der Hand des Toten, wischte sie an seinem Kittel ab und steckte sie in den kleinen Lederbeutel. Dann stand er auf und lauschte in das Heulen des Windes hinein, der über den Kamm fegte.Übelkeit drohte ihn zu übermannen, als der Geruch des Todes ihn umfing. Nur einer konnte dies Schreckliche angerichtet haben. Er erinnerte sich der toten Elfen im Drey-Wald und in der Festung am Pykon. Nur einer. Der Raffer. Doch wie hatte er sie wiedergefunden? Wie hatte er sie vom Pykon bis hierher in den Wildewald verfolgen können?

Er riß sich zusammen und eilte zu Eretria zurück. Sie saß noch immer wie erstarrt auf Cephelos Fuchs, Furcht und Entsetzen sprachen aus ihren Augen.

»Hast du ihn gefunden?« flüsterte sie.

Wil nickte. »Er ist tot. Sie alle sind tot.« Er schwieg betroffen. »Ich habe die Steine wieder an mich genommen.«

Sie schien ihn nicht zu hören.

»Wer kann so Grausames tun, Heiler? Ein Tier vielleicht? Oder die Hexenschwestern…?«

»Nein.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Eretria. Ich weiß, wer das getan hat. Das Ungeheuer, das hier gewütet hat, hat Amberle und mich von Arborlon aus verfolgt. Ich dachte, wir hätten es auf der anderen Seite vom Steinkamm abgeschüttelt, aber irgendwie ist es ihm gelungen, uns wiederzufinden.«

Ihre Stimme zitterte. »Ist es ein Teufel?«

»Eine besondere Art von Teufel.« Er blickte zurück zu den Toten auf dem Pfad. »Man nennt ihn den Raffer.« Er überlegte kurz. »Er muß geglaubt haben, wir reisen mit Cephelo. Vielleicht hat er sich durch den Regen verwirren lassen. Er folgte Cephelos Wagen und überfiel hier die Leute …«

»Armer Cephelo«, murmelte sie. »Man gewinnt eben nicht jedes Spiel.« Sie schwieg und warf ihm einen scharfen Blick zu. »Heiler, dieses Ungeheuer weiß jetzt, daß du nicht mit Cephelo nach Osten gereist bist. Wohin wird es sich nun wenden?«

Wil und Eretria starrten einander wortlos an. Beide wußten die Antwort.

Amberle kauerte im Schutz der Büsche am Rand der Senke und lauschte den feinen Geräuschen der Nacht. Wie ein schwerer, undurchdringlicher Schleier lag die Dunkelheit über dem Wildewald, und das Elfenmädchen saß dicht eingehüllt darin, vermochte nicht, über die schützenden Büsche hinaus zu sehen. Da sie wußte, daß Wil kaum vor Tagesanbruch zu ihr zurückkehren würde, versuchte sie zu schlafen. Doch der Schlaf wollte nicht kommen; ihr Knöchel schmerzte, und ein jagendes Heer von Gedanken an Wil und sein Unterfangen, an ihren Großvater, an die Gefahren, die sie allenthalben umgaben, verfolgte sie gnadenlos. Schließlich gab sie alle Bemühungen zu schlafen auf. Die Knie zum Körper hochgezogen, kauerte sie sich zusammen und versuchte, mit dem Wald, der sie umgab, zu verschmelzen — still, reglos, unsichtbar zu sein.